Die Bibel beim Wort und die Kinder ernst nehmen

Erzähl mir eine Geschichte von Jesus!

Veröffentlicht am 06.01.2015 um 23:50 Uhr – Lesedauer: 
Dossier: Jesus Christus

Bonn ‐ Kinder wollen die Bibel entdecken als das Buch der großen Fragen und Antworten. Das Erzählen der Geschichten von Jesus erfordert einen sensiblen Umgang mit dem "Original", Verstehenshilfen und Erfahrungsbezüge.

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"Wenn man die Bibel liest, sieht man Fragen und Antworten, die gar nicht alt sind."

"Die Bibel gibt viel zum Nachdenken über mein Leben."

"Die Bibel lässt dich nicht mehr los, wenn du sie aufgeschlagen hast."

Diese Kinderäußerungen zu ihren Erfahrungen mit der "Bibel für Kinder und alle im Haus" zeigen das Interesse und die Ernsthaftigkeit, mit der Kinder der Bibel begegnen. Sie wollen die Bibel entdecken als das Buch der großen Fragen und Antworten. Sie können groß werden und wachsen mit dem Buch der Bücher. Das erfordert unseren sensiblen Umgang mit dem "Original" beim Erzählen biblischer Geschichten, besonders wenn es um Jesus geht. Zudem brauchen Kinder Verstehenshilfen und Erfahrungsbezüge zu den Bibeltexten. Die Texte sind zu elementarisieren, also zu verdichten, ohne sie zu verfälschen. Und das Schwere einfach zu sagen ist zumeist das Schwerste beim Erzählen für Kinder. An konkreten eigenen Erzählbeispielen sei das veranschaulicht.

Bild: ©contrastwerkstatt/Fotolia.com

Eine Mutter liest ihren Kindern vor dem Weihnachsbaum vor. Kinder wollen die Bibel entdecken als das Buch der großen Fragen und Antworten.

Im Anfang war das Wort

Die Erzählungen des Neuen Testamentes beginnen in der "Bibel für Kinder und alle im Haus" mit dem Anfang des Johannes-Evangeliums. Das ist eine ungewöhnliche Entscheidung, die gleich am Anfang in poetischen Worten in die theologische Mitte der Evangelien führt und alle folgenden Bibeltexte ins rechte Licht rückt:

"Im Anfang war nur das WORT da, und das Wort war nah bei Gott, und das Wort war GOTT selbst. ... Und in die Welt kam das wahre LICHT, das hineinstrahlt in jeden Menschen, der zur Welt kommt. ... Niemand konnte Gott jemals sehen. Der einzige Sohn aber, der selbst Gott ist und am Herz des Vaters ruht, hat uns gezeigt, wie GOTT wirklich ist." (Joh 1,1-18)

Ein solcher Beginn kann nicht so stehen bleiben. Er bedarf der Erklärung in einfachen Worten:

"Was für ein geheimnisvolles Gedicht! Am Anfang seines Evangeliums erzählt Johannes wie zu Beginn der Bibel noch einmal vom Anfang: Ist es eine neue Schöpfung oder ein neuer Blick auf die Schöpfung? Johannes und die Menschen um ihn haben die Welt durch Jesus so neu erfahren, dass er erzählt: Jesus war schon immer da, bei seinem Vater, der Gott ist. Jesus ist nicht nur Sohn Gottes, sondern selbst Gott. Jesus ist das beste Bild von Gott, den niemand sehen kann. Das ist wirklich eine neue Sicht!" (Bibel für Kinder, 180f)

So werden die Evangelien als mit Worten gemalte Bilder von Jesus Christus verstehbar: aus der Sicht des Glaubens gedeutete Geschichten aus dem Leben Jesu. Über den historischen Bezug des jeweils Erzählten hinaus kommt die Frage in den Blick, wer denn Jesus für uns und alle Menschen ist – und die Antworten darauf natürlich auch!

Literatur:

Die Bibel für Kinder und alle im Haus, erzählt und erschlossen von Rainer Oberthür, mit Bildern der Kunst ausgewählt und gedeutet von Rita Burrichter, 9. Aufl., München 2013 /// Oberthür, Rainer, Die Weihnachtserzählung, Stuttgart 2011 /// Oberthür, Rainer, Die Ostererzählung, 7. Aufl., Stuttgart 2012

Die Kindheitsgeschichten: Jesus wird ein Mensch auf der Erde

Auch beim Erzählen der Kindheitsgeschichten dürfen wir Kindern viel zutrauen, damit sie sich zu verstehen trauen. Das Bilderbuch "Die Weihnachtserzählung" erzählt die Geschichten der Kindheit Jesu mit rahmenden Gesprächen zwischen Vater und Kind zweimal, erst nach Matthäus, dann nach Lukas. So wird das Erzählte nicht auf einen historischen Ablauf reduziert, sondern die theologischen Akzente der Evangelisten werden sichtbar: Matthäus betont mit der Anknüpfung an die Propheten die jüdischen Wurzeln Jesu - Lukas zeigt Jesus als den Retter und Friedensbringer für alle Menschen. Beide aber erzählen vom Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Dieses Geheimnis versucht der Vater dem Kind von Mal zu Mal tiefer ins Wort zu bringen, wie einige Auszüge zeigen.

- Am Weihnachtsfest feiern wir, dass Jesus geboren wird und zu uns auf die Erde kommt. Von Anfang an sahen die Menschen in Jesus ein Licht von Gott. Sie hatten erfahren, dass Jesus auferweckt und wieder bei Gott ist.

- Das Licht der Weihnachtskerzen kommt von der Osterkerze.

- Mit Jesus Christus geht die Geschichte weiter, die Gott mit dem Volk Israel und mit allen Menschen begonnen hat. Jesus wird ein Mensch auf der Erde. Das geht nicht ohne Gott im Himmel.

- In eine Welt, in der ein Kaiser herrscht, kommt ein armes Kind. Doch Gottes Herrlichkeit strahlt nicht im Kaiser, sondern im Kind.

- Jesus ist gleichzeitig ganz Mensch und ganz Gott. Nach Jesu Auferstehung begreifen die Menschen. In Jesus kommt Gott selbst zu uns auf die Erde und wird Mensch.  (Die Weihnachtserzählung)

Solche Sätze kommentieren und deuten in bildhaften Sprachspielen die bibelnahe Erzählung. Wenn Kinder davon berührt werden, können sie sie vielleicht lange in sich tragen.

Jesus und Volksmenge
Bild: ©museo de antioquia

Dem Kind kann man sagen: "Die Geschichte von Jesu Tod und seiner Auferstehung ist lange traurig, doch sie hat ein gutes Ende.“

Tod und Auferstehung: Schwer zu erzählen und noch schwerer zu verstehen

Auch vom Tod und von der Auferstehung Jesu können wir Kindern bibelnah erzählen. Sie haben ein Recht auf die (grausame) Wahrheit der Kreuzigung und auf die hoffnungsvolle Botschaft der Auferstehung. Hier gilt es die Balance zu halten zwischen einer Verharmlosung und einer zu brutalen Darstellung. Das Bilderbuch "Die Ostererzählung" ist ganz an der Markus-Passion orientiert. Auch hier ist das Erzählen der Mutter eingebettet in einen Dialog mit dem Kind. Das Kind verlangt nach der Geschichte vom Ende Jesu, von dessen Leben es schon viel gehört hat. Die Mutter erwidert: "Das ist schwer zu erzählen und noch schwerer zu verstehen. Ich will es versuchen. Markus hat in seinem Evangelium nicht nur vom Leben Jesu erzählt, sondern auch von seinem Tod und seiner Auferstehung. Von sieben Tagen in Jerusalem hat er erzählt, von einer heiligen Woche. Die Geschichte ist lange traurig, doch sie hat ein gutes Ende."

Nach dem bei Markus offenen Schluss mit sprachlosen Frauen nach der Auferstehung wundert sich das Kind und fragt, ob Jesus nicht auf die Erde zurückkehrte. Nun bekennt die Mutter ihren Glauben: "Jesus hat nicht weitergelebt wie vor seinem Tod. Aber den Jüngern wird klar: Jesus ist auferstanden und lebt für immer bei Gott. Diese schöne Erfahrung machte ihnen Mut. Nun verstanden und glaubten sie: Es geht weiter mit Jesus. Er zeigt uns, wie Gott ist, den niemand sehen kann. Ihre großartige Geschichte mit Jesus haben die Jünger begeistert weitererzählt. Das geschieht seit fast zweitausend Jahren und gerade habe ich sie dir erzählt."  (Die Ostererzählung)

Ein Gemälde mit Jesus, der das Kreuz trägt, einer Taube und Gottvater, der als alter Mann mit Bart dargestellt wird.
Bild: ©Renáta Sedmáková/Fotolia.com

Die Dreifaltigkeit mit Jesus Christus, dem Sohn Gottes, dem Heiligen Geist in der Gestalt der Taube und Gottvater.

Die Dreieinigkeit Gottes: Der eine Gott – auf drei Weisen da

Das theologische Nachdenken über die biblischen Texte hat die Christen die Dreieinigkeit Gottes immer klarer erfahren und erkennen lassen. Das Nacherzählen biblischer Texte ergründet diese Tiefe des christlichen Glaubens. Schon Kinder ahnen die Unbegreiflichkeit Gottes und den spannenden Weg, Gott doch immer mehr zu entdecken. Die zentralen Texte des Neuen Testamentes sind – mehr als uns oft bewusst ist – von der Dreieinigkeit Gottes geprägt: Sie erzählen vom Vater, von dem der Sohn kommt, vom Sohn, der in der Kraft des Heiligen Geistes zur Welt kommt, und vom Heiligen Geist, der uns Leben schenkt und antreibt. So mündet die "Bibel für Kinder und alle im Haus" in das Bekenntnis zum dreieinigen Gott. Auch diese Mitte des Glaubens sollten wir bereits Kindern "zumuten".

"Die Christen verstanden erst in Anfängen, dann immer tiefer, doch nie ganz und gar, dass und wie der eine und einzige Gott auf verschiedene Weise bei den Menschen ist:

Sie erfuhren: Gott ist als Geheimnis, Schöpfer und Vater über uns.

Sie entdeckten: Gott ist in Jesus Christus als Sohn und Erlöser mit uns.

Sie spürten: Gott ist im Heiligen Geist als Kraft und Stärke in uns.

Heute sprechen wir vom dreifaltigen oder dreieinigen Gott, immer wenn wir das Gebet mit dem Kreuzzeichen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes beginnen. Das ist das größte Geheimnis des Glaubens. Gott ist einer und auf dreifache Weise bei uns:

GOTT IST DA ALS VATER, SOHN UND HEILIGER GEIST."  (Bibel für Kinder, 282)

Von Rainer Oberthür

Mit Kindern gemeinsam die Bibel lesen, das heißt

  • in der Bibel die eigenen Fragen entdecken und die Aktualität der "alten" Texte erfahren
  • die Bibel als ein spannendes Buch aus vielen einzelnen Geschichten wahrnehmen
  • in einen Dialog mit Texten und Bildern der Bibel eintreten und darin selber Sinn finden
  • die Kinder auf ihrem Weg durch die Bibel mit Deutungsangeboten begleiten
  • die tiefe überzeitliche und geschichtsbezogene Wahrheit der Bibel verstehen lernen
  • den hohen Anspruch und die Provokationen der Bibel zulassen
  • Anfragen an Gott besonders hinsichtlich des Leids auf der Welt aushalten
  • entdecken, dass die Menschen immer neu dazugelernt haben, wie Gott ist und handelt
  • sehen, dass die Geschichte der Menschen mit Gott bis heute weitergeht
  • erfahren, dass die Bibel lebenslang dabei helfen kann, "groß" zu werden

Der Autor

Rainer Oberthür, geb. 1961, ist stellv. Leiter des Katechetischen Instituts des Bistums Aachen, Dozent für Religionspädagogik, Lehrbeauftragter an der Bergischen Universität Wuppertal und Autor.