Bruder Paulus über das Heilige Jahr und dessen Folgen

Wenn Rom pfeift...

Veröffentlicht am 14.11.2016 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Heiliges Jahr

Frankfurt ‐ Zum Heiligen Jahr gab es sogenannte Missionare der Barmherzigkeit. Einer von ihnen war Bruder Paulus Terwitte. Im Interview spricht er über PR-Erfolge, organisatorische Mängel und Facebook-Gruppen für Bischöfe.

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Das Heilige Jahr neigt sich dem Ende zu. Einer der Höhepunkte war die Aussendung sogenannter Missionare der Barmherzigkeit durch Papst Franziskus. Auch der Kapuzinerbruder Paulus Terwitte gehörte zu den Auserwählten. Mit katholisch.de spricht er über seine Erfahrungen mit dem Heiligen Jahr und notwendige Konsequenzen.

Frage: Bruder Paulus, viele sehen das Jahr der Barmherzigkeit als Flop, sogar Cheforganisator Rino Fisichella fordert eine Fehleranalyse. Wie fällt Ihre Bewertung aus?

Terwitte: Das Jahr kam in der Weltkirche von Beginn an sehr unterschiedlich an. In Deutschland haben ja immerhin zwei Drittel der Bistümer Missionare der Barmherzigkeit entsendet – aber in ganz Indien waren es nur zwei! Für das Thema Barmherzigkeit selbst war das Jahr aber schon ein PR-Erfolg. Denn es war anregend: Die Hirne der Theologen müssen jetzt rauchen. Das Jahr hat klar gezeigt, dass die Kirche einen Weg finden muss, wie sie Recht und Gerechtigkeit mit Barmherzigkeit — also der Ausnahme von der Regel — verbinden kann. Und zum Beispiel bei wiederverheirateten Geschiedenen kann Barmherzigkeit alleine gar nicht die Lösung sein. Dann würde die Kirche diese Menschen ja letztlich doch "von oben herab" als fehlerhaft behandeln. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das wollen.

Frage: Dass Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit grausam ist, hat doch schon Thomas von Aquin gesagt. Was hat das Jahr der Barmherzigkeit in dieser Frage Neues gebracht?

Terwitte: Es wurde jenen Hoffnung gemacht, die auf die Barmherzigkeit in der Kirche vertrauen, weil sie in ihrem Leben Fehltritte gemacht haben. Ihnen wurde die Hoffnung gegeben, dass der Heilige Geist eine Lösung kreiert, um ihnen wieder die volle Teilhabe am Leben der Kirche zu ermöglichen. Das finde ich ein sehr gutes Signal. Nach "Amoris laetitia" muss die Theologie in den umstrittenen Familienfragen zu handfesten, allgemeineren Lösungen kommen. 

Frage: Was war im vergangenen Jahr Ihr Programm als Missionar der Barmherzigkeit?

Terwitte: Um ehrlich zu sein: Ich hatte relativ wenige Anfragen. Einige waren froh, mit dem, was sie bewegt hat, nicht bis nach Rom pilgern zu müssen. Außerdem habe ich einige Vorträge gehalten. Aber insgesamt war die Resonanz wohl nicht so, wie sich das Erzbischof Fisichella gedacht hat. Rom denkt ja, wenn es pfeift, dann tanzt die Weltkirche mit. Das ist mitnichten so.

Bild: ©KNA

Kurienerzbischof Rino Fisichella ist Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung und für das Heilige Jahr zuständig. Auch er will überprüfen lassen, welche Fehler bei der Organisation und Durchführung des Jahres der Barmherzigkeit begangen wurden.

Frage: Also ist das Jahr der Barmherzigkeit nicht überall in den Bistümern gut angekommen?

Terwitte: Das Heilige Jahr war eine Kampagne von oben. Aber heute muss man ja nicht mehr mit einem Pferd eine Depesche von Rom in die Bistümer schicken und umgekehrt. Das geht doch viel einfacher. Vielleicht bräuchte es einfach mal eine Facebook-Gruppe der Bischöfe, in der sie diskutieren, welche Kampagne man von unten auf den Weg bringen könnte, die dann auch weltweit gemeinsam getragen würde.  Etwa die Freude an der Internationalität der Kirche hervorzuheben angesichts eines gesellschaftlichen Klimas, das plötzlich wieder auf Abschottung setzt, fände ich gar nicht schlecht.

Frage: Ist das Jahr der Barmherzigkeit an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigegangen?

Terwitte: An der Lebens- und an der Glaubenswirklichkeit – der Ablass etwa ist vielen Menschen heute ja nur noch schwer vermittelbar. Ich selbst bin auch kein Anhänger einer Theologie, die sagt, du musst das und das machen, damit Du das und das bekommst. Hinzu kommt, dass das Heilige Jahr sehr kurzfristig initiiert wurde, so dass den Diözesen kaum die Möglichkeit einer ausreichenden Planung blieb, etwa um Künstler mit der Gestaltung einer Heiligen Pforte zu beauftragen.  An manchen Orten wurde die Heilige Pforte mit Ach und Krach auf den letzten Drücker eingerichtet – das spricht dann einfach nicht an.

Das Heilige Jahr hätte insgesamt gründlicher, basisorientierter und fantasiereicher initiiert werden müssen. Natürlich sind die Bischöfe begeistert von der Barmherzigkeit. Aber viele Ortskirchen haben selbst eine umfangreiche eigene Agenda. Wenn dann  plötzlich die Weltkirche dazwischenfunkt, ist das schon eine organisatorische Herausforderung. Da habe ich großes Verständnis. Die Weltkirche ist eben keine Einheitspartei.

Frage: Gab es für Sie einen Moment, der herausstach?

Terwitte: Schön war die Aussendungsfeier der Missionare der Barmherzigkeit in Rom mit Papst Franziskus. Es war schön zu sehen, wie engagiert er darauf gedrungen hat, dass wir als Beichtväter wirklich den Menschen das Evangelium der Barmherzigkeit vermitteln. Es hat mich allerdings gewundert, dass ich als Missionar der Barmherzigkeit eine Stola bekam, auf der die Werbung eines katholischen Fernsehsenders aufgestickt war. Eine Stola als Merchandise-Produkt ist schon seltsam.

Themenseite: Heiliges Jahr

Vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 findet das von Papst Franziskus ausgerufene "Heilige Jahr der Barmherzigkeit" statt. Diese Themenseite bündelt die Berichterstattung von katholisch.de zum Heiligen Jahr.

Frage: Inwiefern ist das Konzept aufgegangen, das Heilige Jahr nicht nur in Rom, sondern in der ganzen Weltkirche zu feiern?

Terwitte: Nach der Resonanz, die ich persönlich mitbekommen habe, ist es wohl nicht aufgegangen. Es gab zwar Interesse, aber es war eben begrenzt, mit einer Massenbewegung nicht zu vergleichen. Man macht etwas nicht dadurch wertvoller, dass man es an allen Orten anbietet. Positiv ist, dass der Papst hier sein Anliegen weit verwirklicht, Rom ein wenig aus dem Zentrum zu rücken. Die dezentrale Gestaltung kam natürlich auch den Armen und Schwachen entgegen.

Frage: Papst Franziskus hat im vergangenen Jahr das Wort Barmherzigkeit sehr häufig verwendet. Es gab kaum eine Predigt, in der es fehlte. Wie kann verhindert werden, dass der Begriff beliebig wird?

Terwitte: Ich finde es richtig, dass der Papst das Wort gebraucht hat. Es ist ein Schmerzwort. Barmherzigkeit zu erbitten oder zu geben, ist gar nicht so leicht. Ein Feld, auf dem ich mir viel mehr Barmherzigkeit von Seiten der Kirche wünschte, ist zum Beispiel der Umgang mit den Opfern von Missbrauch. Stattdessen geht das Schweigekartell oft nur weiter, auch wenn etwas Böses passiert ist. Aber Barmherzigkeit kennt auch ganz andere Felder. Ich nenne mal ein fiktives Beispiel. Wie würde wohl ein Pfarrgemeinderat reagieren – darf der junge Mann, der einen Sechsjährigen im Suff tot gefahren hat, im kommenden Jahr die Kommunionvorbereitung machen?

Frage: Wie geht es denn nun nach dem Ende des Heiligen Jahres weiter?

Terwitte: Hier im Bistum Limburg gibt es Überlegungen, Orte der Barmherzigkeit über das Jahr hinaus zu stabilisieren. Eine Kapelle im Limburger Dom soll in "Kapelle der Barmherzigkeit" umbenannt werden, es sollen Gedenksteine eingelassen werden. Damit zeigen wir, dass hier das Jahr der Barmherzigkeit gewesen ist, aber dass es damit noch nicht mit der Barmherzigkeit vorbei ist. Übrigens ist mir am Ende des Heiligen Jahres noch nicht zum Feiern zumute. Es liegt noch viel theologische Arbeit vor uns. Und den Dank für die Barmherzigkeit Gottes empfinde ich bei jeder Eucharistiefeier. Insofern ist für mich jeder Tag ein Tag der Barmherzigkeit.

Von Gabriele Höfling