Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit
Finsternis hat etwas Bedrohliches. Wer im Dunkeln tappt, verliert Orientierung und Sicherheit. Menschen in vorchristlicher Zeit fürchteten den dunklen Winter als Zeit der Geister und Dämonen. Das Feuer, um das sie sich abends versammelten, gab ihnen Wärme und Sicherheit. Vor Geistern fürchten Menschen sich heute nicht mehr. Doch die langen dunklen Nächte haben auch im modernen Zeitalter Auswirkungen auf die Gemütsverfassung. Fest steht, dass im Winter der Serotoninspiegel sinkt. Die Folge: Viele fühlen sich niedergeschlagen und antriebslos. "Winterblues" heißt dieser Zustand auf Neudeutsch. Wie ihre Urahnen spüren Menschen des 21. Jahrhunderts, dass Licht gut tut.
Ein Beispiel für hoffnungmachendes Licht in der Dunkelheit ist der Adventskranz. Dieser Brauch stammt ursprünglich vom evangelischen Pastor Johann Heinrich Wichern aus Hamburg. Im Jahr 1839 zündete er für die Kinder seines Waisenhauses an jedem Abend im Advent eine Kerze an, bis am Heiligen Abend 24 Lichter leuchteten. Im Laufe der Zeit reduzierten sich die Lichter auf vier - für jeden Adventssonntag eine Kerze. Bis sich der Brauch in der katholischen Kirche durchsetzte, verging noch eine Weile. Der erste Adventskranz hing im Jahr 1925 in einer Kölner Kirche.
Das wiederkehrende Licht
Doch Lichterbräuche sind viel älter als das Christentum. Die Wintersonnenwende am 21. Dezember war schon lange vor Christi Geburt ein wichtiges Datum. Ab diesem Tag nimmt die Dunkelheit langsam ab, und es wird allmählich wieder heller. In vielen europäischen Kulturen wurde die Wintersonnenwende festlich begangen - im Römischen Reich etwa mit den Saturnalien, einem Fest zu Ehren des Gottes Saturn. Die kraftvolle Symbolik des Mittwinters machten sich die römischen Päpste und Kaiser zunutze, als sie das Christentum im 4. Jahrhundert zur Staatsreligion erklärten. Statt der Geburt des Sonnengottes Mithras am 25. Dezember feierte man in Rom fortan die Geburt Jesu - und mit ihm das wiederkehrende Licht. Die Juden feierten schon seit jeher Chanukka, das Lichter- und Weihefest im Winter. Während der achttägigen Festzeit wurde an jedem Tag ein neues Licht am achtarmigen Leuchter angezündet.
Linktipp: Zeit der Vorbereitung
Der Advent ist die vierwöchige Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Das Wort kommt vom lateinischen "adventus" und lässt sich mit "Ankunft" übersetzen. Was Sie sonst noch über den Advent wissen müssen, erfahren Sie hier.Die Schweden feiern am 13. Dezember ein Lichterfest zu Ehren der heiligen Lucia. Mädchen ziehen ein langes, weißes Kleid an und setzen sich einen Kranz mit Kerzen auf den Kopf. Sie bringen als Lichterköniginnen ihren Familien das Frühstück ans Bett. Aber schon am Abend vorher gehen sie durch die Straßen und besuchen alte und kranke Menschen. In Bayern, etwa in Fürstenfeldbruck, gibt es am Lucientag den Brauch der schwimmenden "Lucienhäuserl". Schulkinder basteln kleine Modelle von Häusern ihrer Stadt, stellen eine Kerze hinein und nehmen die Lichterhäuschen am Abend mit zur Messe in der Leonhards-Kirche. Dort werden sie gesegnet und in einer Prozession zum Fluss Amper gebracht. Mitarbeiter der Wasserwacht setzen sie dort ins Wasser. Die Lichterhäuschen treiben dann flussabwärts.
Diesen Brauch gibt es seit 1785. Da wurde die Stadt von einem Hochwasser heimgesucht. Die Bürger von Fürstenfeldbruck wollten den Fluss mit einem Sühneopfer besänftigen und geboten, von nun an immer am Lucientag einen Gottesdienst zu feiern und Lichterhäuschen zu Wasser zu lassen. Die leuchtenden Häuser symbolisierten Hoffnung auf den Schutz vor Hochwasser. Nach einer längeren Pause wird dieser Brauch seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts wieder gepflegt.
Im Erzgebirge leuchten in den Fenstern vieler Orte im Dezember Tausende elektrischer Lichter. Der Brauch stammt aus der Zeit, in der die Erzgebirgler unter Tage nach Erz schürften. Im langen Winter sahen die Männer oft Wochen lang kein Tageslicht. Bei Dunkelheit fuhren sie ins Bergwerk ein, und im Finstern kehrten sie abends nach Hause zurück. Ihre Familien wollten den Vätern in der Vorweihnachtszeit eine Freude bereiten und stellten abends Lichter ins Fenster. Viele Männer gingen damals noch einem Nebenerwerb nach, der Holzschnitzerei. Aus einer Idee heraus entstand dabei der erste Lichtträger - es war ein Bergmann in seiner Tracht mit einer Kerze in jeder Hand.
Wenig später wurden neben den Bergmännern auch Engel als Lichtträger geschnitzt. Einer Legende nach soll ein Engel einem jungen Bergknappen eine Stelle gezeigt haben, an der er nach Erz graben sollte. Mit Erfolg, denn von da an ging es mit dem Erzabbau aufwärts. Jeder Junge in einer Familie bekam übrigens einen Bergmann, die Mädchen einen Engel. So war an den Bergmännern und Engeln am Fenster eines jeden Hauses abzulesen, wie viele Söhne und Töchter dort lebten. Der Brauch der Lichtträger, der beleuchteten Pyramiden und Schwibbogen aus dem Erzgebirge hat sich mittlerweile in ganz Deutschland ausgebreitet.
Extremes Beleuchten ist angesagt
Der Brauch des Adventskranzes wird auch heute noch in vielen Familien gepflegt. Doch immer mehr Menschen genügt das allein nicht mehr. Sie verwandeln ihre Häuser, Balkone und Gärten schon vor dem ersten Advent in wahre Lichtermeere - mit Lichterketten und -schläuchen, mit illuminierten Weihnachtsmännern und Rentieren. Ganze Häuserblocks konkurrieren mit den originellsten Dekorationen und Beleuchtungen - von mehrfarbigen Schweifsternen mit rhythmisch blinkenden Lämpchen über leuchtende Weihnachtsmänner bis zu Lichtschläuchen, die um Bäume und Sträucher im Vorgarten gewunden werden. Von Advent zu Advent wird unser Land heller: Extremes Beleuchten ist angesagt.
Da drängt sich zuweilen der Vergleich mit dem US-Komiker Chevy Chase auf, der als "Clark Griswold" im Film "Schöne Bescherung" sein Haus mit 25.000 Glühbirnen volltackerte und letzten Endes einen totalen Stromausfall in der ganzen Stadt provozierte.