Weihnachtswunder aus Kork und Holz
Neapel, die Via San Gregorio Armeno, zur Weihnachtszeit: Tausendfach funkeln Lichter und künstliche Sterne über den Auslagen mit Krippen und Hirten jeder Art. Die traditionsreichen Krippenbauer-Familien präsentieren ihre Meisterwerke, und vor den Geschäften drängen sich Neugierige aus aller Welt, um ganz sie aus der Nähe zu bestaunen, die fein gearbeiteten Gesichter der Figuren mit ihren winzigen Augen aus Glas. Liebevoll bemalt, beleben sie die Weihnachtsszenen, wo aus Kork gebildete Häuser in Felslandschaften thronen und zwischen vielfarbigem Gestein winzige Bäume aufragen, die Krone aus Moos, die Zweige aus Draht.
Die Straße selbst wird zu einer einzigen Krippe - unzählige kleine Grotten, Wiegen mit Stroh, Engel schwirren über den Köpfen von Tausenden Marien und Abertausenden Ochsen und Eseln, die einen ärmlichen Verschlag wärmen, während allenthalben Könige aus dem Morgenland über Hügel und unter Himmeln aus Lackfarbe einherziehen, um dem Jesuskind ihre Geschenke zu bringen. Und all diese Schönheit gibt es zu kaufen.
Linktipp: Weihnachtskrippe
Dass der Gottes Sohn in einem ärmlichen Stall auf die Welt kommt, gehört zu den wunderlichsten Aspekten der Weihnachtsgeschichte. Dem Brauchtumsexperten Manfred Becker-Huberti zufolge hat es die Krippenverehrung bereits zu Beginn des Mittelalters gegeben. (Artikel von 2015)Zu den bedeutendsten der alten Krippenmacherfamilien von Neapel zählen die Fratelli Capuano. Die Ursprünge ihrer Werkstatt im Viertel San Gregorio Armeno reichen bis 1840 zurück: Damals baute Amedeo Capuano, Urgroßvater der aktuellen Inhaber Vincenzo und Luciano, in den verwinkelten Altstadtgassen Krippen für die Vornehmen, die oben auf den Hügeln Posillipo und Vomero lebten. Die erste Manufaktur lag bei der Kirche der Stadtpatronin Santa Patrizia, geweiht der Patronin Neapels. In den "vasci" - den für Neapel typischen ebenerdigen, zur Gasse hin offenen Behausungen - entstanden die Krippenlandschaften aus Holz, Kork und Moos, und alle Generationen der Familie arbeiteten mit. Antonio Capuano, Vater von Vincenzo und Luciano, hatte schon als Junge Anfang des 20. Jahrhunderts für die Auslieferung der fertigen Stücke zu sorgen. Es waren lange Strecken zu Fuß - nur auf dem Rückweg hängte er sich wie alle neapolitanischen Bengel hinten an eine Straßenbahn an.
Auch im königlichen Palast steht eine seiner Krippen
Als Erwachsener übernahm er das Geschäft zusammen mit seiner Frau und eröffnete einen großen Verkaufsstand am Beginn der Via di San Gregorio. Wie in einer Schauwerkstatt konnten Passanten zusehen, wie dank seiner Kunstfertigkeit die Krippen entstanden. Noch heute gilt er, in Anspielung auf seinen mächtigen Schnurrbart, "Maestro O'Baffone" genannt, als Patron des Unternehmens. In den 1970er Jahren führte die Kulturbehörde Neapels einen jährlich vergebenen Preis für die schönste Krippe von San Gregorio Armeno ein. Mit einer Million Lire war die Auszeichnung dotiert, eine Menge Geld für damalige Verhältnisse - und Antonio Capuano gewann so regelmäßig, dass die anderen Krippenbauerfamilien ein bisschen unzufrieden wurden. Um nicht die Spannungen zu fördern oder aber zweitrangige Krippen prämieren zu müssen, schaffte die Stadt den Wettbewerb wieder ab.
Vincenco Capuano lächelt zufrieden, wenn er die Geschichte erzählt, während er durch seine Werkstatt und sein kleines Museum führt: Prunkstück im Hof des alten Palazzo in der Via San Gregorio Armeno ist eine monumentale Krippenlandschaft - gebaut 2006, aber im Stil der klassischen neapolitanischen Krippen des 18. Jahrhunderts. Berühmte Kunden suchten die Manufaktur der Fratelli Capuano auf: König Juan Carlos von Spanien gab 2002 eine Krippe für den königlichen Palast in Auftrag, mit allem Drum und Dran. Eine finanzkräftige Dresdnerin ließ sich für ihre Wohnung eine Weihnachtslandschaft von 20 Quadratmetern bauen. Und auch die ständige Krippe in Pietrelcina, dem Heimatort des italienischen Volksheiligen Pater Pio, entstand im Haus Capuano.
An einen Käufer erinnert sich Vincenzo Capuano besonders: "Ein vornehmer Herr kam und sah mir zu, wie ich an einem Stück mit kreisrunder Basis arbeitete - eine Krippe, die man aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann", erzählt Capuano. "Ich nannte ihm eine zufällige Summe. Er fragte mich, wie ich die Krippe ausgestalten wollte, und ich schilderte ihm die Häuser mit den kleinen Balkonen, auf denen die Hirten erscheinen sollten, die Straßen zur Burg des Herodes, wo ich die Lichter anbringen sollte und so weiter... Er hörte schweigend zu, gab mir einen üppigen Vorschuss und sagte zu, den Rest nach der Fertigstellung und Lieferung zu zahlen. Es war Michele Ferrero, Gründer des gleichnamigen Süßwaren-Unternehmens."
Ein Smartphone gehört nicht in die Krippe
"Krippenbaumeister" zu sein - das heißt, mit Sachverstand und Leidenschaft arbeiten. Ein neues Stück beginnt er nicht selbstsicher. Und er weiß nie, wann es fertig wird. Denn in der neapolitanischen Krippe gibt es immer etwas zu ergänzen, zu verbessern, neu zu schaffen. Der Meister geht als Diener an sein Werk - das am Ende immer etwas Wunderbares wird. Wie die Krippe Fromme und weniger Fromme in den Bann zieht, so schlägt sie eine Brücke zwischen dem Heiligen und dem Profanen: Als im 18. Jahrhundert die spanischen Bourbonen die Herrschaft in Neapel übernahmen, wünschten sie von den Krippenbauern, dass sie Gestalten des Alltagslebens in die Weihnachtsszene einbauten. Und so kam es, dass entlang der kleinen Straßen aus Kork und Stroh ein Bäcker den Ofen anschürt, eine Frau die Wäsche auf dem Balkon zum Trocknen aufhängt, ein Obstverkäufer seine Ware ausruft.
Damals, so erzählt Vincenzo Capuano, "passten diese Figuren noch zum Leben Jesu - wie meine Großmutter, die einen riesenlangen Tisch auf die Straße stellte, damit ihre 14 Kinder Platz zum Essen hatte". Was gehörte heute in eine neapolitanische Krippe? Fotografierende Leute mit Smartphones, Politiker wie Matteo Renzi? "Für mich ist das wie ein Verrat an der Geschichte unserer Krippen", sagt Capuano. "Das achtet nicht die Tradition, es geht nur um den Verkauf an Touristen und um Effekthascherei." Der Krippenbaumeister hofft, das auch seine Söhne und Neffen der Tradition treu bleiben. "Sonst", so droht er, "nehmen wir Lehrlinge von außen."