Gesundheitsminister Gröhe lässt Debatte über Suizidbeihilfe wieder aufflammen

Gefährliche Melodie

Veröffentlicht am 07.01.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Sterbehilfe

Berlin ‐ Das Thema ist ein Dauerbrenner im politischen Berlin: Schon 2009 hatte die schwarz-gelbe Koalition einen Anlauf genommen, gegen kommerzielle Beihilfe zur Selbsttötung vorzugehen. Und bereits seit 2005 gibt es Initiativen von Parteien und Bundesländern, den Aktivitäten von Sterbehilfevereinen Grenzen zu setzen. Bislang ohne gesetzliche Ergebnisse. Auch im neuen Koalitionsvertrag von Union und SPD wurde das schwierige ethische Thema ausgespart.

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Am Montag setzte sich Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) für ein umfassendes Verbot organisierter Beihilfe zum Suizid ein. Zuständig für eine Gesetzesinitiative wäre aber das Bundesjustizministerium unter dem Sozialdemokraten Heiko Maas. Dort gibt es nach Informationen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) bislang keine Pläne für ein neues Gesetz.

Die SPD hatte zuletzt argumentiert, das Problem solle durch eine fraktionsübergreifende Initiative im Bundestag gelöst werden. Maas selber zeigte sich 2005 als Befürworter der aktiven Sterbehilfe: "Ich meine, dass aktive Sterbehilfe etwa todkranken Menschen ein qualvolles, langsames Sterben ersparen kann", schrieb er damals in der "Welt". Offen ist, ob er diese Position weiter vertritt.

CDU/CSU: Beihilfe zur Selbsttötung nicht legalisieren

Bislang ist eine Regelung zur Suizidbeihilfe vor allem am Gegensatz zwischen Union und FDP gescheitert. Die Liberalen vertreten die Meinung, dass jeder einzelne entscheiden können solle, wie er sterben will. In der vergangenen Legislaturperiode hatte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) deshalb einen Gesetzentwurf vorgelegt, der lediglich die erwerbsmäßige und nur auf Gewinn angelegte Suizidbeihilfe verbieten wollte. Das Bundeskabinett billigte diesen Kompromiss; erst massiver Widerstand aus der Union stoppte ihn. Die Parlamentarier aus CDU und CSU sowie die Kirchen verwiesen darauf, dass im Umkehrschluss die Beihilfe zur Selbsttötung legalisiert worden wäre, sofern keine Gewinnabsichten im Spiel sind. Die Union will jegliche organisierte Form der Suizidbeihilfe verbieten.

Bild: ©picture-alliance/Christian Ender

Ein älterer Mann ist nach einem Schlaganfall ein Pflegefall. Er wird durch eine Magensonde künstlich ernährt.

Die Debatte über die Beihilfe zum Suizid flackert immer wieder auf. In der Schweiz verzeichnen die Sterbehilfeorganisationen Dignitas und Exit wachsenden Zulauf, auch aus Deutschland. Im Nachbarland ist Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt, sofern die Helfer keine eigennützigen Motive verfolgen.

Seit 2010 verschafft auch der vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründete Verein "SterbeHilfeDeutschland" sterbewilligen Mitgliedern über einen Arzt tödliche Medikamente. Der Jurist reagiert flexibel auf neue Rechtslagen: Bereits 2008 half er mit seinem Verein "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe" fünf Menschen beim Suizid und kassierte dafür jeweils 8.000 Euro. Nachdem ihm das vor Gericht verboten wurde, schwenkte Kusch auf eine Vereinslösung um: "SterbeHilfeDeutschland" hilft Patienten bei der Selbsttötung - ohne Honorar, aber nur bei bezahlter Mitgliedschaft. 2010 und 2011 hat der Verein nach eigenen Angaben 48 Menschen beim Suizid begleitet.

Recht auf aktive Sterbehilfe?

Angefacht wird die Debatte gegenwärtig auch von der Entwicklung im Nachbarland Belgien: Dort könnte in diesem Jahr auch Kindern das Recht auf aktive Sterbehilfe zugesprochen werden. In den vergangenen Tagen forderten daraufhin mehrere Prominente in Deutschland ein Recht auf aktive Sterbehilfe. Jedes Jahr würden von den Krankenkassen 100.000 Schwangerschaftsabbrüche bezahlt. "Warum soll es bei der Sterbehilfe nicht so gehen?", fragte der ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter, der nach einem Autounfall seit 1966 querschnittsgelähmt ist. Und der Literaturkritiker Fritz Raddatz erklärte, es sei unmenschlich, wenn ein Gesetz verhindere, dass Sterbewillige ihr Leben selbstbestimmt und mit ärztlicher Hilfe beenden könnten.

Widerspruch kam vom früheren SPD-Chef Franz Müntefering. "Hier soll aus Angst vor dem unsicheren Leben ein sicheres Ende gesucht und der präventive Tod zur Mode der angeblich Lebensklügsten gemacht werden", sagte er mit Blick auf Reiter und Raddatz. Nützlichkeitserwägungen und Perfektionssehnsucht vermischt mit Lebensüberdruss könnten sich zu einer gefährlichen Melodie vereinen.

Von Christoph Arens (KNA)