Mehr als eine "Brustkreuz-Affäre"
Wer nur das Kurzzeitgedächtnis bemüht, könnte 2016 aus kirchlicher Sicht für ein schlechtes Jahr halten. Schließlich brachte die Aufregung um die "Brustkreuz-Affäre" der Kirche in Deutschland bis in den Dezember hinein heftige Kritik und jede Menge schlechte Presse. Das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit wurde durch die Affäre - wieder einmal - beschädigt.
Mitte Oktober war eine gemeinsame Delegation von Deutscher Bischofskonferenz und Evangelischer Kirche in Deutschland (EKD) in das Heilige Land gereist. Der Besuch an den christlichen Ursprungsorten sollte eigentlich ein ökumenischer Höhepunkt des beginnenden Reformationsjubiläums werden. Doch es kam anders: Während die Teilnehmer zum Abschluss eine positive Bilanz zogen, entbrannte kurze Zeit später in einigen Medien eine heftige Debatte um den Besuch der deutschen Delegation auf dem Tempelberg.
Geste der Unterwerfung und Feigheit?
Dort hatten der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm bei der Besichtigung der islamischen Heiligtümer ihre Brustkreuze nicht offen sichtbar getragen. In manchen Medien und den sozialen Netzwerken wurde dies als "Einknicken" vor dem Islam und als Geste der Unterwerfung und Feigheit gedeutet. Der eigentliche Zweck der Reise und die ökumenisch-versöhnlichen Bilder aus dem Heiligen Land gerieten so völlig in den Hintergrund.
Doch wer 2016 auf Brustkreuze reduziert, wird dem kirchlichen Jahr nicht gerecht. Schließlich gab es rund um die katholische Kirche hierzulande noch wesentlich mehr zu berichten. Vor allem die Flüchtlingskrise sorgte dafür, dass die Kirche kontinuierlich - und weit überwiegend positiv - im Gespräch blieb.
Das bereits 2015 mit viel Schwung gestartete Engagement für Flüchtlinge wurde in diesem Jahr weiter ausgebaut und verstetigt. Laut offiziellen Zahlen der Bischofkonferenz wendeten die Bistümer und Hilfswerke allein bis Ende Juli 79,5 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe auf. Neben der finanziellen Hilfe unterstützte die Kirche ganz konkret vor Ort: Im Laufe des Jahres fanden rund 28.000 Flüchtlinge in fast 1.400 kirchlichen Gebäuden eine Bleibe. Getragen wurde die Hilfe aus dem Raum der Kirche von etwa 5.900 hauptamtlichen Mitarbeitern und mehr als 100.000 ehrenamtlich Engagierten, die der kirchlichen Flüchtlingshilfe ein Gesicht gaben.
Verbale Scharmützel mit der CSU
Wie wichtig der Kirche ihr Engagement für Flüchtlinge ist, konnte man auch im politischen Diskurs erleben. Vor allem die Bischöfe scheuten bei diesem Thema nicht vor Konflikten mit den Parteien zurück. Neben der deutlichen Abgrenzung zur AfD überraschte vor allem die teils heftig geführte Auseinandersetzung mit der CSU. Über Monate hinweg kam es zwischen der Kirche und der Partei mit dem "C" im Namen über die Frage des Umgangs mit der Flüchtlingskrise zu verbalen Scharmützeln. Unter anderem bei der Herbst-Vollversammlung der Bischöfe distanzierte sich Kardinal Marx deutlich von Forderungen der CSU nach repressiveren Maßnahmen gegen Flüchtlinge. Er sei "erschrocken und verärgert" über Äußerungen, die nur darauf abzielten, wie Deutschland Flüchtlinge loswerden könne, so Marx. "Diese Tonlage ist nicht hilfreich für die Integration Hunderttausender Flüchtlinge."
Die Flüchtlingskrise war auch ein zentrales Thema beim 100. Deutschen Katholikentag in Leipzig. Unter dem Leitwort "Seht, da ist der Mensch" trafen sich Ende Mai rund 34.000 Dauer- und 6.000 Tagesgäste in der sächsischen Messestadt. Weitere wichtige Themen des Glaubenstreffens waren die Zukunft Europas, der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland sowie der Dialog mit Nicht-Christen - angesichts von nur rund vier Prozent Katholiken in Leipzig ein besonders spannender Aspekt des Katholikentags.
Linktipp: Das war 2016
2016 war ein heiliges Jahr - jedenfalls wenn man das vom Papst ausgerufene Jubeljahr zum Maßstab nimmt. Doch auch abseits der Heiligen Pforten war jede Menge los. Katholisch.de blickt auf das Jahr zurück.Am Ende dieses Jahres noch weitgehend ungeklärt ist der weitere Umgang der deutschen Bistümer mit dem päpstlichen Schreiben "Amoris laetitia". Vor allem die Frage der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion wird auch mehr als ein Jahr nach der Weltfamiliensynode in der Kirche in Deutschland kontrovers diskutiert. Franziskus hatte das Thema in seinem Schreiben nur indirekt erwähnt. Er deutete aber an, dass die Normen der Sakramentenordnung nicht starr aufzufassen seien, sondern ihre Anwendung von der individuellen Schwere der Schuld abhänge. Wiederverheiratete Geschiedene könnten demnach in einigen Fällen auch die "Hilfe der Sakramente" in Anspruch nehmen.
Bislang haben sich nur wenige deutsche Bischöfe öffentlich zu dem Thema positioniert. Früh äußerte sich der Passauer Bischof Stefan Oster. In einer Handreichung an die Priester seiner Diözese schrieb er im Juli, die Geistlichen sollten wiederverheiratete Geschiedene, die die Kommunion empfangen, auf ihre spezielle Verantwortung hinweisen. Außerdem sollten sie die Gläubigen bitten, "diesen Zutritt nicht demonstrativ zu tun, sondern diskret". Auch der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann hat inzwischen eine Handreichung angekündigt. Für Wiesemann hat Franziskus mit Blick auf den Kommunionempfang "einen Weg zur Einzelfallentscheidung nach entsprechender Begleitung durch einen Seelsorger eröffnet".
Wenig erfreuliche Kirchenstatistik
Zuletzt meldete sich schließlich auch Kardinal Marx zu Wort: "Es gilt, in der pastoralen Begleitung die Gewissensentscheidung des Einzelnen zu formen und zu respektieren." Wiederverheiratete Geschiedene sollten nicht bis zum Ende ihres Lebens "wie in einer Sackgasse eingemauert sein", so der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Unklar ist trotz dieser Aussagen weiterhin, ob es noch ein gemeinsames Hirtenwort aller Bischof zu "Amoris laetitia" und den daraus resultierenden pastoralen Fragen geben wird.
Wenig erfreulich gestaltete sich für die Kirche einmal mehr die Veröffentlichung der kirchlichen Jahresstatistik im Juli. Zwar ging die Zahl der Kirchenaustritte 2015 im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurück - sie verharrte gleichwohl auf hohem Niveau. 181.925 Gläubige erklärten im vergangenen Jahr ihren Austritt aus der katholischen Kirche. Allerdings wiesen die Zahlen auch positive Entwicklungen aus: So stieg die Zahl der Taufen und Trauungen 2015 laut Statistik erstmals seit mehreren Jahren wieder an.
Wenig glänzend präsentierte sich 2016 die Kirchliche Zusatzversorgungskasse (KZVK) - immerhin einer der größten privaten Finanzierer von Betriebsrenten und eines der wertvollsten kirchlichen Unternehmen. Die Kasse, die für die betriebliche Altersversorgung von rund 1,2 Millionen Beschäftigten der Kirche und der Caritas in Deutschland zuständig ist, war aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase in eine Schieflage geraten. Der Verband der Diözesen Deutschlands, der Rechtsträger der Bischofskonferenz, beschloss umfangreiche Reformen - etwa eine neue Organ- und Aufsichtsstruktur. Zudem entschied die KZVK, die Beiträge der Arbeitgeber schrittweise auf 7,1 Prozent zu erhöhen.
Umbruch in der Bischofskonferenz
In der Bischofskonferenz selbst setzte sich 2016 der personelle Umbruch fort. Dabei bedeutete vor allem der altersbedingte Rücktritt von Kardinal Karl Lehmann eine Zäsur. Nach fast 33 Jahren als Bischof von Mainz trat Lehmann am 16. Mai - seinem 80. Geburtstag - zurück. Noch ist unklar, wer ihm auf dem traditionsreichen Bischofsstuhl folgen wird.
Anders in Dresden-Meißen, Limburg und Aachen. Die drei Diözesen konnten 2016 neue Bischöfe begrüßen. In Dresden trat Heinrich Timmerevers die Nachfolge von Heiner Koch an, in Aachen folgte der Helmut Dieser auf Heinrich Mussinghoff. Den wohl schwierigsten Posten bekam Georg Bätzing. Der Generalvikar des Bistums Trier wurde Bischof von Limburg. Der 55-Jährige folgte damit auf Franz-Peter Tebartz-van Elst, der im Jahr 2014 im Zuge der Affäre um das neue Bischofshaus von seinem Amt zurückgetreten war.