Halbe Wahrheiten

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Franziskus gibt laufend Interviews. Nicht alle finden gut, dass ein Papst sich zu dergleichen herablässt, das sind dann oft dieselben, die Franziskus ohnehin wenig abgewinnen können und in ebenjenen Interviews viel Futter für ihre Meinung finden. Worauf man sich einigen kann: jedes Interview mit Franziskus ergänzt quasi von hinten, was er schreibt oder in Reden und Predigten sagt. Eine komplementäre Form der Verkündigung, und der Vatikan täte gut daran, auf seiner Webseite eine Rubrik mit diesen Papst-Interviews einzurichten, die bisher nirgends (warum, lasse ich offen) amtlich und gesammelt nachzulesen sind.
Neulich sprach Franziskus mit der belgischen Zeitschrift "Tertio", die längste Antwort galt den Medien. In schneidender Analyse skizzierte der Papst vier Versuchungen, denen Medien widerstehen sollen: Verleumdung, Ausgraben längst abgegoltener Fehler, Desinformation und Unsauberkeit. Nicht über den letzten Punkt will ich mich hermachen, er sorgte in gewissen Kreisen, siehe oben, für Furor, weil Franziskus einem nicht näher definierten Mediengenre mit einer Fachvokabel vorwarf, gern im Kot zu wühlen (einer jener Franziskus-Momente, wo sogar unsereins murmelte: muss das sein?).
Mich interessiert der Punkt "Desinformation". Franziskus identifiziert das mit Halbinformation: Weglassen einer Hälfte der Wahrheit. Der Nutzer kann sich kein seriöses Urteil bilden, er fällt leichter auf ein vorgefertigtes herein.
Hier geht es nicht um erfundene News wie die angebliche Rückendeckung des Papstes für Herrn Trump, nicht um fröhliche Propaganda à la "Russia today", nicht um selbstgewählte Blasen im Netz, während das große Ganze rundherum blubbert. Es geht um gefilterte Wahrheit. Ich werde den Eindruck nicht los, dass auch Medien, die ich für seriös halte, zunehmend der Versuchung erliegen, die Wahrheit zu dosieren. Ja, unangenehme Teile der Wahrheit sind eine Zumutung für aufgeklärte Zeitgenossen: die Staatsbürgerschaft von Tatverdächtigen. Der Gang des interreligiösen Dialogs in der Türkei. Als Journalistin kann ich die Beobachtung beisteuern, dass man derzeit für manche Themen beim besten Willen keine geeigneten Interviewpartner findet; keiner will Öl ins Feuer gießen. Als Nutzerin aber sehe ich, wer keine belastbare Information findet, riskiert in Blasen ab- und vielleicht nicht wieder aufzutauchen.
"Desinformation", sagte der Papst im jüngsten Interview, "ist wahrscheinlich der größte Schaden, den ein Medium anrichten kann." Da bin ich bei ihm.