Theologe: Vermarktung Luthers ist "erbärmlich"
Der Göttinger evangelische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann hat seiner Kirche eine "Vermarktung" Martin Luthers vorgeworfen. Sie sei "banal, erbärmlich, albern", sagte Kaufmann am Montag dem Berliner "Tagesspiegel". Er äußerte sich mit Blick auf ein "Luther-Bier" und einen "Playmobil-Luther", die im Rahmen des 500-Jahr-Gedenkens der Reformation verkauft werden. Es sei nicht hinnehmbar, "dass auch die evangelische Kirche Produkte dieser Art vertreibt".
Kaufmann: Luther kein Vorbild für Gegenwart
Der Historiker erklärte, bereits im 16. Jahrhundert habe eine "Heroisierung und Monumentalisierung" Luthers begonnen. "Luther hat Zeit seines Lebens vermutlich zu wenig dagegen getan", kritisierte Kaufmann. "Er hätte aber bestimmte Darstellungsweisen unterbinden können, so dass wir davon ausgehen, dass er sein stillschweigendes Einverständnis zu der bildpolitischen Vermarktung gab." So habe ihn die Maler-Werkstatt von Lucas Cranach anfangs als Stürmer und Dränger, dann als Hausvater und Ehemann und schließlich als "fetten Kirchenlehrer" dargestellt.
Linktipp: Häppchenweise Reformation
Zum Reformationsgedenken 2017 gibt es viele Souvenirs - wie Kekse, Quietscheenten oder sogar Reformationshämmer. Doch was haben Socken mit Martin Luther zu tun? Katholisch.de stellt zehn Artikel vor.Am Neujahrsabend hatte auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, dafür geworben, die Debatte um derartige Werbeartikel nicht zu hoch zu hängen. Es gehe bei den Feierlichkeiten nicht "um Luther-Playmobilfiguren, Luther-Socken oder Reformationsbonbons". Diese seien lediglich "Türöffner" für das Hören auf die Botschaft Christi.
Kirchenhistoriker Kaufmann bezeichnete nun eine Vorbildrolle des Reformators für die Gegenwart als abwegig. Dessen Wirkung habe sich "historischen Umständen verdankt, die sich grundsätzlich von unseren unterscheiden". Luther könne jedoch eine Anregung sein "etwa als Sprachmeister und als Ausleger biblischer Traditionen", so der Historiker. "An dieser Gestalt wird deutlich, welche Rolle Religion politisch und gesellschaftlich spielen kann, im Guten wie im Schlechten."
Allerdings sieht Kaufmann bei Martin Luther eine vormoderne Form des Antisemitismus. Zwar sei der Reformator primär von religiösen Motiven in seinem Verhältnis zum Judentum bestimmt. Darüber hinaus gebe es bei Luther aber Formulierungen, die die Juden auf biologistische Art und Weise als bestimmte Menschenklasse ansprächen. "Da wird es antisemitisch", so das Urteil des Historikers.
„An dieser Gestalt wird deutlich, welche Rolle Religion politisch und gesellschaftlich spielen kann, im Guten wie im Schlechten“
"Diese Vorstellungen, die mit biblischen Befunden nichts mehr zu tun haben und von einer geradezu naturhaften Andersartigkeit der Juden ausgehen, sind für mich vormoderne Formen dessen, was dann ab dem späten 18. Jahrhundert rassetheoretisch ausformuliert wurde". Erfunden habe Luther diese Form des Antisemitismus jedoch nicht. Ein "Konzept der Geblütsreinheit als Motiv zur Vertreibung der Juden" sei bereits im Spanien des 15. Jahrhunderts verwendet worden.
Wegkommen von Debatten über Minarette und Kopftücher
Vom Reformationsgedenkjahr erhofft sich Kaufmann "eine offene gesellschaftliche Diskussion über die Bedeutung der Religion unter den Bedingungen der Gegenwart". Wörtlich fügte er hinzu: "Wir müssen wegkommen von den emotional aufgeladenen Symboldebatten über Minarette und Kopftücher." Das "Reformationsjubiläum" könne dazu beitragen, sich klar zu machen, wie lange der Weg der christlichen Konfessionen zur Toleranz gewesen sei. "Dann wird das auch zu einer gewissen Gelassenheit im Umgang mit dem Islam beitragen." (gho/KNA)
02.01.2017, 17:00 Uhr: ergänzt um Statement von Heinrich Bedford-Strohm