"Die Aufhebung des Zölibats würde helfen"
Frage: Herr Müller, welche Rolle spielt Einsamkeit bei katholischen Geistlichen?
Wunibald Müller: Es ist ein großes Thema, zum einen bei kirchlichen Mitarbeitern, aber in besonderer Weise bei Priestern. Das hängt mit dem Zölibat zusammen. Es gibt niemanden, der für einen da ist, wenn man nach Hause kommt - keine signifikante Person, die mich kennt. Und manche Priester haben den Zölibat insofern falsch verstanden, dass sie keine innigen, tiefen Beziehungen zu anderen Menschen haben dürfen. Diese fehlen dann.
Frage: Welche Auswirkungen hat Einsamkeit auf Menschen?
Müller: Man muss unterscheiden: Es gibt die selbstgewählte Einsamkeit, die spirituell bedeutend sein kann. Aber es gibt auch eine Erfahrung, bei der ich mich isoliert erlebe - wirklich alleingelassen. Mein Bedürfnis nach Zweisamkeit kommt nicht zum Zug. Diese Leere wird etwa bei manchen Priestern durch zu viel Essen und Trinken ersetzt. Eine weitere Tendenz, das zu kompensieren, ist Cybersex im Internet. Das hat bei kirchlichen Mitarbeitern und Priestern in den letzten Jahren zugenommen.
Frage: Man ist ja nicht ohne Partner automatisch einsam. Gibt es da eine spezielle Form der Einsamkeit bei Priestern?
Müller: Es gibt sie, da ein Priester mit der bestimmten Rolle, die er erfüllen muss, viel mehr seine Bedürfnisse bei sich behält. Die Fähigkeit, einen normalen Kontakt zu Menschen zu pflegen, bleibt oft auf der Strecke. Dabei wäre das ganz wichtig, um auch mal Gefühle wie Wut und Ärger zum Ausdruck zu bringen.
Frage: Der Zölibat ist aber nun mal eine Voraussetzung für das Priesteramt.
Müller: Wenn man ein solches Leben von jemandem erwartet, müsste man ihn darauf vorbereiten - unabhängig von der spirituellen und der wissenschaftlichen Ausbildung. In dem offenen Brief der Kölner Priester wird auch deutlich, dass sich das Fehlen einer signifikanten Person im Alter verschärft auswirkt. In jüngeren Jahren kann man das durch Aktivität verdrängen. Doch irgendwann stellt der Geistliche fest: Ich bin alleine. Die Vorbereitung darauf ist in den letzten Jahrzehnten übergangen worden, weil man das zölibatäre Leben oft spirituell überhöht hat.
Linktipp: Aufbruch in der Warteschleife
Kürzlich sprachen sich elf Pfarrer in einem offenen Brief unter anderem für die Weihe von Frauen und gegen den Pflichtzölibat aus. Doch diese Forderungen sind nicht neu. Was hat sich inzwischen getan?Frage: Wäre dann eine Aufhebung der verpflichtenden Ehelosigkeit ein Weg?
Müller: Die Aufhebung des Zölibats würde helfen. Ich kann da als jemand sprechen, der die Not der Priester 25 Jahre gesehen hat: Es wäre schön, wenn man genauer hinschauen und entsprechend entscheiden könnte, was für ein Charisma eine Person hat: Hat sie das Charisma für ein eheloses Leben oder ist es für sie besser zu heiraten? Viele Priesterausbilder haben mir gesagt, dass sie eine Reihe von angehenden Geistlichen erlebt haben, die auch ein guter Ehemann und Vater geworden wären. In der orthodoxen Kirche ist etwa eine Heirat vor der Weihe möglich. Das wäre ein Weg und würde viel entschärfen.
Frage: Auch das katholische Pfarrhaus war lange kein Singlehaushalt.
Müller: Es war früher sicher leichter, wenn Kapläne da waren; manchmal war es auch die Mutter oder die Schwester - auf jeden Fall jemand Vertrautes. Und es gab eine größere Nähe zu den Gemeindemitgliedern, ein Priester war mehr mitgetragen. Der Zölibat wurde auch viel mehr von der Gemeinde gewürdigt. Das bricht alles weg. Die Einsamkeit ist größer geworden. Deshalb ist es richtig, wenn man Geistliche unterstützt, wenn sie etwa in einer Kommunität leben wollen. Und Bischöfe müssten sich in Rom bei der Frage des Zölibats mehr zum Anwalt ihrer Priester machen, sich dafür stark machen, dass die Lebensform freigestellt wird.