Souverän auf Augenhöhe?
Der Konflikt um die Entlassung des Großkanzlers des Malteserordens, Albrecht von Boeselager, beschäftigt den Orden wie den Vatikan weiter. Während der Orden selbst auf seiner Souveränität besteht und sich eine Einmischung des Papstes verbittet, besteht der im Gegenzug darauf, dass der Ritterorden sich von einer fünfköpfigen Untersuchungskommission auf die Finger schauen lässt. Die Verfahrensfrage greift das Selbstverständnis der Malteser an: Sind sie nicht nur dem Namen und dem Völkerrecht nach souverän, oder sind sie trotz ihrer Sonderstellung im weltlichen Recht dem Papst wie alle anderen in der Kirche unterstellt?
Bewegte Geschichte
Der Souveräne Malteserorden besteht genau darauf: Souverän zu sein. Das hat Tradition. Schon bevor der Begriff "Souveränität" überhaupt durch den Staatstheoretiker Jean Bodin im 16. Jahrhundert in die juristische Sprache eingegangen ist, hatten die Ritter eine besondere Rechtsstellung. Bald nach seiner Gründung im 11. Jahrhundert zur Zeit des ersten Kreuzzugs hatten sie vereinzelt Vorrechte, die ansonsten nur Staaten zukommen, etwa die Möglichkeit, Gesetze zu erlassen und völkerrechtliche Verträge zu schließen, und bald auch ein eigenes Herrschaftsgebiet.
Linktipp: Feuer im Malteserorden
Eine pikante Personalie wirbelt den Souveränen Malteserorden auf. Der deutsche Großkanzler des Ritterordens, Albrecht Freiherr von Boeselager, ist nicht mehr im Amt. War er zu liberal?Über die Zwischenstationen Zypern und Rhodos gelangte der Orden 1530 nach Malta. Den Namen der Mittelmeerinsel trägt der Orden heute noch in seiner kurzen Bezeichnung. (Vollständig lautet der Name "Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom heiligen Johannes von Jerusalem von Rhodos und von Malta – früher zu Jerusalem, genannt von Rhodos, genannt von Malta".) Gut 250 Jahre stand Malta unter der Herrschaft der Ritter, bis sie 1798 von Napoleon vertrieben wurden. Damit endete die Zeit, in der der Malteserorden eine der üblichen Grundbedingungen für staatliche Souveränität vorweisen konnte: Ein Staatsgebiet.
Souverän und Völkerrechtssubjekt blieb der Orden dennoch, auch wenn vom Staatsgebiet nichts mehr übrig war. Der Wiener Kongress sprach Malta zwar England zu, dennoch blieb der Malteserorden souverän, wie der Vertrag von Verona, Ergebnis des letzten der Monarchenkongresse der "Heiligen Allianz" der Sieger über Napoleon, im Jahr 1822 festlegte. Ab 1834 war die Zentrale des Ordens dort, wo sie heute noch ist: in Rom. Die Villa del Priorato di Malta auf dem Aventin und der Palazzo di Malta in der Via dei Condotti sind zwar kein eigentliches Staatsgebiet, haben jedoch exterritorialen Status – wie es für Botschaften üblich ist.
Eigene Briefmarken, eigene Währung, eigene Pässe
Heute ist der Orden eines von nur drei anerkannten originären nichtstaatlichen Völkerrechtssubjekten, Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten: Neben den Maltersen haben auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und der Heilige Stuhl (das ist der Papst in seiner Funktion als Oberhaupt der Kirche) diesen Status. Eigene Briefmarken, eine eigene Währung und eigene Autokennzeichen sind nur die offensichtlichsten Ausflüsse dieses besonderen rechtlichen Status. Dazu kommen die diplomatischen Möglichkeiten, die er mit sich bringt: Mit über 100 Staaten unterhält der Orden diplomatische Beziehungen und ist ständiger Beobachter bei internationalen Organisationen wie der UNO. Auch eigene international anerkannte Pässe kann der Orden ausgeben; dies nutzt er etwa, um Flüchtlingen einen rechtlichen Status zu geben und ihre Betreuung zu ermöglichen.
Vor allem aber bedeutet Souveränität: Völkerrechtssubjekte gehen auf Augenhöhe miteinander um. Auch kleinste Staaten wie Andorra oder Liechtenstein stehen diplomatisch auf einer Stufe mit Ländern, die Millionen und Milliarden Einwohner haben. Es gilt der Grundsatz "Par in parem non habet imperium", dass "Gleiche über Gleiche keine Macht haben" – und das führt im Verhältnis zwischen den Maltesern und dem Vatikan zu Konflikten: Was bedeutet es, einerseits souverän, andererseits katholisch zu sein? Denn beides beansprucht der Orden für sich – und beides spricht ihm auch der Vatikan zu. Seit dem 12. Jahrhundert sind die Ordensregeln kirchlich anerkannt, beginnend mit den ursprünglichen Regeln des Meisters Raimund de Puy, die 1113 und 1145 vom Papst genehmigt wurden, bis hin zur jüngsten Genehmigung der Ordensverfassung durch Apostolisches Breve am 24. Juni 1961.
Wie sich Kirchlichkeit und Souveränität zueinander verhalten, ließ Papst Pius XII. klären. Ein von ihm eingesetztes Kardinals-Tribunal unterscheidet zwischen der weltlichen Souveränität des Ordens als Körperschaft, ordo, und der kirchlichen Oberherrschaft des Papstes über den Orden als kirchliche Körperschaft, religio. Die Souveränität des Ordens wird hier als "funktionale" beschrieben: Sie dient dazu, das Ziel des Ordens zu erreichen. Damit ist sie auch nicht absolut, sie ist abhängig davon, dass der Orden seine religiöse Zielsetzung und Eigenart behält. Würde der Orden seine Kirchlichkeit aufgeben, würde nach diesem Verständnis also auch die Grundlage seiner Souveränität verloren gehen.
Interner Vorgang oder nicht?
In diesem Spannungsfeld bewegt sich der aktuelle Konflikt. Der Orden besteht darauf, dass die Entlassung Boeselagers ein interner Vorgang ist. Die Klärung obliege daher dem Orden – entweder durch Kompromiss oder mit Hilfe der ordensinternen Gerichtsbarkeit, die Boeselager selbst mittlerweile angerufen hat. Der Vatikan dagegen verweist auf die Verfassung des Ordens, in denen die Mitglieder im Artikel 62 auf Gehorsam gegenüber dem Papst verpflichtet werden. Der Orden wiederum verweist ebenso auf seine Verfassung, die in Artikel 4 die Mitglieder des Ordens allein ihren jeweiligen Ordensoberen unterstellt.
Den Umfang der Handlungsvollmacht, den Jurisdiktionsprimat, beschreibt das Kirchenrecht in Übereinstimmung mit den Dokumenten des Ersten und Zweiten Vatikanischen Konzils im can. 331: Der Papst verfügt "kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann". "Unmittelbare Gewalt" bedeutet dabei, dass der Papst in der Kirche jederzeit überall eingreifen kann – nicht wie ein letztinstanzliches Gericht erst am Schluss und wenn er angerufen wird, sondern dort, wo er es für angemessen hält.
Hilfswerke: Malteser International
Bei Malteser International handelt es sich um das weltweite Hilfswerk des gleichnamigen Ordens. Katholisch.de stellt wissenswerte Informationen rund um das katholische Hilfswerk vor.Eine auf den 10. Januar datierte Stellungnahme der Malteser spricht in reichlich undiplomatischen Worten dem Papst und der vatikanischen Untersuchungskommission die Kompetenz ab, im Fall Boeselager tätig zu werden: "In Anbetracht der rechtlichen Irrelevanz dieser Gruppe [der Untersuchungskommission] und ihrer Ergebnisse in Bezug auf die rechtliche Strukturen des Malteserordens hat der Orden entschieden, nicht mit ihr zu kooperieren." Eine Woche darauf, am 17. Januar, antwortet der Vatikan, ebenfalls per öffentlichem Kommuniqué: "Der Heilige Stuhl baut auf die volle Kooperation aller in dieser so delikaten Phase, und erwartet den Bericht [der Untersuchungskommission], um im Rahmen seiner Zuständigkeit die angemessenen Entscheidungen zum Wohl des Malteserordens und der Kirche zu treffen."
Wenn Gleiche über Gleiche richten
Nach weltlichem Recht ist die Lage recht eindeutig: Gleiche richten nicht über Gleiche, weder der souveräne Vatikan noch der souveräne Heilige Stuhl können und dürfen über den Souveränen Malteserorden richten. Nach kirchlichem Recht ist das nicht so selbstverständlich. Im "Catholic Herald" argumentiert der Kirchenrechtler Ed Condon, der Papst müsse zunächst, wie es in der kirchlich genehmigten Ordensverfassung festgelegt ist, durch einen offiziellen Akt die Vorrechte des Ordens aufheben. "Die Rechte, Regeln und Privilegien, die dem Orden durch den Papst gewährt sind, sind in Kraft, solange sie nicht ausdrücklich aufgehoben werden", heißt es im Artikel 4 der Verfassung. Da der Papst sie nicht ausdrücklich aufgehoben habe, hätte die Untersuchungskommission keinerlei Rechte im Innenverhältnis des Ordens.
Diese Argumentation steht und fällt aber mit der Frage, ob sich der Papst selbst durch sein von ihm oder seinen Vorgängern erlassenes Recht binden kann. Mit anderen Worten: Kann sich der Papst selbst rechtlich wirksam darauf verpflichten, in Zukunft in einer bestimmten Weise zu handeln?
Als oberster Richter kann der Papst jederzeit alle rechtlichen Fragen in der Kirche an sich ziehen und entscheiden. Das bedeutet aber auch, dass eine Regelung wie in der Ordensverfassung der Malteser, selbst wenn sie vom Papst selbst in Kraft gesetzt wird, den Papst später nicht binden kann – selbst wer dem nicht zustimmt, müsste doch zumindest konzedieren, dass der oberste Verwaltungsrichter, der darüber eine verbindliche Entscheidung fällen könnte – der Papst selbst ist. Bestenfalls handelt es sich dabei also um eine Absichtserklärung.
Es ist aber eine Absichtserklärung, die guten Willen signalisiert. Bisher waren die Verhältnisse zwischen Heiligem Stuhl und Malteserorden, trotz Jurisdiktionsprimat, von Respekt und diplomatischer Verbindlichkeit geprägt. Unter Papst Franziskus scheint sich das zu verändern – selten hat man aus der Kirche so scharfe Töne gegen den Papst gehört wie jetzt von den Maltesern, die auf ihre Souveränität pochen. Das kann auf Gegenseitigkeit beruhen: Gewisse Animositäten bestehen schon länger; 2008 sollen führende Malteser versucht haben, so berichtet der gewöhnlich gut informierte Vatikanist Austen Ivereigh, den damaligen Kardinal Bergoglio zugunsten eines Bischofs aus den Reihen des Ordens vom Bischofsstuhl von Buenos Aires zu verdrängen. Auch die Versetzung Kardinal Raymond Leo Burkes von der Apostolischen Signatur zum Malteserorden, vom Präfekten zum Kardinalpatron, kann man wohl weder als Beförderung des Kardinals noch als Wertschätzung des Ordens verstehen.
Weniger Recht als Politik
Der Konflikt zwischen Heiligem Stuhl und Maltesern ist daher weniger eine rechtliche Frage, auch wenn – vor allem seitens des Ordens – rechtliche Argumente vorgebracht werden. Es ist eine politische Frage, eine Frage der Klugheit: Wenn der Papst die über Jahrhunderte gewachsene Stellung des Ordens kirchenrechtlich angreift – welche Auswirkungen hat das auf den weltlichen Anspruch des Ordens auf Souveränität, der – hier stimmen Vatikan und Orden überein – ohne die Kirchlichkeit des Ordens nicht zu halten ist? Will Franziskus den wichtigen Orden, der weltweit wegen seines humanitären Engagements Respekt und Anerkennung genießt, verprellen? Wird das Auswirkungen auf das Ansehen des Ordens in Konfliktregionen haben, im Umgang der Helfer des Ordens mit problematischen Regimen und zwischen den Fronten? Der Papst kann seinen Jurisdiktionsprimat ausüben – jederzeit, unmittelbar. Ob das klug ist, so mit seinem souveränen Gegenüber umzuspringen: Das muss er entscheiden. Ganz diplomatisch.