Neue Mission für die muttersprachlichen Gemeinden
Wenn in den vergangenen zwei Jahren über Zuwanderung gesprochen wurde, richtete sich der Fokus meist auf Flüchtlinge. Weniger Beachtung findet die große Gruppe an EU-Bürgern, die nach Deutschland einwandert. Von den mehr als zwei Millionen Zuzügen im Jahr 2015 kamen mehr als 750.000 Personen aus der EU. Und ähnlich wie Flüchtlinge brauchen Migranten zunächst Unterstützung von Muttersprachlern, um sich in Deutschland einzufinden. Hier kommt die Kirche ins Spiel und bildet sogenannte Migrationslotsen aus.
Einer der Ausbilder ist Thomas Raiser. "Seit vier, fünf Jahren merken wir deutlich, dass die Zuwanderung aus mittel- und südeuropäischen Staaten stark zunimmt," sagt der Pastoralreferent der italienischen Kirchengemeinden in Waiblingen, Kirchheim und Nürtingen südöstlich von Stuttgart. Knapp 90.000 Italiener gehörten zur Diözese Rottenburg-Stuttgart; 4.000 mehr als 2006. Innerhalb von zehn Jahren habe sich auch die polnische Gemeinde in der von 14.000 Mitgliedern auf 36.000 mehr als verdoppelt und die Zahl der kroatischen Muttersprachler sei von knapp 45.000 im Jahr 2006 auf 57.000 Ende 2015 gewachsen. "Häufig sind die muttersprachlichen katholischen Gemeinden eine erste Anlaufstelle für die Migranten", sagt Raiser.
Concetta Iapichino betreut neuzugezogene Italiener
Die Seelsorger können die Anfragen nicht allein bewältigen, haben aber oft engagierte Gemeindemitglieder, die sich gerne um die neu Hinzugezogenen kümmern. Wie Concetta Iapichino, die bereits als Baby nach Deutschland kam und sich in der italienischen Kultur so gut auskennt wie im schwäbischen Dialekt. Die 50-Jährige (im Bild links) hatte schon immer gerne ausgeholfen: "Als Lesepatin, in der Mensa oder wenn meine griechisch- oder türkischsprachigen Freundinnen Probleme hatten, irgendwelche Formulare auszufüllen". Als sie von ihrem Pfarrer gefragt wurde, ob sie Migrationslotsin werden wolle, sagte sie sofort zu.
Iapichino kann sich noch an die italienische Gemeinde seit den 1970er Jahren erinnern. Es seien aber noch nie so viele Menschen gekommen, wie in den vergangenen drei Jahren. Weil breit gefächertes Programm für Junge, Alte, Kultur- und Reiseinteressierte geboten wird, treffen sich auf den Veranstaltungen der Gemeinde auch viele Italiener, die mit Kirche nicht viel zu tun haben. Derzeit betreut Iapichino ein Ehepaar aus Norditalien. Mit der Arbeit hat es schon geklappt. Jetzt hoffen die beiden, die bei älteren Menschen der Gemeinde untergekommen sind, auf eine Wohnung der Baugenossenschaft.
Seit Oktober gab es sechs Treffen für die neun Migrationslotsen, die alle aus Familien mit italienischen, kroatischen und griechischen Wurzeln stammen. Am Samstagabend feiern sie einen Aussendungsgottesdienst in Wendlingen. Das Pilotprojekt der schwäbischen Diözese wurde in Kooperation mit zwei Caritas-Zentren durchgeführt. "Die ehrenamtlichen Lotsen wurden soweit fit gemacht, dass sie die Migranten auf den ersten Schritten begleiten und dann zum selbstständigen Agieren fähig machen können", berichtet Raiser.
Abstand zu den Problemen der anderen gewinnen
In der 20-stündigen Ausbildung wurden die Lotsen über soziale Hilfsnetze und Leistungen informiert und haben gelernt, wie man mit Menschen mit ganz anderer kultureller Lebensart in Dialog kommt. Iapichino ist eigentlich für Neuzugezogene der italienischsprachigen Gemeinde zuständig. Aber sie kann sich nun auch vorstellen, Flüchtlingen und Migranten aus Afrika zu helfen, "auch wenn das von der Sprache schwierig werden könnte".
Das wichtigste, was Iapichino gelernt hat, war, dass sie nun emotional Abstand halten kann. "Früher wurden die Probleme der Menschen, denen ich helfen wollte, auch zu meinen Problemen", erzählt sie. "Einen jungen Mann, der im Alter meines Sohnes war, habe ich nach Hause eingeladen, war bei seinen Bewerbungsgesprächen dabei und irgendwann habe ich ihn sogar im Auto durch die Stadt kutschiert." Als es zu privat wurde, musste sie lernen, besser zu trennen.
Nun trifft sich Concetta Iapichino mit den Neuzugezogenen im Büro der Kirchengemeinde oder in einem Cafe vor der Behörde, die sie gemeinsam aufsuchen. "Da besprechen wir, worum es bei dem Behördengang geht". Viele Nachbesprechungen finden telefonisch statt. "Der Kurs hat mir ermöglicht, den Menschen besser zu helfen und das bereitet mir große Freude", sagt sie.