Der Traum von einer anderen Kirche
Maria Herrmann will den Tabubruch. Das jedenfalls sagt die Theologin, wenn man sie nach dem Ziel der ökumenischen "W@nder-Konferenz" fragt. Zu der treffen sich in der kommenden Woche in der Eisfabrik in Hannover 120 Männer und Frauen, denen eins gemeinsam ist: Sie wollen die Kirche verändern.
Das Potential des Fremdseins
"Die Konferenz richtet sich an alle, die dieses seltsame Gefühl kennen: Sie gehören zur Kirche und doch fühlen sie sich in ihr fremd, ecken an", erklärt Herrmann. Zusammen mit ihrer evangelischen Kollegin Sandra Bils vom ökumenischen Projektbüro "Kirche²" hat die Katholikin die Konferenz organisiert. Die beiden sind der Ansicht, dass das Gefühl des Fremdseins geradezu gefördert werden müsse. Sie sehen darin kein Problem, sondern ein riesiges Potential - nämlich das, die Kirche zu verändern. Menschen, die in der Kirche aneckten, hätten schließlich so etwas wie eine "missionarische Ahnung": "Das, was diese Menschen innerhalb der Kirche als fremd empfinden, ist vielleicht das, was die Menschen außerhalb an Kirche gar nicht mehr verstehen", erklärt Herrmann.
Und weil solche kirchliche "Pioniere" oder "Loyale Radikale", wie Herrmann sie auch nennt, sich WUNDERN und wie WANDERER zwischen den Welten sind, bekam die Konferenz den Namen "W@nder". Entsprechend bedient sich auch das Programm im Vokabular von Wanderern und Bergsteigern: Als "Abmarsch" wird der thematische Einstieg bezeichnet, als "Seilschaften" die Gelegenheit zum Austausch, als "Geführte Wanderung" die Keynotes und als "Route1" und "Route2" die Workshops. Die Tagung soll Züge eines Barcamps tragen, bei dem die Teilnehmer selbst den Verlauf bestimmen können.
Das Konzept mag zunächst abstrakt klingen, doch die Idee kommt gut an. Schon seit Oktober 2016 ist die W@nder-Konferenz ausgebucht. Die Teilnehmer, die sich rechtzeitig angemeldet haben, sind bunt zusammengewürfelt aus Katholiken und Protestanten, Haupt- und Ehrenamtlichen, Geweihten und Laien, Frauen und Männern, Jüngeren und Älteren. Und genauso ist es bezweckt: Jeder soll seine Fähigkeiten und Perspektiven einbringen, keine der Gruppen unter sich bleiben, sondern alle sich gegenseitig austauschen.
Dieses Konzept haben sich Herrmann und Bils nicht selbst ausgedacht, sondern aus Großbritannien mitgebracht. Denn die anglikanische Kirche beschäftigt sich schon länger mit der Frage, wie sie sich angesichts schwindender Mitgliedszahlen weiterentwickeln und das Gemeindeleben wieder neuen Schwung bekommen kann. Die Theologen Jonny Baker und Cathy Ross haben in einem Buch das Gefühl des Fremdseins in der Kirche als "Gift", also als Geschenk bezeichnet, das eine starke Wirkung haben kann. "Das Buch hat meine Perspektive radikal verändert", erzählt Herrmann. Baker und Ross sprechen außerdem von einer "mission shaped church", wollen die Kirche also von ihrer konkreten Aufgabe und Sendung her geprägt sehen. Als gelungenes Beispiel dafür nennt Herrmann die kirchliche Flüchtlingshilfe: "Es ist toll, welcher Schwung dadurch in manche Gemeinden gekommen ist, weil sie auf einmal gemerkt haben: Das macht ja Sinn, was wir hier tun".
Einen der beiden Impulse wird Jonny Baker halten und dabei sein Konzept näher erklären. Der zweite kommt aus der Wirtschaft. Unternehmerin Anna Brandes macht sich das gleiche Prinzip zu eigen und rät Firmen, gerade Querdenker zu fördern, da diese neue Impulse und Ideen einbringen könnten.
Die innere Haltung verändern
Aber werden am Ende der Konferenz neben vielen Diskussionen auch konkrete Ergebnisse stehen? Das ist für Maria Herrmann nicht entscheidend. Schon, wenn die Teilnehmer ins Nachdenken kommen, ist für sie viel erreicht. "Vielleicht ändert sich bei manchen Entscheider ja etwas an der inneren Haltung: Dass sie offener werden gegenüber Menschen, die anders denken - das auch in Bezug auf den theologischen Nachwuchs an Universitäten und in Priesterseminaren". Und auch im Kleinen könne die Konferenz ganz konkrete Folgen haben, zum Beispiel, wenn Menschen dadurch den Mut finden, in ihrer Gemeinde das Konzept für eine neue Gottesdienstreihe einzubringen. Wichtig ist Herrmann aber vor allem eines: "Alle Wunderer und Wanderer, alle die sich fremd fühlen, sollen wissen: Ihr seid nicht allein".