Kirchen in Deutschland betonen Einigkeit in ethischen Fragen

Gemeinsam für die Menschenwürde

Veröffentlicht am 15.02.2017 um 14:15 Uhr – Lesedauer: 
Ethik

Bonn ‐ Wann beginnt menschliches Leben? Die Frage beantworten evangelische und katholische Kirche unterschiedlich. In einer neuen Studie betonen sie nun aber grundsätzliche Einigkeit in ethischen Fragen.

  • Teilen:

Die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland haben ihre grundsätzliche Einigkeit in ethischen Fragen betont. "Auch hier gilt: Uns eint mehr, als uns trennt", sagte Ökumenebischof Gerhard Feige am Mittwoch in Bonn. Er äußerte sich anlässlich der Veröffentlichung einer gemeinsamen Studie der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).

Manche sahen die Ökumene bereits als gescheitert

"Gott und die Würde des Menschen" lautet der Titel des 170-seitigen Papiers der dritten bilateralen Arbeitsgruppe von DBK und VELKD. "Wir sind in unserem langen und intensiven Gesprächsprozess zu dem Ergebnis gekommen, dass es eine grundlegende Übereinstimmung in der Anthropologie und ebenso eine breite Gemeinsamkeit in der Ethik gibt", betonte Feige. DBK und VELKD hätten einen "mutigen Entschluss gefasst", als man die Arbeitsgruppe im Jahr 2009 eingerichtet habe, so der Magdeburger Bischof weiter. Er erinnerte an die seinerzeit sehr kontrovers geführte Debatte über die Stammzellforschung in Deutschland. "Die Positionen, die auf evangelischer Seite hierzu eingenommen wurden, lösten auf katholischer Seite bisweilen starke Irritationen aus." Damals offenbarte sich eine Uneinigkeit in der Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens. Dies habe bei manchen zu drastischen Konsequenzen geführt: "Von einem Ende der Ökumene war gar die Rede", so Feige.

Auch der Catholica-Beauftragte der VELKD, Landesbischof Karl-Hinrich Manzke, erinnerte an die bioethischen Diskussionen der vergangenen Jahre. Damals habe in den Kirchen der Verdacht im Raum gestanden, "dass gemeinsame Positionen verlassen wurden". Die Ökumene sei aber nur dann auf einem guten Weg, "wenn solche Irritationen offen angesprochen und bearbeitet werden", sagte Manzke in Hannover. Diese Differenzen habe die nun vorgestellte Studie zwar nicht auflösen, aber erklären wollen, so Feige.

Themenseite: Ökumene

Die Themenseite gibt einen Überblick über die aktuelle Berichterstattung von katholisch.de rund um das Thema Ökumene.

In der Studie heißt es nun, der grundsätzliche ethische Konsens werde auch "durch Differenzen in einigen wenigen, eng begrenzten, wenngleich wichtigen Fragen der Ethik" nicht erschüttert. So stellen die Autoren schon zu Beginn des zentralen Abschnitts der Studie klar, dass die Differenzen "keinen kirchentrennenden Charakter haben".

Laut der Studie sind die differierenden Positionen beider Kirchen zu bestimmten Fragen dennoch nicht zu übersehen. Dies sei unter anderem auf die unterschiedliche Anwendung ethischer Prinzipien zurückzuführen. So betone die evangelische Seite die Gewissensentscheidung des Einzelnen, wobei es keine "letzte Autorität eines Lehramtes für die Wahrheit und Richtigkeit einer Entscheidung" gebe. Eine "materiale Ethik" sei zwar möglich, könne jedoch "nicht ein für allemal" festgelegt werden. "Aus katholischer Sicht ist zu betonen, dass sich die genuine Kompetenz des Lehramtes auch auf Fragen der Moral bezieht", führen die Autoren weiter aus. Diese Prämisse solle die Gewissensentscheidung der Gläubigen nicht obsolet machen, sondern vielmehr "die ethische Debatte bereichern".

Ab wann ist der Mensch ein Mensch?

Die Theologen arbeiten ethische Differenzen zwischen den Kirchen an drei Beispielen heraus: das Problem der Kinderarmut, die Debatte um assistierten Suizid sowie die gesetzliche Neuordnung der Stammzellforschung vor knapp zehn Jahren. Beide Seiten seien "davon überzeugt, dass schon vor der Geburt eines Menschen die Geschichte Gottes mit ihm begonnen hat". Unterschiede gebe es jedoch in der Frage, ab wann von einem "Menschen" zu sprechen sei. So sieht die katholische Kirche in der Verschmelzung von Samen und Eizelle den Moment den Beginn des Lebens; "deshalb muss die befruchtete Eizelle bereits vor der Einnistung geschützt werden". Auf evangelischer Seite gebe es jedoch unterschiedliche Positionen. Darunter jene, "dass der Embryo nicht von Anfang an als Mensch anzusehen ist, sondern sich erst 'zum Menschen' entwickelt". Somit gebe es auch eine "abgestufte Schutzwürdigkeit".

Beide Kirchen könnten der jeweils anderen Seite positive Sichtweisen abgewinnen, heißt es im Papier. So würdigten Katholiken die "verantwortungsethischen Motive" der evangelischen Position. Gleichwohl könnten sie diese nicht teilen und wiesen eine "gelegentlich erhobene Kritik" zurück, wonach die katholische Kirche "einem metaphysisch aufgeladenem Naturalismus" erliege. Auf evangelischer Seite würdige man "die Eindeutigkeit der katholischen Position und die Konsequenz, mit der jede verbrauchende Forschung an Embryonen abgelehnt wird". Gleichwohl würden manche Vertreter die naturrechtliche Begründung ablehnen und darin einen unmenschlichen Rigorismus sehen.

"Ich finde, die Arbeit hat sich gelohn": Ökumenebischof Gerhard Feige lobt die das Ergebnis der Arbeitsgruppe.
Bild: ©dpa

"Ich finde, die Arbeit hat sich gelohn": Ökumenebischof Gerhard Feige lobt die das Ergebnis der Arbeitsgruppe.

"Die wesentlichen Elemente einer gemeinsamen theologischen Anthropologie sind unstrittig", schlussfolgern die Autoren. Konfessionelle Differenzen könnten als wechselseitige Bereicherung gewertet werden. Daher seien auch gemeinsame Stellungnahmen zu ethischen Fragen weiterhin möglich und nötig. Ziel sei es, die bestehenden Unterscheide in einer "Hermeneutik des differenzierten Konsenses" zu betrachten. Damit rekurrieren die Kirchen auf die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" von 1999. Diese habe bereits den früheren so betrachteten dogmatischen Dissens beigelegt und den Grundkonses der christlichen Kirchen betont.

Die bilaterale Arbeitsgruppe der beiden Kirchen wurde auf katholischer Seite bis 2012 vom damaligen Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller geleitet. Seither übernahm Feige, der auch Vorsitzender der Ökumene-Kommission der DBK ist, an dessen Stelle den Vorsitz. Für die Evangelischen Kirchen führte zuletzt der Landesbischof von Schaumburg-Lippe Karl-Hinrich Manzke den Vorsitz. Auch der bayerische Landesbischof Heinrich Bedforf-Strohm gehörte der 14-köpfigen Arbeitsgruppe an. Die vorausgehenden Arbeitsgruppen hatten die Dokumente "Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament" (1984) und "Communio Sanctorum" (2000) herausgegeben, die als wegweisend für den ökumenischen Dialog in Deutschland und darüber hinaus galten. (Mit Material von KNA)

Von Kilian Martin