Im Geheimen Kardinal
Gerade wollen sich die Kardinäle zum Konklave einschließen, da gibt es einen Zwischenfall. Ein Mann kommt in die Sixtinische Kapelle, der behauptet, einer von ihnen zu sein. Er gibt sich aus als der Bischof von Bagdad, den der gerade verstorbene Papst im Geheimen zum Kardinal ernannt habe. Die Nachricht überrumpelt die Kardinäle — und stellt die Dynamik der Papstwahl auf den Kopf.
Zugegeben, dieses Szenario ist reine Phantasie. Es stammt aus dem Roman "Konklave", den der Bestseller-Autor Robert Harris im vergangenen Jahr veröffentlichte. Doch vollkommen unrealistisch ist die Szene nicht. Denn tatsächlich können die Päpste Kardinäle "in pectore", also "im Herzen" ernennen. Dann geben sie im Konsistorium nur bekannt, dass es außer den öffentlich kreierten noch einen oder mehrere weitere Kardinäle gibt. "Wer das ist, wissen jedoch nur der Papst und idealerweise der Kandidat selbst", erklärt Vatikanexperte Ulrich Nersinger. Die Gründe für das geheimnisvolle Vorgehen seien meist politisch: "Es geht darum, unter schwierigen Umständen die jeweilige Person zu schützen – etwa in Ländern, in denen Christen verfolgt werden."
Auch nach Angaben des Bonner Theologen Norbert Lüdecke ist eine Kreierung "in pectore" dann ein Instrument, "wenn der Betreffende oder der Teil der Kirche, für den er steht, in Gefahr ist". Der Kirchenrechtsprofessor zitiert Canon 351 des kirchlichen Gesetzbuches. Darin ist die Kardinalsernennung genau geregelt. In Paragraph 3 heißt es, dass einem Purpurträger "in pectore" keinerlei Rechte und Pflichten erwachsen, solange er unbekannt bleibt. Das ändert sich erst, wenn der Papst den Namen später doch bekannt gibt – etwa, weil sich der Betreffende in Sicherheit befindet oder sich die politischen Verhältnisse geändert haben. Den früheren Erzbischof von Shanghai, Ignatius Kung Pin-Mei, der 33 Jahre in kommunistischer Haft verbrachte, ernannte Johannes Paul II. etwa schon 1979. Die Identität des Purpurträgers enthüllte der Papst aber erst 1991, als Kung bereits einige Jahre im US-Exil lebte. In die Rangfolge des Kardinalskollegiums tritt der dann bekannte Kardinal jedoch rückwirkend zum Datum seiner geheimen Ernennung ein – das kann sich etwa auf die späteren Aufgaben im Konklave auswirken.
Einige Ernennungen zur Zeit der kommunistischen Regime
Die Kardinäle "in pectore" gibt es schon seit rund 500 Jahren. Die Kirchenoberhäupter haben von der Möglichkeit unterschiedlich oft Gebrauch gemacht. Vatikanexperte Ulrich Nersinger sieht beispielsweise unter Pius VII., Papst von 1800 bis 1823, und unter Gregor XVI., Papst von 1831 bis 1846, eine auffällige Häufung. Beide Päpste ernannten nach Angaben Nersingers über 20 geheime Purpurträger – und dafür hat der Experte auch eine Erklärung. "Die Päpste waren zu einer außergewöhnlich schwierigen Zeit im Amt: Es war die Zeit der napoleonischen Kriege und der Revolutionen. Europa war im Aufruhr", analysiert er.
Während zu Beginn des 21. Jahrhunderts bisher weder Franziskus noch sein Vorgänger Benedikt XVI. einen Geistlichen im Geheimen zum Purpurträger machten, gab es zur Zeit der kommunistischen Regime in Zentral- und Osteuropa durchaus einige Fälle. So wurde der tschechoslowakische Bischof Stepan Trochta 1969 von Paul VI. geheim kreiert, sein Name aber erst 1973 genannt, ein Jahr vor seinem Tod. Der Erzbischof von Riga, Janis Pujats und der Lateinische Erzbischof von Lemberg, Marian Jaworski, waren beide schon seit 1998 im Geheimen Kardinäle, wurden erst 2001 öffentlich genannt.
Noch heute spekulieren Experten über einen weiteren Kardinal "in pectore", den Johannes Paul II. 2003 beim Konsistorium kreierte — dessen Namen er aber mit in den Tod nahm. Da offensichtlich auch keine schriftlichen Aufzeichnungen existieren, ist der Kardinalstitel des Unbekannten jedoch schon wieder erloschen. Auch das regelt das Kirchenrecht: Nur, wenn die Ernennung nachvollziehbar dokumentiert wurde, gilt sie auch über den Tod des jeweiligen Papstes hinaus.
Dass die Spekulationen über das geheimnisumwitterte "in pectore" auch ins Absurde abgleiten können, zeigten allerdings vor einigen Monaten Berichte in der türkischen Presse. Damals wurde gemutmaßt, der Anführer der Gülen-Bewegung, die Präsident Erdogan für den Putschversuch im vergangenen Sommer verantwortlich macht, könne ein Kardinal "in pectore" sein. Fetullah Gülen hatte Papst Johannes Paul II. jedoch lediglich 1998 zu einem 30-minütigen Besuch im Vatikan getroffen. Auf die Mutmaßungen angesprochen, schütteln die Experten nur mit dem Kopf. "Das sind Verschwörungstheorien mit klarer antikirchlicher Zielrichtung", sagt Norbert Lüdecke.
Für Ulrich Nersinger liegt der Gedanke viel näher, dass "Kardinäle in pectore" innerhalb der katholischen Kirche künftig weiter eine Rolle spielen könnten. "Wenn ein Papst etwa Reformen vorantreiben will und in diesem Sinne bestimmte Kardinäle ernennt, könnte er die Namen vorerst geheim halten, um nicht weiter zur Eskalation beizutragen", meint er. Kirchenrechtler Lüdecke hält eine solche Vorgehensweise zwar für denkbar – aber doch für eine sehr unwahrscheinliche Strategie: "Letztendlich ist das Kaffesatzleserei", glaubt er.
Was auch immer in der Zukunft passiert: Fest steht, dass die Kardinäle "in pectore" in den vergangenen 500 Jahren die katholische Kirche beeinflusst haben. Und sogar nicht nur die — sondern auch die deutsche Sprache. Denn der umgangssprachliche Begriff "etwas in petto haben" ist die eingedeutschte Form des kirchenrechtlichen Begriffs.