Nie war die Pappnase so wertvoll wie heute
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Darf man das? Die neongrüne Perücke entstauben und sich in die kollektive Trunkenheit und Narretei des Karnevals stürzen? In diesen Zeiten der Furcht vor Trump und dem Terror, dem Entsetzen über den Krieg in Syrien, das Hungerelend in Afrika? Wo der Ernst die Lage zu bestimmen scheint?
Die Antwort heißt: Nie war die Pappnase so wertvoll wie heute. Das Narrentum ist in Zeiten wie diesen entstanden und für Zeiten wie diese gemacht. Schon in seiner Geburtsstunde war der Karneval das Überdruckventil gegen das Bedrängende der Gegenwart und die Übermacht der Verhältnisse. Man konnte der Kirche, den Franzosen, den Preußen, der öffentlichen Ordnung und der Moral die Zunge herausstrecken, bis Aschermittwoch. Auch heute gilt: Die Lage erfordert den nötigen Unernst. Das Lachen soll in dem Moment zum Menschen gekommen sein, da er die Beute verfehlte, die Zähne noch gebleckt hatte und sich die Anspannung ins Nichts entlud - die Wahrheit ist also, dass Krise und Humor zusammengehören. Man steht da, als Spielball des Schicksals, und stimmt ein ins homerische Gelächter über die Komik des Menschseins.
Im kollektiven Kontrollverlust des Karnevals bekommen die Dinge ihren Platz zurück. Ja, man muss die Flüchtlingskrise lösen, Europa zusammenhalten, Frieden schaffen und das Klima retten. Man muss es aber nicht in jedem Moment des Lebens tun - man darf es nicht, denn dann würde das Gute und Richtige totalitär und sich ins Gegenteil verkehren. Das ist die subtile Kulturleistung des zeitweisen Niveauverlusts auf den Straßen des Rheinlands und anderswo: Er schafft Abstand. Er entlarvt den angeblich heiligen als tierischen Ernst. Er verordnet dem Gewese und Wichtigtun eine Pause. Die Narretei entzieht sich jedem höheren Sinn.
1991 fiel einmal der Karneval aus in Deutschland. Damals führten die USA und ihre Verbündeten einen furchtbar falschen Krieg gegen den Irak. Dass die Deutschen deshalb nicht feiern wollten, beeindruckte weder Saddam Hussein noch George Bush. Aber das Land war sehr beeindruckt von sich selbst. Vielleicht ist's ja ein Fortschritt, dass diese Art des heiligen Ernsts verschwunden ist. Vielleicht ist auch die Lage zu ernst, als dass man ihn sich noch leisten könnte. Wie auch immer: Alaaf, Helau!