Ernesto Cardenal: Papst hat Revolution ausgelöst
Der nicaraguanische Dichter und Befreiungstheologe Ernesto Cardenal sieht in Papst Franziskus eine "echte Überraschung für die Welt". Franziskus löse eine Revolution im Vatikan und auch in der Kirche aus, sagte der 92-Jährige am Mittwochabend in Bonn. Cardenal befindet sich derzeit auf Lesereise durch Deutschland und die Schweiz.
Kirche um 200 Jahre zurückgeworfen?
Die beiden Vorgänger Johannes Paul II. (1978-2005) und der emeritierte Papst Benedikt XVI. (2005-2013) bezeichnete Cardenal als "sehr konservativ". Sie hätten die Kirche um 200 Jahre zurückgeworfen und viele Fortschritte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) zurückgedreht.
Heftige Kritik äußerte Cardenal an Nicaraguas Staatspräsident Daniel Ortega. Es gebe in seiner Heimat inzwischen eine "Diktatur der Familie Ortega". Von der Revolution sei nichts mehr übrig, so der frühere Kulturminister seines Landes. Ortega sei korrupt.
Am Samstag erhält Cardenal die Ehrendoktorwürde der Bergischen Universität Wuppertal. Die Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften würdigt damit seinen Beitrag zur Weltliteratur und sein Engagement für den kulturellen Austausch zwischen Nicaragua und Deutschland.
Ernesto Cardenal gehört zu den schillernden Figuren Lateinamerikas. Er nennt sich selbst "Sandinist, Marxist und Christ". Papst Johannes Paul II. hatte ihm 1985 die Ausübung des priesterlichen Dienstes verboten, weil er nach dem Umsturz gegen die Somoza-Diktatur ein Ministeramt in der Revolutionsregierung seines Heimatlandes bekleidet hatte.
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Für sein literarisches Werk erhielt Cardenal 1980 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2012 den spanischen Königin-Sofia-Preis für Iberoamerikanische Literatur. Kritiker nennen ihn den "Begründer der mystischen lateinamerikanischen Literatur" oder einen "der originellsten christlichen Mystiker des 20. Jahrhunderts". (KNA)