Der Jesuit Felix Körner spricht im Interview über die al-Azhar-Universität

"Ein Dialog der Reibungen"

Veröffentlicht am 25.04.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
"Ein Dialog der Reibungen"
Bild: © KNA
Papstreisen

Rom ‐ Franziskus wird am Freitag eine Rede an der al-Azhar-Universität in Kairo halten, die sich dem Dialog mit dem Christentum öffnen will. Was das bedeutet, erklärt Islam-Kenner Felix Körner im Interview.

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Frage: Wenige Tage vor der Papstreise wurden in Ägypten Terroranschläge auf Kirchen verübt. Al-Azhar hat sich dazu geäußert – war das ausreichend klärend?

Felix Körner SJ: Al-Azhar hat die Anschläge als heimtückisch und feige verurteilt. Solche Stellungnahmen wollen vor allem die Christen im Westen hören. Für viele gemäßigte Muslime sind solche Aussagen so überflüssig wie für uns eine christliche Erklärung, dass rechtsradikale Anschläge das Kreuz missbrauchen; für radikal-militante Muslime ist so eine Stellungnahme bedeutungslos, weil sie al-Azhar ohnehin für anpasslerisch halten – trotzdem ist es nach jeder Verurteilung eines Anschlags von hoher Autorität schwieriger, sich als islamtreuer Terrorist zu verkaufen. Für die Christen vor Ort ist es immerhin tröstlich; sie erwarten sich aber mehr Reformbereitschaft in den islamischen Lehre.

Frage: Was erwarten Sie nun von dem Besuch des Papstes in der al-Azhar-Universität?

Körner: Al-Azhar ist eine international als maßgeblich erachtete Institution im Islam, zwar nur eine, aber immerhin! Und al-Azhar befindet sich augenblicklich in einer sehr spannenden Phase – insbesondere wegen ihres Scheichs Ahmed Mohammed al-Tayyeb (seit 2010 im Amt). Dieser hat mehrfach betont, er möchte wirklich etwas tun, um seine Institution und seine Religion zu entwickeln, nämlich zu öffnen. Zudem haben wir von al-Azhar als Reaktion auf die islamisch-motivierten Anschläge und Gräueltaten des IS bemerkenswert selbstkritische Worte gehört: Wir sehen, dass wir unsere Bildung reformieren müssen, hieß es etwa 2015. Damit sagte al-Tayyeb faktisch, dass das Problem weder aus dem Westen kommt, noch aus dem Islam, sondern daher, wie die Religion vermittelt wird.

Zwar steht al-Azhar heute nicht für besondere theologische Qualität - es ist nicht die Notre-Dame-University des Islam. Aber sie hat Renommee und genießt hohen Respekt. Und sie verfügt über eine Riesenstruktur mit einem enormen Bildungsnetzwerk. Allein in Kairo bestehen für Männer 40 Fakultäten, und im ganzen Land verstreut gibt es zahlreiche an al-Azhar assoziierte Bildungsinstitutionen. Insofern ist der Kontakt des Papstes, des Dialogrates und von katholischen Wissenschaftlern mit dieser Universität verheißungsvoll.

Frage: Warum wurde denn der Dialog, den der Vatikan und al-Azhar 1998 feierlich aufgenommen haben, nach gar nicht langer Zeit von Kairo abgebrochen?

Körner: Es gab Unmut über die Regensburger Rede von Benedikt XVI. Düpiert war man auch über dessen Kritik nach einem Anschlag 2011 auf eine Kairoer Kirche, Regierung und Behörden unternähmen nicht genügend zum Schutz der koptischen Christen. Aber es sollen auch atmosphärische Verstimmungen durch eine allzu herbe Kritik vonseiten kirchlicher Gesprächspartner gewesen sein, die dann zum Bruch beitrugen.

Frage: Ist dieser Groll nun ausgeräumt? Und wodurch?

Körner: Entspannend wirkten sicher manche Äußerungen von Papst Franziskus. So warnte er in seinem Schreiben "Evangelii gaudium" angesichts eines gewalttätigen Fundamentalismus vor Verallgemeinerungen und betonte, der wahre Islam und eine angemessene Interpretation des Koran stünden jeder Gewalt entgegen. Franziskus weiß aus Lebenserfahrung: Dialog heißt immer, es wieder neu zu versuchen – mit Geduld und stets in Demut. Und der Chef der Dialogbehörde, Kardinal Tauran unterstrich wiederholt, dass es zum Dialog ohnehin keine Alternative gebe.

Bild: ©KNA/Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani

Der Jesuit Felix Körner ist Professor für Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Er gilt als einer der besten Islam-Kenner seitens der katholischen Kirche.

Frage: Welchen Zugang zum Islam hat denn der Papst aus Argentinien?

Körner: Franziskus hatte schon in Argentinien islamische Kontakte und auch einen muslimischen Freund - Omar Abboud -, von dem er sich (zusammen mit Rabbiner Skorka) bei seinem Besuch in Jerusalem begleiten ließ. Es fiel auch auf, dass der Papst über die bisherige vatikanische Regel hinausgeht, wonach Christen und Nichtchristen zwar zusammenkommen können, um zu beten, nicht aber, um zusammen zu beten. In Sarajewo lud Franziskus 2015 nun bei einem interreligiösen Treffen die anwesenden Juden, Muslime und Christen ein, miteinander ein Gebet zu sprechen.

Frage: Zur Entspannung zwischen dem Vatikan und al-Azhar hat ja offenbar auch der Besuch einer hochrangigen Vatikan-Delegation im Februar in Kairo beigetragen. Was hat sie erreicht?

Körner: Es war ein Vorbereitungsversuch, auch für den Papstbesuch. Allerdings schien mir die Organisation etwas eigentümlich - bis unhöflich. Die Delegation war auf Vatikan-Seite hochrangig besetzt, sie wurde von Kardinal Tauran angeführt. Auf islamischer Seite dagegen erschienen nur "Vertreter" des Scheichs al-Azhar, einige Professoren tauchten kurzfristig auf, hauptsächlich kamen Doktoranden. Die muslimischen Gesprächspartner argumentierten vor allem apologetisch. Selbstkritische Worte, wie man sie zuvor vom Scheich etwa über die Reform der Bildung gehört hatte, kamen in diesen Begegnungen nach meinem Informationsstand nicht vor.

Frage: Was bedeutet nun der Papstbesuch - zu diesem Zeitpunkt? Sanktioniert er einen Neuanfang mit dem Islam?

Körner: Der Besuch signalisiert einen Neuanfang. Der Vatikan zeigt, dass er die Haltung von al-Tayyeb begrüßt, dass er seine mutigen Öffnungen unterstützt, vor allem seine Bereitschaft, den Islam selbstreflektiert neu zu unterrichten. Bei seinem Besuch im Deutschen Bundestag und seinem Treffen mit dem liberalen islamischen Theologen Mouhanad Khorchide aus Münster hatte der Scheich deutliche Gesprächsbereitschaft erkennen lassen und gezeigt, dass er den Islam authentisch unterrichten kann. Und authentischer Islam heißt in der Lesart von Franziskus: dass er nicht gewaltfördernd, sondern versöhnungsstiftend auftritt.

Frage: Verfolgt der Papst mit der Reise auch eine politische Mission, etwa für eine Lösung des Dauerkonflikts Nahost?

Körner: Der Papst würde auf eine solche Frage sicher antworten: Ich gehe nirgendwo als Politiker hin, ich komme als Brückenbauer. Aber man kann Brücken nur bauen, wo zumindest der Beginn eines Brückenpfeilers zu sehen ist. Und der ist dort durch eine sich öffnende al-Azhar-Universität zu erkennen. Und was auch immer der Papst im Nahostkonflikt als Versöhnungsbeitrag leisen kann, er wird es nach Kräften tun.

Bild: ©picture alliance / dpa

Ahmed Mohammed al-Tayyeb (M.) ist seit 2010 Scheich al-Azhar und damit Imam der al-Azhar-Moschee und Rektor der al-Azhar-Universität in Kairo.

Frage: Nach den wechselhaften Entwicklungen in vatikanisch-islamischen Kontakt stellt sich die Frage: Ist ein Dialog mit dem Islam, mit Muslimen derzeit überhaupt möglich - auf Augenhöhe?

Körner: Ich antworte zunächst provokativ – und sage: Nein. Denn die in ihrer Geschichte großartige und vielfältige islamische Kultur steckt in den letzten 200 Jahren in einer Bildungskrise. Auf muslimischer Seite findet man derzeit kaum Gesprächspartner mit Kenntnis, Perspektive und Entspanntheit für einen Dialog auf Augenhöhe.

So zu reden, das klingt arrogant, ist es aber nicht. Denn wenn immer sich zwei Menschen begegnen, ist das ein Dialog auf Augenhöhe. Und viele Jahrhunderte lang hätte sich der Islam ähnlich enttäuscht über das niedrige Niveau des Christentum äußern können. Heute aber können und müssen wir miteinander reden, mit den Institutionen und Personen, wie sie nun einmal sind, und in der Hoffnung, dass auch das Gespräch die Beteiligten spüren lässt, wo sie nachbessern müssen. Wenn der Papst selbst mit einer Institution redet, wertet sie das natürlich auf. Wir sagen damit allerdings nicht: Scheich, du bist so etwas Ähnliches wie der Papst. Nein, ein solches Einheits-Amt gibt es islamischerseits nicht; aber at-Tayyeb fördert Öffnungsbewegungen. Er unterstützt zum Beispiel auch den Münsteraner Islamtheologen Mouhanad Khorchide, was dessen Sache Gewicht verleiht.

Frage: Welche Voraussetzungen braucht Ihrer Ansicht nach ein solcher Dialog?

Körner: Es braucht zunächst Theologen: Es braucht Menschen, die ihre eigene Religion in einer Weise erforschen und weitergeben, die nicht nur statisch das in der letzten Generation Bekannte wiederholt, sondern im Rückgriff auf Früheres neue Formeln und Formen finden. Sie müssen aber auch von ihrer eigenen Religionsgemeinschaft anerkannt sein und gehört werden. Nur wenn sich im Dialog Theologen begegnen, können sie in der eigenen Religionsgemeinschaft etwas bewegen. Wir Theologen dürfen uns aber auch nicht auf die frommen Gesprächspartner der anderen Seite beschränken: Wir müssen auch am Diskurs der Gesellschaft und der Politik teilnehmen.

Zweitens braucht ein Dialog Offenheit. Das heißt, dass ich in jedes Gespräch mit dem Bewusstsein hineingehe, dass ich nicht alles weiß, sondern etwas lernen kann. Aber Offenheit heißt auch, dass wir mit Freimut sprechen. Dazu gehört, dass ich den Gesprächspartner auf Probleme anspreche, die meiner Sicht nach bei ihm entwicklungsfähig und -notwendig sind, einschließlich der Religionsfreiheit. Natürlich im Bewusstsein, dass wir selber nicht perfekt und ebenfalls Kritik zu hören bereit sind.

Frage: Gibt es noch weitere Voraussetzungen?

Körner: Ja, zu Dialog gehört auch Profil. Wir müssen uns trauen, auch die Unterschiede zu benennen. Denn interreligiöser Dialog hat nicht - wie etwa die Ökumene - das Ziel, dass wir eine einzige Religionsgemeinschaft werden. Im interreligiösen Dialog geht es darum, praktische Lösungen für das Zusammenleben zu finden, den anderen und seine Weltsicht zu entdecken – und dabei auch den eigenen Glauben besser zu verstehen. Es geht darum, den eigenen Glauben dem andern zu bezeugen und schließlich darum, miteinander ethische Grundprinzipien und Orientierungsbegriffe zu finden, die sogenannten "gemeinsamen Werte".

Und während wir in der Ökumene hoffentlich bald an das Ziel "sichtbare Einheit" gelangen, wird der interreligiöse Dialog immer weitergehen. Denn wir gehen von grundlegend unterschiedlichen Voraussetzungen aus: das apostolische Zeugnis bekennt Christus als den Wendepunkt der Geschichte, der Islam stellt alle Propheten als gleich dar. Und was sie alle wirklich gesagt haben, stehe unverfälscht im Koran. Es wird immer ein Dialog der Reibungen bleiben und des Ringens um neue Lösungen.

Von Johannes Schidelko

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