Wenn der Vatikan über schwarze Löcher diskutiert
"Schwarze Löcher, Gravitationswellen und Raumzeit-Singularitäten" – ein ungewöhnliches Thema für einen Vatikan-Kongress. Der zudem den Begründer der Urknall-Theorie würdigen will, den belgischen Priester und Astrophysiker George Lemaitre (1894-1966). Aber die 35 im Vatikan versammelten Experten, darunter der niederländische Physik-Nobelpreisträger Gerardus ’t Hooft und der englische Mathematiker und Physiker Roger Penrose, zeigen, dass die einladende vatikanische Sternwarte heute den guten Ruf einer anerkannten und hochgeschätzten wissenschaftlichen Forschungseinrichtung genießt.
Die Sternwarte als Mythos
"Machen wir mit dem Mythos Schluss: Die Sternwarte des Heiligen Stuhls befasst sich nicht mit Theologie oder Philosophie, sondern mit Wissenschaft, vor allem mit Astronomie und Kosmologie", betont der Physiker Gabriele Gionti, einer der für das Observatorium zuständige Jesuiten. Aber mit ihrer gut dokumentierten astronomischen Forschungsarbeit verbinden sich sehr wohl interdisziplinäre Fragen: Was ist die letzte Bestimmung des Kosmos? Was geschah im ersten Moment des Big-Bang? Was passiert, wenn wir in ein Schwarzes Loch fallen? "Das sind keine Kinderfragen und keine Schlagworte, sondern Fragen mit ständig wachsender wissenschaftlicher Relevanz", meint der Kosmologe Alfio Bonanno vom Nationalen Institut für Astrophysik Inaf.
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Sieben erdähnliche Planeten wurden im Orbit des Sterns TRAPPIST-1 gefunden. Haben da die Mönche ihre Hand im Spiel? Ausnahmsweise nicht. Ansonsten ist der Weltraum aber voll von Theologen und Heiligen.Als Papst Gregor XIII. zur Vorbereitung seiner Kalenderreform 1578 im Vatikan ein erstes Observatorium einrichtete, stand dahinter vor allem ein theologisches Interesse. Die zusammengerufenen Astronomen und Mathematiker sollten eine sichere Bestimmung des Ostertermins ermöglichen, der gemäß den frühen Konzilien am ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond liegen sollte. Da sich der Frühlingsbeginn aber im alten julianischen Kalender verschoben hatte, musste Gregor elf Tage überspringen, um wieder eine exakte Berechnungsgrundlage zu bekommen.
400 Jahre später, als Papst Leo XIII. im März 1891 – endgültig eine Sternwarte auf dem Vatikanhügel begründete, ging es ihm vorrangig um wissenschaftliche Glaubwürdigkeit. Er wollte den Vorwurf entkräften, die Kirche stelle sich gegen den wissenschaftlichen Fortschritt. Schon zuvor hatte der Jesuiten-Astronom Angelo Secchi (1818-78) am Römischen Kolleg bahnbrechende Forschungen der Sonnenkorona durchgeführt und als erster die Sterne nach ihrem Spektrum qualifiziert.
Als im Zuge der elektrischen Beleuchtung der Nachthimmel über Rom zu hell wurde, verlegte Pius XI. die Sternwarte 1935 in seine Sommerresidenz Castel Gandolfo. Von dort aus zog sie 2009 aus Platzgründen in ein leerstehendes Kloster im Nachbarort Albano um. Der Hauptteil der wissenschaftlichen Arbeit der Vatikan-Sternwarte erfolgt seit 1981 jedoch im Mount-Graham-Obervatorium in Tucson/Arizona, dem besten astronomischen Standort Nordamerikas. Dort verfügen die Vatikan-Astronomen über modernstes Equipment und beste Fernrohre.
Ziel und Aufgabe der Sternwarte sei es, "die Wahrheit darüber zu erfahren, wie dieses wunderbare Universum funktioniert, und den Platz des Menschen darin zu verstehen“, betonte Papst Franziskus bei einem Besuch zum 125jährigen Bestehen im vergangenen Juni. Besonders lobte er dabei die Sommerkurse, die alle zwei Jahre für angehende Astronomen angeboten würden.
Der noch bis Freitag gehende Kongress beschäftigt sich nun also mit dem Astrophysiker Lemaitre, der 1927 mit seiner Theorie vom "Uratom" oder vom "kosmischen Ei" die Grundlagen der "Urknall-Theorie" legte. Er folgerte dies aus der Expansion des Universums und dem Auseinanderdriften der Galaxien von einem konzentrierten Punkt aus.
Für Lemaitre, der von 1960 bis 1966 Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften war, habe es keinen Widerspruch zwischen Glaube (einschließlich Schöpfungsglauben) und Wissenschaft gegeben, betonte zum Auftakt der Direktor der Sternwarte, der US-Jesuit Guy Consolmagno. "Die Schöpfung Gottes erfolgt kontinuierlich. Wenn wir glaubten, dass der Schöpfergott nur im Moment des Big-Bang handelte, hieße das, ihn auf eine Figur wie Jupiter zu reduzierten – der nicht ein Gott ist, an den die Christen glauben". Denn "für uns ist Gott kontinuierlich für die Schöpfung der Natur verantwortlich, und die Wissenschaft versucht zu erklärten, wie er es tut". In diesem Sinne wäre die Existenz von außerirdischem Leben für die Kirche – betonte er bei früherem Anlass – "ein weiterer Beweis für die Größe Gottes".
Ein doppeltes Vorbild
Von dem Kongress im Vatikan erhofft sich Consolmagno einen konstruktiven Austausch unterschiedlicher wissenschaftlicher Ansätze. Auch dabei könnte Lemaitre ein Vorbild sein. Bei einer Akademie-Sitzung 1957 im Vatikan sei er mit seinem wissenschaftlichen Gegenspieler, dem britischen Astronomen Fred Hoyle zusammengetroffen, dem Vertreter der konkurrierenden "Steady-State-Theorie" (Gleichgewichtstheorie). Sie hätten sich dabei ausführlich ausgetauscht, seien Freunde geworden und später sogar gemeinsam in Urlaub gefahren.