"Man muss sagen, wofür man steht"
"Demokratie passiert nicht, wenn man beim Zeitungslesen den Kopf schüttelt", sagt Joachim Drumm. Der promovierte Theologe leitet die Hauptabteilung "Kirche und Gesellschaft" der Diözese Rottenburg-Stuttgart und startete mit seinem Team eine Initiative für Demokratie und eine offene Gesellschaft. Am Dienstag, dem Tag des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, können Menschen in acht Städten Baden-Württembergs sich in ihrer Mittagspause mit Laugengebäck, Gesang und mit Bekenntnissen zum Grundgesetz stärken. "Farbe bekennen! Für Demokratie und eine offene Gesellschaft" ist wohl die erste von engagierten Katholiken gestartete Aktion, der sich dutzende religiöse und zivilgesellschaftliche Gruppen angeschlossen haben.
Frage: Herr Drumm, worum geht es in der Initiative "Farbe bekennten für Demokratie"?
Drumm: Es geht darum, am 23. Mai, dem Tag des Grundgesetzes, Farbe für eine offene Gesellschaft und Demokratie zu bekennen. Es soll also dezidiert eine Veranstaltung für etwas und nicht gegen etwas oder jemanden sein. Der Kontext ist, dass populistische Bewegungen europaweit eine Attraktivität entfalten, die in dieser Form ein relativ neues Phänomen ist. Im vergangenen Jahr haben wir erlebt, dass man abends ins Bett ging mit einem "es wird schon nichts passieren" und dann passierte es doch; etwa der Brexit und die Wahl Trumps. Da merkt man, dass man nicht als Zeitungsleser am Morgen mit dem Kopf schütteln und zur Tagesordnung übergehen kann.
Frage: Was kann man stattdessen tun?
Drumm: Bei diesen Ereignissen wurde deutlich, dass Demokratie engagierte Demokraten braucht. Was man für selbstverständlich gehalten hat, ist es in der Realität nicht und man muss etwas dafür tun. Aus diesem Gedanken ist die Idee entstanden, die Bevölkerung in ihrer Buntheit auf öffentlichen Plätzen sichtbar zu machen. Populistische Bewegungen beanspruchen für sich, für das gesamte Volk zu reden, aber ein Großteil der Bevölkerung meldet sich gar nicht zu Wort und geht vielleicht nicht einmal wählen. Unser Anliegen ist, diesen Teil der Gesellschaft zu zeigen.
Frage: Wen meinen Sie mit "wir"?
Drumm: Die Aktion ist in der Hauptabteilung "Kirche und Gesellschaft" der Diözese Rottenburg-Stuttgart entstanden. Wir sind die Initiatoren, aber uns ist wichtig, dass wir Dienstleister und Multiplikatoren des ganzen Geschehens sind. Es ist keine kirchliche Veranstaltung des Bistums, sondern wir haben rund 50 Kooperationspartner in ganz Baden-Württemberg, die nicht alle kirchlich oder christlich sind. Wir vom Bistum bereiten die Aktion in der Landeshauptstadt vor, aber die Veranstaltungen in den anderen Städten werden eigenständig von Gruppierungen vor Ort organisiert: In Karlsruhe von der evangelischen Landeskirche, in Mannheim von einer ökumenischen Aktion und in anderen Städten zivilgesellschaftlich. Unterstützt werden wir unter anderem von Sportverbänden, Religionsgemeinschaften, Bildungseinrichtungen und Schulen, sowie von Gewerkschaften und Arbeitgebern, die ihren Mitarbeitenden ermöglichen, daran teilzunehmen.
Frage: Was genau ist in den acht Städten geplant?
Drumm: An allen Veranstaltungsorten ist eine "öffentliche Mittagspause" vorgesehen. In Stuttgart, wo die größte Aktion stattfindet, beginnt sie symbolisch um fünf vor zwölf. Dort spielt das "Ladies Swing Quartet" und dann berichten sechs normale Bürger kurz davon, wann für sie ein bestimmter Artikel des Grundgesetzes sehr wichtig war: Themen sind dabei die Meinungs- und Religionsfreiheit, Asyl oder die Diskriminierung von Behinderten. Dann bekommen die Teilnehmer große bunte Karten, auf denen einzelne Sätze des Grundgesetzes aufgedruckt sind und so entsteht das Bild einer bunten Gesellschaft. Am Ende singen wir die Kinderhymne von Bertold Brecht. Zu essen wird es in Stuttgart Laugengebäck geben. Es soll eine entspannende Pause sein, zu der Menschen gezielt kommen oder sich beim Vorbeigehen dazugesellen können.
Frage: Wie unterscheidet sich diese von der Kirche gestartete Veranstaltung von der Bürgerinitiative "Pulse of Europe" oder von der Demo gegen den AfD-Parteitag in Köln?
Drumm: Wir begrüßen "Pulse of Europe" und sind mit ihnen in Kontakt. Zu manchen unserer "öffentlichen Mittagspausen" wollen einige von ihnen auch kommen. Im Grunde sind wir in der Sache verbunden, aber unser Fokus liegt eher auf der Rechtsstaatlichkeit und Frage des Grundgesetzes. Und es war uns wichtig, dass keine Parteien bei unserer Initiative dabei sind: Wir möchten keine parteipolitischen Veranstaltungen im Vorfeld des Wahlkampfes machen und keinen Funktions- und Amtsträgern eine Plattform für Kundgebungen geben. Der Populismus ist antielitär und sie bezeichnen alle politisch Engagierten und Funktionsträger pauschal als Elite. Wir möchten bei unseren Veranstaltungen keine "Elite" in den Vordergrund stellen, sondern die Bevölkerung.
Frage: Welches Zeichen setzt die Kirche, indem Katholiken diese Initiative starten und sich nicht an Gruppierungen wie "Köln stellt sich quer" dranhängen?
Drumm: Es geht darum, dass die Kirche Farbe bekennt, aber in einer Weise, die niemanden diffamiert. Wir müssen fragen, wo die Anziehungskraft für populistische Bewegungen herkommt und nicht die Leute beschimpfen, die sich davon angesprochen fühlen. Es geht darum, selber – und zwar sachlich – Stellung zu beziehen. Inzwischen ist Populismus ein inflationärer Begriff geworden, der nur noch dazu dient, politische Gegner zu stigmatisieren.
Hintergrund
Am 23. Mai 2017 versammeln sich Bürgerinnen und Bürger jeglichen Alters um 11.55 Uhr für etwa eine Stunde an zentralen Plätzen in Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim, Heilbronn, Ravensburg, Ulm, Aalen und Singen. Beteiligt sind unter anderem katholische Verbände, Arbeitsgemeinschaften, Friedensbewegungen und Religionsgemeinschaften. Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Aktion.Das Problem sehen wir darin, dass es eine Polarisierung in der Gesellschaft gibt, in der die Extreme sich stark positionieren und die Mitte sich überhaupt nicht verhält. Dieses Laufenlassen und teilweise auch die institutionelle Trägheit ist etwas, was in der heutigen Zeit nicht mehr geht. Man muss sagen, wofür man steht. Auch die Kirche muss das im gesellschaftlichen Kontext tun, nicht parteipolitisch, sondern mit ihrer Position. Wir wollen bei den Veranstaltungen die Mitte der Gesellschaft sichtbar machen. Und es braucht zudem einen innerkirchlichen Dialog, weil manchmal auch Christen sich von populistischen Extrempositionen angezogen fühlen.
Frage: Wird es nach dem 23. Mai eine Fortsetzung der Initiative geben?
Drumm: Wir haben es als einmalige Aktion geplant. Sollte sich aber daraus irgendein Impuls ergeben, weiterzumachen, wird sich wohl niemand dagegen wehren. Wir werden am Dienstag sehen, welche Resonanz sich da entfalten wird. In Stuttgart haben wir jedenfalls eine Versammlung für bis zu 5.000 Personen angemeldet.