Historikerin: Die Angst vor Antisemitismus wächst
Premiere an der Universität Augsburg: Die Hochschule hat eine Gastprofessur für jüdische Kulturgeschichte eingerichtet. Dieser Lehrstuhl sei einer von nur dreien seiner Art in Deutschland, sagt Mirjam Zadoff, die ihn zum Auftakt im aktuellen Sommersemester innehat. Die 43-jährige Historikerin erzählt im Interview, welche Wissenslücke ihr Fach füllen will und was sie von dem Ruf nach einem Antisemitismus-Beauftragten im Kanzleramt hält.
Frage: Frau Zadoff, wenn Sie ein Mann wären: Gingen Sie mit Kippa durch deutsche Straßen?
Zadoff: Leider hat sich die Stimmung in Europa inzwischen so geändert, dass religiöse Kopfbedeckungen in der Öffentlichkeit an vielen Orten nicht mehr toleriert werden. Und es hat ja schon mehrfach Übergriffe gegeben. Ist das das Europa - oder das Deutschland - das wir uns wünschen? Es ist noch nicht so lange her, dass hierzulande katholische Frauen ihren Kopf in der Öffentlichkeit bedeckt haben. Und schauen Sie, wo wir jetzt sind! Ich kann verstehen, dass Männer, die heute in Deutschland eine Kippa tragen, sich exponiert fühlen, dass sie daher teilweise darauf verzichten. Ich kenne selbst welche.
Frage: Womit wir beim Thema Antisemitismus wären. Oft heißt es, dass diese Haltung gerade unter Flüchtlingen weit verbreitet sei.
Zadoff: Das mag für manche Flüchtlinge gelten, für andere nicht. Die Angst vor Antisemitismus wächst - aber auch wegen Pegida und AfD. Dem Judenhass entgegenzuwirken, das sehe ich indes als ein Ziel meiner Gastprofessur. Denn an der Uni Augsburg studieren viele künftige Lehrer. Und die werden einmal mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, denen sie das jüdische Erbe und damit Argumente gegen jede Form von Diskriminierung von Minderheiten vermitteln können.
Frage: Inwiefern?
Zadoff: Erstens hat die jüdische Geschichte mit dem Holocaust das schlimmste Beispiel für die letzte Konsequenz von Fremdenhass, Rassismus und Ausgrenzung zu bieten. Zu verdeutlichen, zu welchem Grauen das führen kann, ist daher auch ein Plädoyer für Integration, Toleranz und Vielfalt. Und zweitens ist die jüdische Geschichte so viel mehr als die Schoah. Als Kulturgeschichte war sie gerade in Deutschland lange auch eine Erfolgsgeschichte. Juden waren hier vor der Nazizeit ein wesentlicher Bestandteil des Bürgertums, sie haben in Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur Substanzielles geleistet. Leider ist das vielen Leuten unbekannt, da gilt es, eine Bildungslücke zu schließen.
Frage: Woher kommt diese Unkenntnis?
Zadoff: Wenn in Schulen über Juden gesprochen wird, dann häufig zum Thema Verfolgung. Dabei ließe sich aus den positiven wie schwierigen Erfahrungen der deutschen Juden im 19. Jahrhundert vieles lernen für aktuelle Debatten über Integration und kulturelle Autonomie von Minderheiten.
„Deutschland ist heute eine der stabilsten Demokratien Europas, da sollen weder Antisemitismus noch Islamophobie ihren Platz haben.“
Frage: Aktuell ist auch die Forderung des Zentralrats der Juden in Deutschland nach einem Antisemitismus-Beauftragten im Bundeskanzleramt. Was halten Sie davon?
Zadoff: Das Problem Antisemitismus müssen wir ernst nehmen, besonders in Deutschland, deshalb ist das sicher eine gute Idee. Eine solche Einrichtung muss auf der einen Seite aufmerksam die politische Entwicklung und das Gesprächsklima im Land beobachten, auf der anderen eng mit wissenschaftlichen Einrichtungen wie dem Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung zusammenarbeiten, um einer etwaigen Instrumentalisierung, etwa gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, vorzubauen. Deutschland ist heute eine der stabilsten Demokratien Europas, da sollen weder Antisemitismus noch Islamophobie ihren Platz haben.
Frage: Eine weitere Diskussion, die das Judentum betrifft, ist die um Stolpersteine. In München etwa lehnt die jüdische Gemeinde diese Form des Erinnerns ab. In Augsburg gab es erst kürzlich eine Debatte darüber, ob Stolpersteine nur für Holocaust-Tote oder auch für -Überlebende stehen sollen. Welche Position haben Sie dazu?
Zadoff: Stolpersteine sind eine mögliche Form des Erinnerns. Dass die Steine so verstreut sind und in so großer Zahl vorhanden, zeigt das zahlenmäßige und geografische Ausmaß der Katastrophe. Ich kann aber den Einwand der Münchner verstehen, die die Opfer ja nicht mit Füßen getreten sehen wollen. Und darin liegt ja auch eine Chance - für andere Formen der Erinnerung im öffentlichen Raum.