Bischöfe des Heiligen Landes beklagen Eskalation der Gewalt

"Eskalation von Hass und Rache"

Veröffentlicht am 09.07.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Heiliges Land

Bonn/Tel Aviv ‐ Der Konflikt eskaliert: Militante Palästinenser im Gazastreifen haben erneut den Großraum Tel Aviv mit Raketen angegriffen. Im Stadtzentrum heulten die Warnsirenen, Menschen eilten in die Schutzräume. Die Zahl der Toten ist seit Beginn der Offensive in der Nacht zum Dienstag auf 40 gestiegen, darunter sind auch Kinder. Angesichts der dramatischen Entwicklung beklagen die katholischen Bischöfe der Region eine "Eskalation von Hass und Rache".

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Die friedenspolitische Kommission der Bischofsversammlung des Heiligen Landes verurteilt die starke Zunahme der Gewalt. Die Ermordung von drei israelischen Jugendlichen werde für eine "Kollektivbestrafung des palästinensischen Volks als Ganzes und seines legitimen Wunsches nach Freiheit" benutzt. Zugleich warf die Kommission palästinensischen Kräften vor, die hoffnungslose Lage für den Aufbau einer totalitären Gesellschaft auszubeuten.

Viele hochrangigen Politiker auf israelischer Seite seien nicht nur dialogunwillig, sondern gössen "Öl ins Feuer", so die Kirchenvertreter. Die israelische Führung heize die gewalttätige Stimmung in der eigenen Gesellschaft an, indem sie "exklusive Rechte einer Gruppe und die Besatzung mit allen ihren verheerenden Konsequenzen" verteidige. Die Bischöfe nannten den israelischen Siedlungsbau, Landenteignungen, die Trennung von Familien sowie die Inhaftierung und Tötung von Palästinensern als Beispiele. Auch eine einseitige Medienpräsenz israelischer Opfer werde als Mittel im Konflikt eingesetzt.

Bild: ©KNA

Der Weihbischof von Jerusalem: William Schomali.

Obama und Steinmeier rufen zur Mäßigung auf

Auf palästinensischer Seite spielten Hoffnungslosigkeit und Rufe nach Rache jenen in die Hände, die eine Gesellschaft "ohne Raum für Unterschiede und Vielfalt" wollten, warnten die Bischöfe. "Gewalt als Antwort auf Gewalt erzeugt nur mehr Gewalt." Zugleich könne "Widerstand gegen die Besatzung nicht mit Terrorismus gleichgesetzt" werden. "Widerstand gegen Besatzung ist ein legitimes Recht, Terrorismus ist Teil des Problems", schrieben die Kirchenführer.

Die Situation in Gaza illustriere den "endlosen Kreislauf der Gewalt in Abwesenheit einer Vision für eine alternative Zukunft", so die Bischöfe. Diesen Zirkel zu durchbrechen, sei "die Pflicht aller, Unterdrücker und Unterdrückter, Opfer und Täter". Israelis wie Palästinenser müssten "jede Führung abschütteln, die vom Kreislauf der Gewalt profitiert".

Auch US-Präsident Obama hat die Konfliktparteien zur Mäßigung aufgerufen: "In diesem Moment der Gefahr müssen alle Beteiligten die Unschuldigen schützen, mit und Maß agieren, nicht mit Rache und Vergeltung", schreibt Obama in einem Beitrag für die Wochenzeitung "Zeit" am Donnerstag. Außenminister Steinmeier zeigte sich ebenfalls besorgt: "Der ungelöste Nahostkonflikt fordert weiter seine Opfer." Israel habe zwar das Recht, seine Bürger vor Raketenbeschuss zu schützen, aber: "Ich hoffe, dass auf allen Seiten die Einsicht herrscht, dass eine militärische Konfrontation vermieden werden muss, die völlig außer Kontrolle gerät", so der Außenminister.

Konflikt betrifft auch die Christen im Land

Der katholische Weihbischof von Jerusalem, William Schomali, befürchtet nun den Beginn einer dritten Intifada, wie er in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur erklärte. "Wir sind besorgt. Sowohl über die Lage zwischen Gaza und Süd-Israel als auch über die Situation in und um Jerusalem", sagte er. Er hoffe auf die Erinnerungen an die erste und zweite Intifada, also die palästinensischen Aufstände gegen Israel, die die Menschen davon abbringen könnten, die Gewalt fortzusetzen. Der Konflikt wirke sich auch auf die Christen vor Ort aus, erläuterte Schomali weiter. "Christen sind Teil des gesellschaftlichen Gefüges, sowohl auf israelischer wie auf palästinensischer Seite", so der Weihbischof.

Obwohl die Christen in Israel eine Minderheit darstellen, gibt es immer noch christliche Gemeinschaften und Orden. In Jerusalem befindet sich beispielsweise unter anderem die Dormitio-Abtei der Benediktiner. Die Lage sei ernst, wie die Gemeinschaft in einer Erklärung auf ihrer Facebookseite mitteilte. Grund zur Panik bestünde aber nicht, auch wenn "erhöhte Wachsamkeit angezeigt ist".

Die Eskalation erfolgt nur kurz nach dem Besuch von Papst Franziskus im Heiligen Land im Mai. Einen Zusammenhang zwischen dem Besuch und der derzeitigen Gewalt sieht Weihbischof Schomali aber nicht. "Die Eskalation hätte auch vor dem Papstbesuch passieren können oder auch ohne ihn", sagte er. Er setzt nun auf die Politik: "Wir wollen Frieden. Die Politiker sollten auf die Stimme des Volkes hören." (som/KNA/dpa)

Chronologie der Ereignisse

12. Juni 2014 - Drei jüdische Religionsschüler zwischen 16 und 19 Jahren verschwinden auf dem Heimweg in einer Siedlung bei Bethlehem im Westjordanland. 15. Juni - Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beschuldigt die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas der Entführung. Auf der Suche nach den Jugendlichen riegelt die Armee das südliche Westjordanland ab. 16. Juni - Netanjahu fordert Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zur Hilfe bei der Suche auf. 18. Juni - Abbas verurteilt die Entführung der Jugendlichen und fordert deren Freilassung. Israels Armee hat bei Razzien inzwischen 240 Palästinenser festgenommen, darunter viele Hamas-Mitglieder. 19. Juni - Ein Hamas-Sprecher erklärt, Israel habe mit seiner Offensive im Westjordanland das "Tor zur Hölle" aufgestoßen. Netanjahu fordert Abbas zum Bruch mit der Hamas auf. Dessen Fatah hatte zu Monatsbeginn die Einheitsregierung mit Hamas gebildet. 26. Juni - Israels Geheimdienst hat die Entführer identifiziert. Es handele sich um zwei Ex-Häftlinge aus Hebron, Mitglieder der Hamas. 29. Juni - Zehntausende Menschen demonstrieren in Tel Aviv für die Freilassung der Teenager. 30. Juni - Die Leichen der Vermissten werden auf einem Feld bei Hebron gefunden. In der Nacht fliegt Israels Luftwaffe Angriffe auf Ziele im Gazastreifen. Zuvor war Israel mit Kleinraketen beschossen worden. 2. Juli - Die Leiche eines verschleppten 16-jährigen Arabers wird in einem Wald bei Jerusalem gefunden. Seine Familie beschuldigt israelische Siedler, den Jugendlichen ermordet zu haben. Im arabischen Ostteil Jerusalems kommt es zu schweren Krawallen. 3. Juli - Nach andauernden Raketenangriffen aus dem Gazastreifen verlegt die israelische Armee zusätzliche Truppen an die Grenze zum Palästinensergebiet. 6. Juli: Israels Polizei nimmt sechs Juden fest, die den jungen Palästinenser aus Rache und Hass auf Araber ermordet haben sollen. Drei von ihnen gestehen die Tat kurz darauf. 7. Juli: Israels Armee bereitet sich auf einen größeren Einsatz vor. Nach Angaben der Armee werden 1500 Reservisten mobilisiert. 8./9. Juli: Nach massiven Raketenangriffen aus dem Gazastreifen fliegen israelische Kampfflugzeuge Dutzende Angriffe. Mindestens 40 Menschen kommen im Gazastreifen ums Leben, darunter mehrere Kinder. Hunderte werden verletzt. Militante Palästinenser feuern mehr als 200 Raketen unter anderem auf Tel Aviv und Jerusalem. (dpa)

Hinweis des Vereins vom Heiligen Lande

Der Deutsche Verein vom Heiligen Lande ist eine katholische Organisation, die die Beziehungen zwischen Christen in Deutschland und den Menschen im Heiligen Land stärken will. Er unterstützt Projekte, die dem Zusammenleben und der Freundschaft zwischen Christen und Juden sowie Christen und Muslimen dienen sollen. Zu den vereinseigenen Einrichtungen gehören die Schmidt-Schule in Jerusalem, in der über 500 muslimische wie christliche palästinensische Mädchen eine Schulbildung erhalten sowie die benediktinische Dormitio-Abtei. In einer Stellungnahme erklärt der Verein, dass er in ständigem Kontakt zu seinen Mitarbeitern und Partnern in Jerusalem und dem restlichen Land stehe. "Die Lage ist sehr angespannt, aber in unseren Pilgerhäusern und Wirkungsstätten sowie bei unseren Partnereinrichtungen sind alle Anwesenden wohlauf, wenn auch besorgt", heißt es in der Pressemitteilung. Es gebe dennoch bestimmte Vorsichtsmaßnahmen, die beachtet werden sollten: Dazu gehören das Umgehen von Demonstrationen, das Meiden der Altstadt an Freitagen und zu den Gebetszeiten am Tempelplatz sowie das nötige Ändern von Programmen. Weitere Informationen zur Reisesicherheit gibt es auch auf der Seite des Auswärtigen Amtes . (som)