Wie Orthodoxe auf die Reformation blicken

Das gleiche Feindbild im Vatikan

Veröffentlicht am 04.07.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Orthodoxe Christen feiern zum ersten Mal eine orthodoxe Vesper im Kölner Dom.
Bild: © KNA
Ökumene

Eichstätt ‐ Lange Zeit versuchten Protestanten und Orthodoxe sich gegenseitig zu missionieren. Dabei war ihr Verhältnis anfänglich vielversprechend. Schließlich hatten sie das gleiche Feindbild.

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Von Anfang der Reformation an zeigten die Reformatoren ein recht großes Interesse für die Kirchen des Ostens. Für dieses Interesse lassen sich mindestens zwei Gründe anführen. Erstens imponierte den Protestanten die Tradition der orthodoxen und orientalischen Kirchen, die auf der Heiligen Schrift, Kirchenvätern, ökumenischen Konzilien ruhte. Die "Rückkehr" zu den alten "unverfälschten" Überlieferungen entsprach den reformatorischen Vorstellungen von der Erneuerung der Kirche. Zweitens schien für sie, dass die Organisationsstruktur der Ostkirchen ihren idealistischen Erwartungen von den Kirchenordnungen am nächsten stehen würde. Denn die Ostkirchen zeichneten sich im Gegensatz zu der vom Papst geleiteten katholischen Kirche durch ihre Synodalstrukturen aus. An der Spitze einer jeden Ostkirche steht bis heute nämlich eine Bischofssynode als ein Kollegium, das von einem Patriarchen, Katholikos, Metropoliten oder Erzbischof geleitet wird.

Der Papst als gemeinsames Feindbild

Als in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Reformation begann, durfte außerdem die Ablehnung der katholischen Kirche mit dem Papst als ihrem Oberhaupt durch die Ostkirchen für die Reformatoren attraktiv gewesen sein. In den Kirchen des Ostens konnten sie gerade wegen der geteilten antirömischen Einstellung mit einem guten Koalitionspartner rechnen. Bereits 1519 griff Martin Luther in seiner Argumentation auf die östlichen Traditionen zurück, um seine Gegner aus dem katholischen Lager in die Ecke zu treiben. So verwies er in der theologischen Auseinandersetzung mit Johannes Eck auf die orthodoxen Kirchen, die genau wie die Reformatoren die Ansprüche des römischen Papstes auf die gesamtkirchliche Leitung ablehnten.

Ein Stück Brot liegt nach einer orthodoxen Vesper beim Evangelischen Kirchentag auf einem Tisch.
Bild: ©katholisch.de

Das Verhältnis im Jahr 2017: Die orthodoxen Kirchen luden beim Evangelischen Kirchentag in Berlin zu einer ökumenischen Vesper mit "Artoklasia" ein. Der Ritus erinnert an die biblische Erzählung der Speisung der 5.000.

Nicht nur Luther, sondern auch andere Reformatoren suchten anfänglich die Nähe zu den Ostkirchen. Melanchthon pflegte beispielsweise gute Beziehungen zu den Orthodoxen. Er nahm Kontakt zum Patriarchen von Konstantinopel Joasaph II. (1555-1565) auf und behauptete in einem Briefwechsel mit ihm die Einheitlichkeit im Glauben auf der Grundlage der Bibel, der ökumenischen Synoden und der Kirchenväter. Melanchthon schickte dem Patriarchen sogar das Augsburger Bekenntnis der Anhänger Luthers in griechischer Übersetzung. Ganz besonders hob er dabei hervor, dass in der orthodoxen Kirche den Laien die Kommunion unter zwei Gestalten, des Brotes und des Weines, gereicht wird, dass es in der orthodoxen Kirche keine "Privatmessen", sondern immer Gottesdienste unter Beteiligung der Gläubigen gibt und dass die orthodoxe Kirche die Lehre vom Fegefeuer nicht kennt. In der Überzeugung einer großen Übereinstimmung in der Lehre mit der orthodoxen Kirche unterbreitete Melanchthon auch Einigungsvorschläge, die manche als einen ersten "ökumenischen Brückenschlag" im Dialog zwischen Reformation und Orthodoxie werten.

Auch gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden die Kontakte fortgesetzt, wie etwa zwischen dem Patriarchen Jeremias II. von Konstantinopel und den lutherischen Theologen aus Tübingen, die zu einer beachtenswerten Korrespondenz führten. Um den Ostkirchen näher zu kommen, behaupteten die Protestanten, dass sie in den Glauben nichts Neues einführen, sondern der Bibel und den Kirchenvätern treu bleiben würden. Die Unterschiede bestünden nach ihrer Auffassung nur in den Riten.

Der Autor

Dr. Andriy Mykhaleyko, griechisch-katholischer Priester, ist Dozent für Kirchengeschichte an der Ukrainischen Katholischen Universität in Lemberg/Ukraine. Zurzeit habilitiert er an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und ist außerordentlicher Spiritual im Collegium Orientale Eichstätt.

Das heißt aber bei weitem nicht, dass es seitens des Protestantismus keine Kritik in die ostkirchliche Richtung gab. Derselbe Martin Luther, der am Beginn seines Wirkens die Argumente aus der ostkirchlichen Tradition schöpfte, stellte zwei Jahrzehnte später, im Jahre 1539, bestimmte Mängel in der Orthodoxie fest. Er bezeichnete zum Beispiel das Amt des Patriarchen von Konstantinopel als eines, das sich von seinen Ansprüchen her vom Papstamt nicht unterscheide. Die Urteile der anderen reformatorischen Theologen fielen noch schärfer aus. Sie bemängelten, die orthodoxe Tradition sei voller Aberglaube. Andere kritisierten in den Ostkirchen zu viele "schauspielerische" Zeremonien. Diese Kritik führte allmählich zur Behauptung, dass nicht nur katholische, sondern auch östliche Kirchen voll "Irrlehren" seien.

Gegenseitige Missionsversuche

Ihre Mitglieder wurden damit für viele protestantische Kirchen zum Objekt der Missionierung. Es galt, möglichst viele für den Protestantismus zu gewinnen oder direkt in den anderen Traditionen selbst Fuß zu fassen. Ein bekanntes Beispiel eines partiellen und zeitlich begrenzten Erfolges dieser Anstrengungen war die Geschichte der russisch-orthodoxen Kirche. Im 18. Jahrhundert stand die orthodoxe Theologie unter einem recht starken Einfluss der protestantischen Lehren, die zum Teil von den Orthodoxen selbst, die in den westeuropäischen Schulen ihre Ausbildung erhielten, in die eigene Tradition getragen wurden. Diese protestantische "missionarische" Einstellung war jedoch auch den anderen Konfessionen von damals zu eigen. In Folge des vorherrschenden exklusivistischen Denkens jener Zeit galt dasselbe für die Ostkirchen in Bezug auf die Kirchen der Reformation, die abtrünnigen protestantischen "Häretiker" zum wahren Glauben zu bekehren.

Erst im 20. Jahrhundert begann in den Beziehungen zwischen der Reformation und den Ostkirchen eine neue Epoche, die heute im Zeichen der ökumenischen Bewegung steht. Die orthodoxen Kirchen beteiligen sich an den zahlreichen ökumenischen Projekten, die auf die protestantischen Initiativen zurückgehen. Sie sind mit wenigen Ausnahmen Mitglieder im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK). Der ÖRK bietet sich als eine Plattform für die Begegnung und den Austausch mit den Kirchen der Reformation und fördert auch bilaterale Kontakte. So bestehen theologische Gespräche zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und den einzelnen Ostkirchen. So zum Beispiel zwischen EKD und der russisch-orthodoxen und der rumänisch-orthodoxen Kirche oder dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel. An die Stelle gegenseitiger Verurteilung und Konkurrenzkämpfen ist damit ein gemeinsames zwischenkirchliches Engagement getreten. 

Von Andriy Mykhaleyko

Hintergrund: Symposium in Eichstätt

Am 30. Juni und 1. Juli fand in Eichstätt ein Symposium zum Thema "Reformation und Ostkirchen" statt. Veranstalter waren der Lehrstuhl für Fundamentaltheologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und das Collegium Orientale (COr). Die Tagung thematisierte "zentrale systematische Fragen aus dem Umfeld des orthodox-protestantischen Dialogs ", erklärten die Veranstalter. Das COr ist das weltweit einzige gemeinsame Priesterseminar für Kandidaten aus den katholischen Ostkirchen und den orthodoxen und orientalischen Kirchen. (kim)

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