Alles für alle?
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Auf die Wahrung von Unterschieden kommt es an. Werden sie ignoriert, treten Ungerechtigkeiten auf. Kein Sportfunktionär denkt daran, beim Judo, Boxen und Ringen die Aufteilung in Gewichtsklassen aufzugeben oder Männer gegen Frauen antreten zu lassen. Das wäre grob unfair. Allerdings verbietet die Fairness lediglich, unterschiedslos Unterschiede einzuebnen. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, zwischen diskriminierenden und identitätsstiftenden, zwischen unfairen und gerechtfertigten Unterscheidungen zu unterscheiden. Das passende Lehrstück liefert die Debatte um die "Ehe für alle".
Hier geht es um die Frage, welche Unterschiede aus der Unterscheidung von Homo- und Heterosexualität noch abgeleitet werden dürfen. Für die Verfechter einer "Ehe für alle" ist bereits diese Frage inakzeptabel. Sie bestreiten, dass man Menschen dadurch gerecht wird, dass man zwischen ihnen Unterschiede feststellt. Stattdessen wollen sie mit der Ermittlung von Gemeinsamkeiten beginnen. Wenn Gemeinsamkeiten hinter Verschiedenheiten zurücktreten, treten Ungleichheiten hervor. Und in der Betonung von Ungleichheit liegt die Versuchung zur Diskriminierung. Darum lautet die Konsequenz: Wir können ein größtmögliches Maß an Gleichheit nur durch das Beseitigen von Unterschieden herstellen. Diskriminierungen sind vermeidbar durch das Maßnehmen an Gemeinsamkeiten: Person A ist ein Mensch – und Person B ist auch ein Mensch. Und wenn zwei homosexuelle Personen sich zu jenen Werten und Verpflichtungen bekennen, die eine Ehe ausmachen, sollte man ihnen den Gang zum Standesamt nicht verwehren.
Kritikern der "Ehe für alle" reicht diese Logik gerade nicht aus, um dem Unterschied zwischen homo- und heterosexuellen Verbindungen gerecht zu werden: Nur aus einer heterosexuellen Beziehung können Kinder hervorgehen. An diesem biologischen Unterschied wollen sie weiterhin Maß nehmen. Und dieses Maßnehmen soll auch weitere Unterschiede nach sich ziehen. Welche das sind, lassen sie offen. Zumindest wollen sie den Unterschied aufrechterhalten, nur heterosexuelle Verpartnerungen eine "Ehe" zu nennen.
Im Deutschen Bundestag spielte bei der Abstimmung zur "Ehe für alle" keine Rolle, ob man bei der Realisierung von Gerechtigkeit nicht doppelt Maß nehmen muss: zum einem an größtmöglichen Gemeinsamkeiten und zum anderen an unbestreitbaren Unterschieden. Mehrheitsfähig war die Devise: "Man kann alles für alle freigeben, wenn niemandem etwas genommen wird!" Vermutlich taucht diese Kurzformel in Zukunft bei weiteren Gleichstellungvorhaben wieder auf. Aber lässt sich Gerechtigkeit verwirklichen, wenn man überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden macht?