Wie klappt die Integration von Priestern?
Frage: Herr Aßheuer, ausländische Priester sind immer wieder ein Thema in den Diözesen und Gemeinden. Warum ist das so?
Aßheuer: Wir haben Priestermangel in Deutschland und jede Gemeinde – gerade im ländlichen Bereich wie hier im Erzbistum Paderborn – hätte gerne ihren eigenen Priester. Deshalb hat man schon vor einigen Jahrzehnten angefangen, ausländische Priester aufzunehmen. Jede Diözese macht das anders. Was die Akzeptanz dieser Geistlichen angeht, ist das Grundproblem in der Regel die Sprache: Wenn man das von einem Priester vorgetragene Evangelium nicht verstehen kann, wird man von ihm auch keinen sakramentalen Zuspruch erwarten können. Also ist die Sprache der Bereich, bei dem man ansetzt.
Frage: Wie gehen die einzelnen Diözesen mit ausländischen Priestern um?
Aßheuer: Die Unterschiede fangen bereits bei den Zahlen an: Es gibt Bistümer, die gar keine ausländischen Priester holen, dann welche mit sehr vielen – in Münster etwa soll es knapp 200 geben. Bei uns hat der Erzbischof entschieden, dass im Jahre 2024 von den insgesamt 350 Priestern der Erzdiözese 35 aus Indien stammen sollen, also zehn Prozent. Die Bistümer Münster, Trier und die Erzdiözese Köln bereiten indische Priester seit Jahren bereits in ihrem Heimatland vor. Sie lernen in Bangalore unsere Sprache und deutsche Professoren halten mehrwöchige Seminare über unsere pastoralen Gegebenheiten. Das kann man machen, ich denke aber für mich, dass das Gelernte erst wirklich ankommt, wenn man hier vor Ort ist.
Frage: Und dieses "Welveraner Modell" fahren Sie nun. Was genau tun Sie mit Ihren Schützlingen?
Aßheuer: Wir legen darauf wert, dass wir jeden einzelnen Priester persönlich gut kennen und intensiv betreuen. Das Erzbistum kennt drei Bistümer und sechs Orden in Indien persönlich und nur von dort ermöglichen wir die Kooperation. Die Inder kommen mit dem erlernten Sprachniveau B 1 hierher und wir heißen sie in Welver mit seinen 12.500 Einwohnern und der Gemeinde mit 4.250 Katholiken herzlich willkommen. Dann heißt es "learning by doing": Sie wohnen bei mir, lernen die Sprache und wenden sie sofort an, indem sie etwa den Führerschein machen, nach der Messe mit Jugendlichen Badminton spielen, Krankenbesuche machen und mit den Ministranten arbeiten.
Frage: Erleben die Männer bei Ihnen auch Rassismus wie etwa der Pfarrer von Zorneding in Bayern vergangenes Jahr?
Aßheuer: Das habe ich hier noch nicht erlebt. Hier in Welver leben ohnehin recht viele Flüchtlinge und die ganze dörfliche Gemeinschaft weiß: "Das sind die Inder vom Pastor". Diese Struktur – und dass die Geistlichen von Anfang an auf den Schützenfesten und Karnevalsfeiern dabei sind – helfen, Kontakt aufzubauen. Ich erlebe es hier so, dass die Deutschen für "exotische" Dinge zu haben sind und bei den indischen Priestern nachfragen, wie sie mit dem Essen hier zurecht kommen und ob es ihnen nicht zu lasch gewürzt ist. Und umgekehrt besteht Interesse, mit unseren Priestern gemeinsam zu kochen und so indische Speisen in die deutschen Küchen zu holen.
Frage: Gibt es beim Thema Akzeptanz Unterschiede zwischen einer Kirchengemeinde in der Stadt und auf dem Land?
Aßheuer: Wir haben auf dem Bistumsgebiet nur zwei Großstädte, Bielefeld und Dortmund, und nur sehr wenige indische Priester dort im Einsatz. Das sakramentale Bedürfnis ist im Sauerland und im westfälischen Bereich größer und da kommen die meisten Inder hin. Aber die Frage von Akzeptanz entscheidet sich nicht auf dem Land oder in der Stadt, sondern anhand der Sprachkompetenz der Seelsorger. Viele meinen zunächst, dass sie einen Menschen mit anderer Hautfarbe nicht verstehen, aber sobald unsere indischen Priester die Leute in einem verständlichen Deutsch ansprechen, ist die Akzeptanz da.
Frage: Wie bekommen Sie die indischen Priester sprachlich und auch kulturell fit für Deutschland?
Aßheuer: Es gibt einen intensiven Einzel- Sprachunterricht während des ganzen Praktikums bei einer emeritierten Lehrerin und wiederkehrende Phonetik-Stunden mit Absolventen der Kunsthochschule in Berlin. Und im ständigen Kontakt mit der Gemeinde hilft es, dass unsere Priester ein lächelndes Gesicht und ein einladendes, positives Auftreten mitbringen: Das hellt oftmals depressive westfälische Gesichter ziemlich schnell auf (lacht). Ein weiterer Eisbrecher ist, dass die Gemeinde hier stark miteinbezogen wird. Dies geschieht auf Augenhöhe mit den Priestern und nicht von oben herab. Denn diese jungen Männer bringen eine gewisse Hilfsbedürftigkeit mit: Es braucht Leute, die am Freitagabend die Predigten für das Wochenende gegenlesen, die zeigen, wie man bei Schnee Auto fährt oder wie man sich für unsere Temperaturen entsprechend kleidet. Dieses Mithelfen baut auch stark Barrieren ab, die auf dem klassischen Priesterbild als Oberbefehlshaber basieren.
Das Welveraner Modell
Für Pastor André Aßheuer war das Pfarrhaus von Welver in Westfalen, ein altes Klostergebäude, zu groß: Nach einer Renovierung lud er Anfang 2014 einen indischen Priester ein, bei ihm zu wohnen und sich mit ihm auf ihre Aufgabe als ausländische Seelsorger in Deutschland vorzubereiten. Inzwischen lebt Aßheuer mit bis zu vier Indern zusammen und ist seit Oktober 2015 der offizielle Beauftragte des Erzbistums Paderborn für die Berufseinführung ausländischer Geistlicher. In der ungewöhnlichen Wohngemeinschaft helfen eine Haushälterin und eine Deutschlehrerin mit. Die Priester arbeiten in der Gemeinde mit und sind auch in der Freizeit mit den Menschen in der Kleinstadt in Kontakt. Von den derzeit 26 indischen Geistlichen im Erzbistum Paderborn hat Aßheuer 16 betreut.Frage: Aber ist das Priesterbild in Indien nicht auch traditionell?
Aßheuer: Das heimische Priesterbild und die kirchliche Wirklichkeit ist in Indien so, wie es bei uns in den 1950er Jahren war. Aber diejenigen, die hierherkommen, bezeichnen sich als Missionare und bringen auch die Anpassungsfähigkeit eines Missionars mit. Ein indischer Priester ist es gewohnt, jeden Tag Familien zu besuchen. Das geht hier nicht, weil das viele Menschen weder wollen noch zeitlich schaffen würden. Aber was hier geht, ist die Menschen freitagabends auf dem Schützenfest anzusprechen und sich gegebenenfalls für ein intensiveres Gespräch zu verabreden. Diese Missionare sind glücklich, wenn sie merken, dass ihre Sprache gut genug ist, um etwa den Alten die Kommunion zu bringen und den Kranken am Krankenbett Mut zu machen.
Sie wollen lernen, sie reflektieren und hinterfragen vieles und dazu schafft ihnen mein Pfarrhaus hier eine geeignete Atmosphäre. Am Esstisch besprechen wir die Erlebnisse und die Fragen der Inder: "Warum wohnt in einem großen Haus nur eine Witwe allein?" Oder: "Wieso leben junge Menschen unverheiratet zusammen?" Hierbei können wir wunderbar über die Papstaussagen aus Amoris laetitia sprechen. Die Männer wollen die Frohe Botschaft wohlwollend in dieser für sie neuen Kultur verkünden. Sehr schnell lernen sie, dass man in Predigten kein Moralin versprüht.
Frage: Werden indische Priester in allen Bereichen der Seelsorge und Verkündigung eingesetzt?
Aßheuer: Sie sind aus ihrer Heimat für zehn Jahre zu uns entsandt, aber oftmals von Orden, die sie jederzeit für eine andere Aufgabe abberufen können. Das macht es unmöglich, dass sie leitende Pfarrer werden. Sie arbeiten als seelsorgerliche Mitarbeiter. Sie können Dinge wie die Seelsorge, das Einzelgespräch, die Liturgie und Beerdigungen sehr gut. Schwierigkeiten bereiten den meisten von ihnen Schulunterricht oder die Verwaltung. Hier im Haus absolvieren die Männer ein bestimmtes Curriculum, das je nach Sprachtalent acht bis 14 Monate dauert. Danach wird die künftige Aufgabe nach den Talenten desjenigen ausgesucht.
Frage: Einen Gottesdienst mit einer Gemeinde feiern, die einen kennt, ist das eine. Aber was ist, wenn eine Familie, die sich bei einer Hochzeit oder Beerdigung eine persönliche und gut verständliche Predigt wünscht, keinen indischen Priester möchte?
Aßheuer: Das habe ich noch nicht erlebt. Denn es ist ja gerade das, was wir trainieren: Nach jeder Messe stehen die indischen Priester am Ausgang und lernen die verschiedenen Familiensituationen kennen. Und bevor jemand alleine in eine Gemeinde geschickt werden kann, muss er Situationen wie Beerdigungen beherrschen. Ein Ziel des Kurses hier ist, dass man in der Lage ist, ein Kondolenzgespräch zu führen, die Erzählungen der Hinterbliebenen mit all den Lebensbrüchen zu verstehen und daraufhin eine persönliche Beerdigungspredigt zu schaffen. Wenn ein indischer Priester nach einigen Monaten hier merkt, dass es sprachlich nicht klappt, kann er jederzeit zurück und in seiner Heimat weiter eingesetzt werden.
Frage: Wie lange bleiben Sie der erste Ansprechpartner für die indischen Priester?
Aßheuer: Ich bin auch weiter ansprechbar, wenn die Priester aus diesem Haus heraus sind und an ihrer neuen Arbeitsstelle eine gewisse Selbstständigkeit erlangen. So kann es sein, dass sie sich auf einmal mit der Herausforderung des Blasiussegens konfrontiert sehen – den man in Indien überhaupt nicht kennt – oder mit einer Fahrzeugsegnung. Es ist schön zu sehen, wie sich die Männer entwickeln und wie sie auch unsere Kirche wieder mehr zu einer Kirche machen, die Nahe bei den Menschen ist und keine Berührungsängste hat. Es ist zwar ein weiter Weg, aber es ist möglich.