"Öffentliche Theologie" im Internet
Sie heißen Feinschwarz, y-nachten und Dei Verbum: Drei Online-Magazine von Theologen, die über die Fachgrenzen hinaus in die Gesellschaft wirken wollen. Anstatt nur auf wissenschaftlichen Konferenzen und in Fachzeitschriften zu diskutieren, haben sie den Anspruch, "öffentliche Theologie" zu betreiben, wie Rainer Bucher es nennt. Bucher lehrt als Professor für Pastoraltheologie im österreichischen Graz und ist einer der Gründer des "theologischen Feuilletons" feinschwarz.net.
Mit einer Fachzeitschrift fing es an
Insgesamt elf Theologen bilden die ehrenamtlich arbeitende Redaktion: Männer und Frauen; Deutsche, Schweizer und Österreicher; Ende 30 bis Anfang 60 – aber alle mit einem akademischen Hintergrund. Kennengelernt haben sich die theologischen Feuilletonisten auch bei einer ganz klassischen Zeitschrift: Der pastoralen Fachpublikation "Diakonia". Eine Fachzeitschrift könne aber nicht den Anspruch einlösen, den Bucher für Feinschwarz stellt: Teil einer kirchlichen Zivilgesellschaft zu sein, gesellschaftliche Debatten aus dem Blick der Theologie zu begleiten – und auch wahrgenommen zu werden.
Das gelänge den Autoren auch ganz gut, berichtet Bucher. Zahlen will er zwar vorerst keine nennen, die Artikel würden aber gelesen. Die jüngsten beschäftigen sich etwa mit der politischen Theologie neurechter Bewegungen, den Ausschreitungen beim G20-Gipfel oder die Frage nach einer zeitgemäßen Pastoral. Immer wieder führen Beiträge von Feinschwarz die Rangliste bei Theoradar.de an, der Suchmaschine für christliche Blogs. Die Autoren werden auf ihre Beiträge angesprochen, in sozialen Netzen werden sie viel geteilt und diskutiert. Allerdings: "Die höchste Aufmerksamkeit bekommen die Beiträge zu innerkirchlichen Themen", berichtet Professor Bucher. "Gesellschaftliche Themen, die wir aus theologischer Perspektive betrachten, werden weniger geklickt."
Nicht im Binnenkirchlichen verharren
Dabei ist die Idee des Projektes, nicht im Binnenkirchlichen zu verharren: Auch, wenn das Christentum immer weniger selbstverständlich ist in der Öffentlichkeit, gehört es für die Autoren von Feinschwarz dazu, die plurale Kultur mit einem christlichen Blick zu deuten. "Universalität braucht ein ethisches Fundament", sagt Bucher und verweist auf das Scheitern freiheitlicher Gesellschaften. In seinen Forschungen hat er sich mit den 30er-Jahren und dem Ende der Weimarer Republik beschäftigt, ähnliche gesellschaftliche Fliehkräfte sieht er im Erstarken von Populismus und Nationalismus. "Dass man heute glaubt, die Zukunft durch diese Konzepte des 19. Jahrhunderts gestalten zu können, ist ein Irrweg", meint Bucher. Die Form eines theologischen Feuilletons ist daher für Feinschwarz auch Programm: Nicht fertige Antworten liefern, sondern Diskussionen anstoßen.
Linktipp: Feinschwarz
Im theologischen Feuilleton feinschwarz.net veröffentlichen akademische Theologen aus dem deutschsprachigen Raum Texte zu aktuellen Themen der Gesellschaft.Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch y-nachten. Das Projekt wurde von zwei Nachwuchstheologen initiiert, der Doktorandin Franca Spies und dem Studenten Florian Elsishans. Beide arbeiten am Arbeitsbereich Dogmatik der Freiburger theologischen Fakultät, sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin, er als studentische Hilfskraft. "Wir kennen unter unseren Kommilitoninnen und Kommilitonen viele Leute, die spannende Ideen haben", erzählt Spies von der Entstehung. "Diese Ideen landen dann in Hausarbeiten und Magisterarbeiten, die in irgendwelchen Schubladen verschwinden." Damit das nicht mehr passiert, haben Spies und Elsishans y-nachten ins Leben gerufen: um solchen Leuten eine Plattform zu geben. Der Name hat, ganz postmodern, gleich mehrere Bedeutungen: y-nachten ging, natürlich, an Weihnachten online. Das "Y" steht aber auch für die "Generation Y", der Generation der zwischen 1980 und 2000 geborenen "Millenials", zu denen die Initiatoren und ihre Kommilitonen gehören. Und natürlich steht "Y" auch für "why", das Hinterfragen.
Locker und "pluralitätssensibel"
Markenzeichen ist laut Spies ein bewusst frischer Ansatz: freche Thesen, lockere Sprache, überraschende Zugänge. Ein Beitrag über die Ausbildung von Pastoralreferenten heißt dann schon mal "Pasti oder Antipasti", ein Artikel zu guten Vorsätzen zu Jahresbeginn "Gönnung muss sein". Zu jedem neuen Beitrag gibt die Redaktion ein "Hashtag der Woche" aus, unter dem die Diskussion in den sozialen Medien gebündelt wird. Fragt man Franca Spies nach dem roten Faden, der die Autoren inhaltlich zusammenfasst, wird sie dann aber doch akademisch: "pluralitätssensibel" sei der Ansatz, der die Autoren von y-nachten verbinde. Popkultur wird ernst genommen: "Die Theologie kann beim Gespräch mit der Kultur nur dazugewinnen", sagt Spies. Klassische Feuilletonthemen wie Musik werden auf ihren Sinngehalt hin untersucht und interpretiert, Gegenwartsphänomene wie "Fake-News" verhandelt, Klassiker wie "Star Wars" und die "Simpsons" diskutiert.
Mit dem Erfolg ist die Redaktion ganz zufrieden: Um die tausendmal wird ein erfolgreicher Artikel gelesen, die Rückmeldungen von Kommilitonen und Professoren sind positiv. Wie bei Feinschwarz laufen die Themen sehr unterschiedlich: Politische und kirchenpolitische Themen werden viel gelesen und geteilt, kulturelle Themen und allzu "binnentheologische" Artikel, die sehr akademische Themen verhandeln, etwas weniger.
Linktipp: y-nachten.de
Charakter: jung. hip. irgendwas. Lieblingswort: "warum" Accessoire: Buchstaben. Am liebsten "y".Alles aus biblischer Perspektive
Das dritte theologische Feuilleton ist fokussierter: Die Themenauswahl bei "Dei Verbum" ähnelt zwar dem von Feinschwarz und y-nachten. Es geht um aktuelle Themen, die die Gesellschaft bewegen, die Form soll kurzweilig sein, die Texte nicht belehren, sondern unterhalten. Bei "Dei Verbum" ist aber der Name Programm: Jedes Thema wird aus der Perspektive der Bibel diskutiert. "Dei Verbum" heißt die Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, die sich mit der Offenbarung und dem Verhältnis von Tradition und Heiliger Schrift befasst. Im Wochentakt, immer abwechselnd aus dem Blick des Alten und des Neuen Testaments, schreiben die beiden Autoren: Werner Kleine, der in Wuppertal als Pastoralreferent in der City-Seelsorge arbeitet, ist Neutestamentler, sein Mitherausgeber Till Magnus Steiner lebt in Jerusalem und ist für das Alte Testament zuständig. "Die Bibel hat vieles zu aktuellen Dingen zu sagen", erläutert Kleine den Ansatz. Oft würden Theologen mit dem Katechismus oder dem Kirchenrecht argumentieren: "Aber Gott hat nicht Kirchenrecht offenbart, sondern sein Wort. Das Wort Gottes ist die Quelle, aus der sich alles speist", so Kleine. Alles, was Theologen tun, stehe zunächst unter dem Wort Gottes, und manches aus der Tradition erscheine bei einer biblischen Betrachtung plötzlich ganz anders und neu, etwa die Erbsündelehre: "Geht es bei der Erzählung vom Fall des Menschen in Genesis 3 wirklich darum?", fragt Kleine.
Das 2014 gestartete Projekt, wie die anderen beiden theologischen Feuilletons komplett ehrenamtlich betrieben, hat heute eine respektable Reichweite. Gut 9000 Leser finden die Texte mittlerweile pro Monat. Dazu kommen sechs Diskussionsveranstaltungen im Jahr in Wuppertal, bei denen Steiner aus Jerusalem per Videokonferenz zugeschaltet wird.
Trotz des klaren Ansatzes und der überschaubaren Anzahl an Beitragenden – bisher stammen alle Artikel von Kleine und Steiner – sind die Themen breit gefächert: Trinkwasser als Gemeingut und Menschenrecht, hergeleitet aus der Genesis; eine Kritik der gegenwärtigen Pastoraltheologie, ausgehend davon, dass der heute allgegenwärtige Begriff "Charisma" in der Bibel nur 17 mal vorkommt; das Phänomen vermeintlicher Heilsbringer in der Politik von Martin Schulz bis Emmanuel Macron, diskutiert anhand König Davids. Gerade der biblische Blick ermöglicht die Breite der Themen: "Die wahren theologischen Anarchisten sind die Exegeten", findet Kleine.