Schwester Ursula Hertewich über das Sonntagsevangelium

Das übermächtige Andere

Veröffentlicht am 22.07.2017 um 17:47 Uhr – Lesedauer: 
Ausgelegt!

Bonn ‐ In der Nacht kam der Feind und säte Unkraut unter das Weizen, heißt es im Sonntagsevangelium. Das Böse erscheint übermächtig in dieser Welt. Aber es gibt noch eine andere Wirklichkeit, schreibt Schwester Ursula Hertewich.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Impuls von Schwester Ursula Hertewich

Das Böse scheint mächtig in dieser Welt. Tag für Tag werden wir in einer schwindelerregenden Dichte mit Nachrichten konfrontiert, die an der Wahrheit dieser These keinen Zweifel lassen. Krieg, Terror, Gewalt, himmelschreiende Ungerechtigkeiten, Politiker, die ihre Macht missbrauchen - und manchmal genügt auch schon ein einziger nerviger Nachbar, um uns das Leben zur Hölle zu machen. Ja, das Böse scheint mächtig, übermächtig in dieser Welt und immer, wenn wir mit dieser Wirklichkeit konfrontiert werden, bleibt in unseren Herzen ein ohnmächtiges Gefühl zurück.

Im heutigen Evangelium belehrt Jesus die Menge durch drei aussagekräftige Gleichnisse über eine andere Wirklichkeit, die angesichts der Überfülle bedrückender Nachrichten immer in Gefahr ist, aus dem Blick zu geraten: Die Wirklichkeit des Reiches Gottes. Wir hören gleich im ersten Gleichnis von einem Mann, der liebevoll guten Samen auf seinem Acker aussät. Wie so oft im Leben tritt just in diesem Augenblick der große Spielverderber auf den Plan, der es offensichtlich nicht ertragen kann, dass der Gutsherr die wohlverdienten Früchte seiner Arbeit genießen darf. Auch er will seine Saat wachsen lassen, die unfruchtbare Saat der Zerstörung und Verwirrung. "Diese Saat muss man im Keim ersticken…" – es sind Gedanken wie diese, die bei solchen Vergehen oftmals ganz unwillkürlich im Herzen aufsteigen, und so wird im Gleichnis auch erzählt, dass die Knechte den Gutsherrn fragen: "Sollen wir gehen und es ausreißen?" Doch seine Antwort verwundert: "Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte…" Also nicht ausrotten, sondern wachsen lassen? Ja, und zwar um des guten Weizens willen, der nicht durch das Unkraut, offensichtlich aber durch einen blinden Aktionismus der Knechte in Gefahr gerät. Es zählt vielleicht zu den größten Herausforderungen unseres Lebens, Tag für Tag den Anblick des Ackers zu ertragen, auf dem der böse Feind eine Spur der Verwüstung hinterlassen hat. Wie schnell sind wir zuweilen damit, uns selbst und andere zu verurteilen und dadurch leider auch die gute, göttliche Saat in uns und anderen in Mitleidenschaft zu ziehen. Glaubendes Vertrauen, Hoffnung und Liebe können nicht gedeihen in einem Umfeld, welches geprägt ist von Misstrauen und sich anmaßt, über gut und böse richten zu können.

Das Böse bläht sich immer auf in dieser Welt, es ist nicht zu übersehen und scheint übermächtig. Und dennoch ist es nicht wirk-mächtig, es hat keine Substanz und fällt in sich zusammen, sobald man es dem überlässt, der allein der Herr ist über Leben und Tod.

Die Schweizer Benediktinerin Silja Walter schrieb einmal: "Es gibt das Mächtige, das Übermächtige Andere, so zart wie gar nichts, so zart, so leise wie nichts in der Welt. Auf der ganzen Erde, Sternenhimmel eingeschlossen, gibt es nichts so Leises. Denken, Fühlen, Lieben eingeschlossen, und es ist noch unsäglich leiser. Doch es hat die Weltscheibe gesprengt. Und am Ende gibt es nur noch das Andere, am Ende von allem."
Wir sind eingeladen, uns dieser göttlichen Wirklichkeit immer neu anzuvertrauen.

Von Sr. M. Ursula Hertewich OP

Evangelium nach Matthäus (Mt 13, 24-43)

In jener Zeit erzählte Jesus der Menge das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein.

Da gingen die Knechte zum Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Weizen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich zu den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündeln, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.

Er erzählte ihnen ein weiteres Gleichnis und sagte: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte. Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hoch gewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, so dass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten.

Und er erzählte ihnen noch ein Gleichnis: Mit dem Himmelreiche ist es wie mit dem Sauerteig, den eine Frau unter einen großen Trog Mehl mischte, bis das Ganze durchsäuert war. Dies alles sagte Jesus der Menschenmenge durch Gleichnisse; er redete nur in Gleichnissen zu ihnen.

Damit sollte sich erfüllen, was durch den Propheten gesagt worden ist: Ich öffne meinen Mund und rede in Gleichnissen, ich verkünde, was seit der Schöpfung verborgen war. Dann verließ er die Menge und ging nach Hause. Und seine Jünger kamen zu ihm und sagten: Erkläre uns das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker.

Er antwortete: Der Mann, der den guten Samen sät, ist der Menschensohn; der Acker ist die Welt; der gute Samen, das sind die Söhne des Reiches; das Unkraut sind die Söhne des Bösen; der Feind, der es gesät hat, ist der Teufel; die Ernte ist das Ende der Welt; die Arbeiter bei dieser Ernte sind die Engel.

Wie nun das Unkraut aufgesammelt wird und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch am Ende der Welt sein: Der Menschensohn wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen.

Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten. Wer Ohren hat, der höre!

Die Autorin

Sr. Ursula Hertewich OP ist promovierte Apothekerin und arbeitet in der Seelsorge des Gästehauses des Dominikanerinnen-Klosters Arenberg.