Kardinal weist Vorwurf der Verschleppung bei Domspatzen zurück

Müller kritisiert Missbrauchsbeauftragten Rörig

Veröffentlicht am 20.07.2017 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 
Müller kritisiert Missbrauchsbeauftragten Rörig
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Domspatzen

Rom/Bonn ‐ Die Debatte um die Übergriffe bei den Regensburger Domspatzen geht weiter: Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Rörig hatte Kardinal Müller zu einer Entschuldigung aufgefordert. Der wehrt sich nun.

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Kardinal Gerhard Ludwig Müller hat vom Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, eine Entschuldigung gefordert. Im Interview mit der "Passauer Neuen Presse" (Donnerstag) warf Müller Rörig in Bezug auf die Übergriffe bei den Regensburger Domspatzen "Falschaussagen und falsche Informationen" vor. Rörig hatte seinerseits zuvor gefordert, der ehemalige Bischof von Regensburg solle sich "wenigstens jetzt für die verschleppte Aufarbeitung" der Missbrauchsfälle entschuldigen.

"Ich weise den Vorwurf der Verschleppung zurück, weil er den Tatsachen diametral widerspricht. Herr Rörig sollte sich erst einmal die neunseitige Chronologie der Aufarbeitung durch die Diözese anschauen – die er auch kennt, deren Faktenlage er jedoch offensichtlich nicht akzeptieren will", so Müller.

Müller: Nur Schwächen in unübersichtlicher Anfangsphase

Laut einem Anfang der Woche veröffentlichten Abschlussbericht von Rechtsanwalt Ulrich Weber wurden 547 Regensburger Domspatzen seit 1945 "mit hoher Plausibilität" Opfer von Übergriffen. 67 Domspatzen sind demnach sexuell missbraucht worden. Webers Bericht befasst sich auch kritisch mit der Aufarbeitung der Vorfälle durch das Bistum Regensburg. So soll Müller den Aufarbeitungsprozess im Jahr 2010 zwar initiiert haben. Gleichzeitig trage er jedoch die Verantwortung für "strategische, organisatorische und kommunikative Schwächen" in diesem Prozess.

Im Detail hatte Weber bemängelt, Müller habe zu lange an einer Einzelfalluntersuchung festgehalten, statt das System der Gewalt bei den Domspatzen als Ganzes in den Blick zu nehmen. Auch das wollte der Kardinal im Gespräch mit der "Passauer Neuen Presse" so nicht stehen lassen: "Rechtsanwalt Weber hat meines Wissens zunächst einmal dafür gedankt, dass durch mich als damaligem Bischof von Regensburg und Generalvikar Michael Fuchs die Aufarbeitung 40 Jahre nach den Taten erstmals in Gang gebracht worden ist. Das geschah nach den Möglichkeiten und dem Kenntnisstand, den wir damals hatten." Wenn Weber nun aus der Rückperspektive und dem heutigen Kenntnisstand solche Vorhaltungen mache, dann könne er das nicht akzeptieren, unterstrich der Kardinal. "Das entspricht nicht der Wahrheit."

Johannes-Wilhelm Rörig ist der Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.
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Johannes-Wilhelm Rörig ist der Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.Er hatte von Kardinal Müller eine Entschuldigung gefordert.

Bereits am Mittwoch sagte Müller der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) dazu, dass vonseiten der Diözesanleitung alles getan worden sei, "was nach dem jeweiligen Erkenntnisstand erforderlich war". Im Abschlussbericht sei lediglich von Schwächen in der noch ganz unübersichtlichen Anfangsphase die Rede. Auch könne der Bischof nicht in eigener Person die operative und kommunikative Seite des Gesamtprozesses verantworten, die in die Zuständigkeit der dazu Beauftragen falle.

Der italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera" (Donnerstag) sagte Müller, er habe angesichts der Misshandlungen und Missbrauchsfälle "Scham für das, was in der Kirche passiert ist" empfunden. "Als Kirchenmann ist das Leid der Opfer, ihrer Familien und Gemeinden auch mein Leid", so Müller. Zugleich bekräftigte er seine Null-Toleranz-Linie: Missbrauch sei das "schwerste Vergehen" und die Kirche nicht "irgendeine weltliche Institution".

Zollner: Müller sollte mit Opfern reden

Nur durch Unvoreingenommenheit und Gerechtigkeit könne die Kirche "den körperlichen und spirituellen Schaden, den die Opfer erlitten, heilen, soweit das möglich ist", so Müller. Er habe immer daran geglaubt, "dass Barmherzigkeit in der Kirche nicht ohne wahre Gerechtigkeit möglich ist". Dies gelte auch mit Blick auf die Arbeit der vatikanischen Glaubenskongregation, die auch für die innerkirchliche Strafverfolgung schwerwiegender Delikte wie Kindesmissbrauch zuständig ist. Für ihn habe bei jedem Prozess bis zum Ende die Unschuldsvermutung gegolten, "doch gleichzeitig habe ich nie einem Opfer das Wort verweigert". Müller stand bis Anfang Juli fünf Jahre an der Spitze der Behörde.

Der katholische Kinderschutzexperte Hans Zollner riet Müller, mit ehemaligen Domspatzen, die Missbrauch erlitten haben, zu reden. Die Betroffenen wünschten sich in erster Linie, gehört zu werden, sagte das Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission am Mittwoch im Interview mit Radio Vatikan. "Das ist etwas, was ich jedem Bischof oder Provinzial bei den Fortbildungen, die ich immer wieder halte, sage und sehr ans Herz lege", so Zollner. (bod/KNA)

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