"Eine Warnung für Deutschland"
Am Montag hatte ein Berufungsgericht in Brüssel dem Antrag des 50 Jahre alten Sexualtäters Frank Van Den Bleeken zugestimmt, seinem Leben nach 30 Jahren Haft ein Ende zu setzen. "Er hat sich das sehr gut überlegt, er kann so nicht mehr weiterleben", sagte sein Anwalt Jos Vander Velpen in Antwerpen der Nachrichtenagentur dpa. Der Mann war im Alter von 20 Jahren wegen Vergewaltigung einer 19-Jährigen verurteilt worden.
"Er hat seine Entscheidung mit vollem Bewusstsein getroffen, er ist sehr intelligent", sagte der Anwalt. Er habe auch mit seiner Familie über den Wunsch nach dem Tod diskutiert: "Es gibt viel Verständnis für ihn." Der Gefangene habe mehrfach beantragt, in eine niederländische Strafanstalt verlegt zu werden, wo er wegen eines psychischen Leidens behandelt werden könne. Anderenfalls wolle er sterben. "Wir haben niemals eine klare Antwort bekommen", sagte der Anwalt. Deshalb habe man vor Gericht die Sterbehilfe durchgesetzt.
Der Palliativmediziner Distelmans, der an der Universität Brüssel lehrt, warf den Behörden vor, im Fall von Van Den Bleeken seien nicht alle Therapieoptionen ausgeschöpft worden. "Den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft kann man daran messen, wie sie mit den Schwächsten - in diesem Fall also mit Internierten – umgeht", sagte der Mediziner. Die Bilanz falle jedoch äußerst schlecht aus.
Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte das Vorgehen der belgischen Behörden. "Der Fall des belgischen Strafgefangenen zeigt auch was passiert, wenn der Staat kein Therapie-Angebot bereithält. Dann wird nicht die Hilfe zum Leben sondern der Weg in den Tod organisiert", heißt es in einer am Dienstag in Berlin veröffentlichten Erklärung.
Wie hätte eine Behandlung aussehen können?
Unklar ist jedoch, wie eine Behandlung Van den Bleekens hätte aussehen können. Der Belgische Rundfunk berichtet, das Justizministerium habe eine Verlegung in die Niederlande, wo es adäquate Therapieeinrichtungen gegeben hätte, abgelehnt. Seitens der Behörden heißt es, eine angemessene psychologische Behandlung hätte im Gefängnis nicht gewährleisten werden können. Van Den Bleeken hatte geltend gemacht, er sei psychisch unheilbar krank und eine Gefahr für die Gesellschaft. Nach eigenen Angaben leidet er an für ihn unerträglichen "psychischen Schmerzen".
Der Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe (CDU) sieht in der "immer weitere Grenzen überschreitenden Sterbehilfe-Praxis unseres westlichen Nachbarlandes eine eindringliche Warnung für Deutschland". Die Sterbehilfe für einen körperlich gesunden Strafgefangenen, der "unerträgliches psychisches Leiden" geltend mache, sei nur ein weiterer Eskalations-Schritt der belgischen Euthanasie, warnte er.
Grenzen der Sterbehilfe immer stärker ausgeweitet
Gerade Belgien sei ein Beispiel dafür, dass sich die Kernthese, unerträgliches Leiden sei durch Tötung zu vermeiden, Schritt für Schritt gegen alle eingezogenen Hürden und vermeintlich "enge Grenzen" durchsetze, sagte Hüppe. Nachdem die Euthanasie zunächst für volljährige, einwilligungsfähige Patienten in medizinisch aussichtsloser Lage gedacht war, seien 2012 zwei gehörlose Brüder, die ihre Erblindung befürchteten, durch sie gestorben, so der CDU-Politiker. Und: "Im letzten Jahr wurde die Regelung auf Minderjährige ausgeweitet."
Im vergangenen Jahr nahmen in Belgien 1.807 Menschen Sterbehilfe in Anspruch. Das waren 27 Prozent mehr als 2012. Seit dem Frühjahr ist Belgien weltweit das erste Land, das für aktive Sterbehilfe keine Altersgrenze mehr vorgibt. Auch unheilbar kranke Kinder können unter bestimmten Umständen aktive Sterbehilfe bekommen. Erlaubt ist aktive Sterbehilfe in Europa auch noch in den Niederlanden und Luxemburg. (bod/KNA/dpa)