Bischöfe fordern Teilnahme am Referendum in Schottland

Mit Leidenschaft und ohne Gewalt

Veröffentlicht am 18.09.2014 um 00:00 Uhr – Von Agathe Lukassek – Lesedauer: 
Schottland

Bonn ‐ Rund vier Millionen Schotten stimmen an diesem Donnerstag über ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich ab. 90 Prozent der Gesamtbevölkerung haben sich für das Referendum registriert; Gegner und Befürworter liegen nach Schätzungen in etwa gleichauf.

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Auch die Meinungen der Katholiken des Landes – mit knapp 16 Prozent die zweitstärkste Religionsgemeinschaft – sind gespalten. Und das sei auch gut so, sagen die Bischöfe des Landes, die sich über die Debatte freuen.Überall werde in letzter Zeit über das Referendum diskutiert, sagte der Erzbischof von Saint Andrews und Edinburgh, Leo Cushley, gegenüber Radio Vatikan. Zum ersten Mal seit Generationen setzten sich die Schotten ernsthaft mit ihrer Unabhängigkeit auseinander - mit Leidenschaft und ohne Gewalt, so Cushley. Auch sein Kollege in der Diözese Paisley, Bischof John Keenan, lobte im Papstsender die Debatte um ein "Yes" oder "No" zur Unabhängigkeit als beherzt und fair.

Das Referendum sei eine Art Lackmustest für die Demokratie, was freilich auch mit Risiken verbunden sei, sagte Keenan. Dass das Land sich aufteilt sei zunächst einmal positiv zu bewerten, denn das zeige, "dass die Menschen nachdenken, dass sie nicht einfach beeinflusst werden von ihrer Familie und den Freunden". Zugleich gebe es aber auch eine Unruhe, dass eine Teilung sich zum Negativen wenden könnte, so der Paisleyer Bischof. Wichtig sei, dass die Meinung eines jeden Bürgers auch akzeptiert werde.

Bild: ©Agathe Lukassek

Das Urquhart Castle am berühmten Loch Ness in Schottland ist ein beliebtes Reiseziel für Touristen.

Keine Wahlempfehlungen der Bischöfe

Eine Wahlempfehlung an die Katholiken gibt keiner von ihnen ab. Ende August rief Cushley die Edinburgher Gläubigen mit einem Hirtenbrief jedoch zur Abstimmung auf, die er als "Bürgerpflicht" bezeichnete. "Wie auch immer das Referendum ausgeht, ich hoffe, dass alle Katholiken sich weiter positiv in den öffentlichen Diskurs einbringen und sicherstellen, dass die christliche Botschaft und ihre Werte besser bekundet und verstanden werden, zum Wohl der ganzen Gesellschaft", schrieb er.

Auch der Erzbischof von Glasgow, Philip Tartaglia, appellierte an die Stimmberechtigten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, "in völliger Entscheidungsfreiheit und gemäß ihrem im Gebet erworbenen Urteil, was das Beste für die Zukunft ist". "Möge Gott uns leiten und segnen in jeder Entscheidung, die wir mit gutem Gewissen treffen", fügte er an.

Einfach wird die Entscheidung nicht, denn Gegner wie Befürworter einer Unabhängigkeit Schottlands haben sachliche Argumente (siehe Info-Kasten). Vor allem die Folgen eines möglichen positiven Votums seien noch nicht abzusehen, sondern würden neue Fragen aufwerfen, berichtet der BBC-Gälisch-Korrespondent Michael Klevenhaus: "Wie formen wir diese Selbstständigkeit nun aus?" Bislang sehe es so aus, als würde die Königin weiter auch Königin von Schottland bleiben. Auch die Währung könnte eine gemeinsame Währung bleiben und die Außenpolitik "in gewisser Weise gemeinsam weiter betrieben werden", sagte Klevenhaus.

Ob Schottland im Falle eines "Yes" und damit der Unabhängigkeit weiter zur EU gehören würde, sei momentan unklar, so der BBC-Korrespondent. Doch ähnlich Bestrebungen wie die Großbritanniens, aus der Europäischen Union auszusteigen, gebe es in Schottland nicht. "Die Schotten sind weitaus EU-freundlicher als die Engländer", so Klevenhaus. Und das eher ärmere Land wisse auch genau, wo das Geld herkomme.

Weniger Klassenbewusstsein als in England

Als typisch schottisch bezeichnet Klevenhaus, dass es weit weniger Klassenbewusstsein gebe als in England – ein Mensch werde viel eher an einem guten Gespräch und an seinem Können gemessen als an seinem Titel. Und: Anders als etwa in Nordirland kämen auch alle christlichen Konfessionen "vergleichsweise gut miteinander aus".

Auch Bischof Keenan schätzt es, dass es in Schottland meist friedlich zugehe und es neben der "relativen, finanziellen Sicherheit" auch eine soziale Sicherheit und Stabilität gebe. "Es gibt Bürger, die in der Debatte engagiert sind, aber die nie denken würden, dass Meinungsverschiedenheiten Ursache von Gewalt sein können. Darüber sollten wir dankbar sein", so der Oberhirte. (mit Material von KNA)

Von Agathe Lukassek

Die wichtigsten Argumente

YES - Pro Unabhängigkeit: DEMOKRATIE: Schottland wählt Labour oder SNP, also sozialdemokratisch. In London dagegen regiert der Konservative David Cameron mit seinen Tories - auch über Schottland. Als unabhängiger Staat könnten die Schotten über ihre Regierung selbst bestimmen. ÖL: Der allergrößte Teil der britischen Öl-Vorräte schlummert unter schottischem Meeresboden. Wird das Land unabhängig, kann es über Steuereinnahmen aus den Gewinnen der Ölkonzerne selbst verfügen. ATOMWAFFEN: Schottland beherbergt in der Militärbasis Faslane britische Atomwaffen, die es nicht haben will. Wäre das Land selbstständig, könnte es die Waffen in absehbarer Zeit loswerden. NÄHER DRAN: Schottlands Probleme, Schottlands Lösungen. London ist zu weit weg, eine mit allen Kompetenzen ausgestattete Regierung in Edinburgh weiß besser, was gut für ihr Volk ist. KLEINE LÄNDER: Andere können es auch. Gern verweist Edinburgh auf Norwegen, das wie Schottland gut fünf Millionen Einwohner hat und von seinen Erdöl-Vorkommen profitiert. Auch Finnland und Dänemark sind nicht viel größer, aber angesehene Staaten. NO - Kontra Unabhängigkeit: WÄHRUNG: Die Bank of England regelt den Verkehr des britischen Pfunds. Spaltet sich Schottland ab, ist sie nach Darstellung Londons nicht mehr zuständig - und Schottland steht ohne eigene Währung und Zentralbank da. ARBEITSPLÄTZE: Geht der britische Binnenmarkt verloren, geraten laut "Better together"-Kampagne bis zu 600 000 Arbeitsplätze in Gefahr. Denn so viele Schotten seien bei Unternehmen beschäftigt, die entweder ihren Sitz außerhalb Schottlands haben oder deren wichtigster Absatzmarkt Rest-Britannien ist. SICHERHEIT: Großbritannien hat ein Verteidigungsbudget von 34 Milliarden Pfund (ca. 42,6 Milliarden Euro) und schützt damit seine Bürger - auch im Norden. Das vorgesehene Budget in einem unabhängigen Schottland ist sehr viel kleiner. Das hält London für gefährlich, etwa wegen der Cyber-Kriminalität. Außerdem gingen Zehntausende Jobs bei Militär und Sicherheitsdiensten verloren. RENTEN und SOZIALSYSTEM: Im Vereinigten Königreich verteilen sich die Kosten für soziale Leistungen auf mehrere Schultern. Schottlands Bevölkerung altert schneller als der britische Durchschnitt und profitiert bei den Renten deswegen in besonderem Maße. Laut nationalem Statistikamt hat Schottland von allen Teilen Großbritanniens die niedrigste Geburtenrate. EU: Großbritannien ist eines der einflussreichsten EU-Länder. Dass Schottland überhaupt EU-Mitglied werden könnte, ist keine ausgemachte Sache. Außerdem fiele wohl der Briten-Rabatt weg. (dpa)
Von Agathe Lukassek