Der Deutsche Jusistentag beschäftigt sich mit den Themen Recht und Religion

Rückendeckung für Blasphemie- Paragrafen

Veröffentlicht am 19.09.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Recht

Hannover ‐ Blasphemie, Scharia, Beschneidung: Der Deutsche Juristentag hat sich mit einer Reihe von Themen beschäftigt, in denen Religion auf das Recht trifft. Bei ihrem 70. Treffen, das am Freitag in Hannover zu Ende ging, sprachen sich die Juristen dafür aus, den Schutz religiöser Bekenntnisse im Strafgesetzbuch beizubehalten.

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Dem Tatbestand der Bekenntnisbeschimpfung (Paragraf 166 StGB) komme "in einer kulturell und religiös zunehmend pluralistisch geprägten Gesellschaft eine zwar weitgehend symbolhafte, gleichwohl aber rechtspolitisch bedeutsame, werteprägende Funktion zu", heißt es in einem am Donnerstag mit großer Mehrheit verabschiedeten Antrag.

Zudem gebe er religiösen Minderheiten das Gefühl existenzieller Sicherheit. Gotteslästerung gilt in Deutschland seit 1871 als Straftatbestand. Seit der Strafrechtsreform von 1969 ist der sogenannte Blasphemie-Paragraf 166 StGB jedoch eingeschränkt. Bis dahin war die "Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse" das Kriterium. Seitdem ist die Beschimpfung eines solchen Bekenntnisses nur strafbar, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Strafrechtliches Schutzgut ist damit der öffentliche Friede und nicht mehr das individuelle religiöse oder weltanschauliche Empfinden.

Juristentag stellt sich hinter religiöse Beschneidung von Jungen

Kirchenvertreter und Muslime hatten in der Vergangenheit mehrfach beklagt, dass die Schutzvorschrift deshalb zahnlos geworden sei. Religionskritiker hatten dagegen die völlige Abschaffung des Paragrafen gefordert. Religionen dürften keine Sonderrolle in der öffentlichen Debatte haben. Es herrsche Meinungsfreiheit. Debatten um den Blasphemie-Paragrafen gab es zum Beispiel nach der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen und von satirischen Darstellungen von Papst Benedikt XVI. (2005-2013) sowie im Zuge des Prozesses gegen die Moskauer Punkband Pussy Riot in Russland.

Weiter hat der Deutsche Juristentag keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen. Mit 40 zu 32 Stimmen bei 19 Enthaltungen stellten sich die Delegierten hinter das Ende 2012 vom Bundestag verabschiedete Gesetz, das die Knabenbeschneidung aus nichtmedizinischen Gründen unter bestimmten Bedingungen gesetzlich erlaubt. Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs ist unter anderem, dass er nach Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt.

Nach Meinung der Juristen bedarf der entsprechende Paragraf 1631d des Bürgerlichen Gesetzbuchs allerdings einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, "dass die Vorschrift nur einen auf ein ernsthaftes religiöses Selbstverständnis gestützten Eingriff rechtfertigt". Hygienische oder ästhetische Vorlieben der Eltern oder kulturell tradierte Sitten reichten hierfür nicht aus.

An deutscher Rechtsgemeinschaft orientieren

Ein weiteres Thema war, inwieweit die deutsche Justiz im Strafrecht auf religiös geprägte Vorstellungen von Zuwanderern eingehen muss; Stichwort Scharia-Gerichte. Hierbei sollten sich nach Auffassung des Juristentages auch in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft Gesetzgebung und Rechtsprechung vorrangig an den Vorstellungen der "hiesigen Rechtsgemeinschaft" orientieren. Eine deutliche Mehrheit der Rechtsexperten sprach sich dafür aus, hiervon abweichende Vorstellungen nur in Ausnahmefällen zu berücksichtigen.

Auf absolute Ablehnung stieß die Überlegung, die kulturelle oder religiöse Prägung des Täters als Rechtfertigungsgrund heranzuziehen. Auch bei der gerichtlichen Prüfung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums sprach sich eine Mehrheit dafür aus, die kulturellen und religiösen Hintergründe des Täters nur im Ausnahmefall zu berücksichtigen - maßgeblich sei dabei die Schwere der Tat.

Ebenfalls sollten bei der Strafzumessung nach Auffassung der Juristen tatrelevante kulturelle oder religiöse Gebote nur ausnahmsweise berücksichtigt werden. Dabei sollte der Widerspruch zwischen kulturellen oder religiösen Geboten und dem rechtlichen Verbot für den Täter einen echten, schweren Konflikt darstellen und zugleich die kulturelle oder religiöse Verhaltensnorm nicht in fundamentalem Widerspruch zur hiesigen Verfassungs- und Rechtsordnung stehen. (luk/KNA)

Stichwort: Deutscher Juristentag

Der Deutsche Juristentag versteht sich als unabhängiges Sprachrohr des ganzen Juristenstandes. Die fachübergreifende Juristentagung findet alle zwei Jahre statt. Dabei greift der Kongress aktuelle rechts- und gesellschaftspolitisch umstrittene Themen auf, wie etwa die Sterbehilfe, das Folterverbot oder den Umgang mit Religionskonflikten. Ziel ist es, den Gesetzgeber auf gesellschaftliche und rechtliche Fehlentwicklungen hinzuweisen und die dafür möglichen juristischen Reformen zu unterbreiten. Teilnehmer sind unter anderem Richter, Anwälte und Wissenschaftler. Mehrere Rechtsgebiete werden in getrennten Abteilungen besprochen. Die Beratungen werden durch Gutachten und Referate vorbereitet. Am Ende der Diskussionen stimmen die Teilnehmer über konkrete Vorschläge ab. Ihre Empfehlungen fließen tatsächlich immer wieder in die Gesetzgebung und die Rechtsprechung ein. Der Juristenkongress existiert seit 1860. Er wird vom gemeinnützigen Verein Deutscher Juristentag e.V. mit rund 6.000 Mitgliedern getragen. (dpa)