Neuer Aachener Bischof redet über die Kirche von morgen

Bischof Dieser über alte Gemeinden und neue Wege

Veröffentlicht am 20.09.2017 um 18:24 Uhr – Lesedauer: 
Bistum Aachen

Aachen ‐ Ein Programm hatte Helmut Dieser gar nicht vorlegen wollen. Doch spricht der neue Aachener Bischof bei seinem ersten Medienempfang über seinen Plan einer Kirche von morgen.

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Helmut Dieser ist vor einem Jahr zum katholischen Bischof von Aachen ernannt worden und übt das Amt nun zehn Monate aus. Da wolle er noch kein Programm vorlegen, meint er am Mittwoch bei seinem ersten Medienempfang in Aachen. Doch es kommt anders. Der Geistliche überrascht die Journalistenrunde mit sehr konkreten Vorstellungen, wie er sich eine Kirche in der modernen Gesellschaft angesichts sinkender Zustimmungsraten und abnehmender Mitgliederzahl vorstellt.

Nicht einfach das früher gewohnte Gemeindeleben aufrechterhalten

Der Bischof berichtet zunächst mal von seinen Besuchen in sieben von acht Regionen seiner Diözese - und der dort immer wieder zu hörenden Bitte der Basis: "Retten Sie die kleine Pfarrei." Gerade der älteren Generation komme es sehr darauf an, dass sich zu ihren Lebzeiten nichts an den überkommenen Strukturen vor Ort verändern möge. Doch diesem Impuls, der Bischof spricht von "Plausibilitätsform", habe er sich schon als Pfarrer widersetzt - und zwar gerade mit Blick auf die Kinder und Enkelkinder dieser Menschen.

Der Bischof lehnt es ab, dass Hauptamtliche in der Kirche unter den heutigen Bedingungen einfach das früher gewohnte Gemeindeleben aufrechterhalten: In "dieser Mühle" würden viele müde und verlören die Freude an der Seelsorge.

Eine leere Kirche (Symbolbild)
Bild: ©katspi/Fotolia.com

Heute bestimme jeder selbst, ob er ein kirchliches Angebot wie einen Gottesdienst wahrnehmen wolle oder nicht, so Bischof Dieser. Und entsprechend müssten die Menschen heute auch individuell angesprochen werden.

"Wir brauchen einen Perspektivwechsel", fordert Dieser. Um deutlich zu machen, worauf es ihm dabei ankommt, wendet er den Blick noch einmal in die Vergangenheit. Für frühere Generationen sei die Kirche mit dem Gottesdienstbesuch ein selbstverständlicher Teil des Lebens gewesen. Und wer die Messe geschwänzt habe, habe soziale Sanktionen erfahren müssen. "Dieses Dach der Zugehörigkeit hat sich völlig aufgelöst", analysiert der Bischof. Denn heute bestimme jeder selbst, ob er ein kirchliches Angebot wie einen Gottesdienst wahrnehmen wolle oder nicht. Und entsprechend müssten die Menschen heute auch individuell angesprochen werden.

In diesem Sinne plädiert der Bischof dafür, nicht mehr nur von der Gemeinde und ihren Strukturen her zu denken, sondern vom Einzelnen her. Für die Kirche komme es darauf an, mit Menschen zunächst einmal nicht über Gott, sondern über ganz existenzielle Fragen ins Gespräch kommen: Wo stehst Du im Leben? Wie gehst Du mit dem Leben um? Was macht Dir Freude? Und am Ende eines solchen Dialogs dürfe nicht einfach die Erwartung stehen: Jetzt musst du aber Kirche werden. Eher geht es für Dieser um einen Austausch, auf dessen Basis Entscheidungen reifen können - für oder gegen den Glauben, für oder gegen die Kirche.

"Einen anderen Weg des Evangeliums kann ich nicht sehen"

Gerade mit Blick auf die Jugendlichen zeichnet der Bischof ein kritisches Bild. Erstkommunionvorbereitung oder Firmkurse sprächen viele gar nicht an und führten nicht zu einer Kirchenbindung. Die Kirche habe die Jugendlichen nicht verloren, so Dieser, sie gewinne sie erst gar nicht. Deshalb brauche es neue Wege für das Christentum in der modernen Welt.

Linktipp: Hirte mit einem Herzen für die Ökumene

Papst Franziskus hat Helmut Dieser zum Bischof von Aachen ernannt. Seine ökumenische Ausrichtung und seine ruhige Art dürften dem bisherigen Trierer Weihbischof an der neuen Wirkungsstätte zugute kommen. (Artikel vom September 2016)

Dazu müsse die Kirche die Menschen heute viel mehr als Pilger verstehen, die nach Sinn suchen, die dabei auch mal ein kirchliches Angebot wahrnehmen, die sich aber vielleicht auch wieder mit einem kräftigen "Tschüss" verabschieden. "Einen anderen Weg des Evangeliums kann ich nicht sehen", so der Geistliche. Aus seiner Sicht reichen für eine solche Kommunikation kirchliche territoriale Strukturen allein nicht aus. Die Kirche dürfe nicht nur "im Klein-Klein der bisherigen Pfarrei" denken, sondern müsse die Pastoral in viel größeren Räumen denken. Neben Nähe komme es auch auf Weite und Vielfalt, auf netzwerkartige Strukturen, an.

Der Bischof weiß, dass diese neue Form von Kirche für viele eine Hürde darstellt. Wohl auch deshalb hält er viel davon, dass die Basis den künftigen Weg der Kirche mitberät, es also im Sinne von Papst Franziskus zu synodalen Entscheidungen kommt. Es gebe aber keine Alternative dazu, jetzt Schritte für Neuerungen einzuleiten, so der 55-Jährige. Denn sonst gingen in 20 Jahren die Kirchengemeinden ganz verloren, die die ältere Generation retten wolle - weil ihre Kinder und Enkel gar nicht da sind.

Von Andreas Otto (KNA)

Aktuell: Aachener Bischof fordert differenzierten Umgang mit AfD

Der Aachener Bischof Helmut Dieser kritisiert den Bundestagswahlkampf und einen undifferenzierten Umgang mit der AfD. "Einen solchen Schlafwagen-Wahlkampf mit solchen Polarisierungen am Rand dürfen wir uns nicht mehr erlauben", sagte er am Mittwoch in Aachen. Er kritisierte eine mangelnde Auseinandersetzung mit den Themen, die von der Partei aufgeworfen worden seien und sprach von "Dialogunfähigkeiten" aufseiten der "Alternative für Deutschland" sowie dem Medienmainstream. Dieser bekannte sich zu dem Grundsatz, dass er keine Urteile über Parteien, sondern nur über politische Inhalte abgebe. In diesem Sinne habe die Kirche etwa deutlich gezeigt, dass Flüchtlinge "unsere Nächsten" seien. Zugleich forderte der Geistliche eine differenzierte Debatte. Es müsse auch über die Frage diskutiert werden dürfen, wann ein Gemeinwesen überfordert sei und wie sich die Aufnahme von Flüchtlingen auf den sozialen Frieden auswirke. Ein Blanko-Scheck nach dem Motto "Wir schaffen alles" dürfe nicht blind ausgestellt werden. (luk/KNA)