Spätabtreibungen zum Wahlkampfthema machen!
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Auch wenn wir Deutschen in puncto Emotionalität im Wahlkampf den Amerikanern nicht das Wasser reichen können, gab es dieses Mal doch eine Szene, die nicht wenige feuchte Augen hinterlassen hat: Bei der "Wahlarena" ergriff eine junge Frau mit Downsyndrom das Wort und konfrontierte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Tatsache, dass in Deutschland neun von zehn Babys mit Downsyndrom abgetrieben würden. Eine Abtreibung mit dieser Diagnose könne bis kurz vor der Geburt vorgenommen werden. "Wie stehen Sie zum Thema Spät-Abbruch?", wollte Natalie Dedreux wissen. Ihr Statement beendete sie mit dem Satz: "Ich will nicht abgetrieben werden, sondern auf der Welt bleiben!" Im Studio brandete Applaus auf, Merkel nickte kräftig und wirkte sichtlich gerührt.
Im Wahlkampf, dem vielfach Kontroversen ebenso fehlten wie echte Emotionen, stellte die Begegnung einen echten Höhepunkt dar. Die nationale und internationale Presse feierte die Szene als "bemerkenswerten Moment", "stärksten Auftritt des Abends" und "eine der härtesten Fragen im Wahlkampf".
Leider wurde, wie man zwei Tage vor der Bundestagswahl konstatieren muss, dennoch kein Wahlkampfthema daraus. Wieder zur Souveränität zurückgekehrt antwortete Merkel zwar mitfühlend, aber ohne konkrete Perspektiven aufzuzeigen, wie man die Situation verbessern könnte. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Parteien insgesamt um derlei heikle Themen geradezu drücken. Dabei wäre es fundamental, ethische Grundfragen zur Sprache zu bringen, denn an ihnen entscheidet sich, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen.
Stellen wir für Menschen mit Behinderung nur schöne Programme zur Inklusion bereit, die mal mehr, mal weniger gut umzusetzen sind, oder sagen wir ihnen zunächst und vor allem: Es ist gut, dass Du da bist – und verhalten uns ihnen gegenüber auch entsprechend?
Für die von Dedreux gestellte Frage wäre etwa eine politische Diskussion wünschenswert, wie man es werdenden Eltern leichter machen könnte, sich bei der Diagnose Downsyndrom gegen eine Abtreibung zu entscheiden. Denn statt moralischer Keulen, die gerne von Glaubensgemeinschaften vorgebracht werden, würde ihnen in dieser Situation wohl vor allem die Aussicht auf konkrete staatliche und gesellschaftliche Unterstützung helfen. Offenbar fehlte den Parteien aber für diese Diskussion bisher der Mut.