Pro und Contra

Schreiende Kinder im Gottesdienst

Veröffentlicht am 23.09.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Liturgie

Bonn ‐ Schreiende Kinder in der Sonntagsmesse? Ja, sagt Katholisch.de-Redakteur Thomas Jansen. Die Kirche müsse mehr auf Kinder zugehen. Kollegin Julia Martin widerspricht: Eltern sollten mit lauten Kindern rausgehen.

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Katholisch.de-Redakteur Thomas Jansen fühlt sich mit drei lebhaften Kindern in der Messe nicht willkommen:

Ehrlich gesagt: Früher war ich auch einer von denen, die genervt waren, wenn kleine Kinder im Gottesdienst wuselten, quengelten und schrien, von denen, die den Erziehungsberechtigten höflich zu verstehen gaben: Schön, dass ihr es versucht habt, aber betet doch demnächst besser zuhause. Bis ich unsere Tochter zum ersten Mal im Kinderwagen in den Gottesdienst schob.

Heute habe ich drei lebhafte Kinder und kann nur sagen: Danke Bischof Ulrich Neymeyr! Sie haben mir am vergangenen Sonntag aus dem Herzen gesprochen. Ihr Vorschlag, in Gemeinden ihres Bistums Erfurt jeden dritten Sonntag im Monat einen Gottesdienst für Familien mit "lebhaften Kindern" zu feiern, würde mir mehr helfen, als alle kirchlichen Loblieder auf die Familie.

Ich fühle mich mit meinen Kindern im Alter von vier Monaten, zwei und vier Jahren als Außenseiter. Sonntagmorgens frage ich mich regelmäßig: Will ich mich den bohrenden Blicken der andächtigen Gemeinde aussetzen, wenn meine Kinder wieder während der Wandlung fragen: "Papa, was macht der Mann da vorne?".

Ich ärgere mich auch über Kirchenräume, die so kinderfreundlich wie ein Altenheim gestaltet sind und Familiengottesdienste, die so häufig sind, wie Mondfinsternisse.

Eine Kirche ist kein Montessori-Kindergarten. Das ist auch gut so. Aber in jedem mickrigen Gartencenter gibt es heute einen Abenteuerspielplatz. Und in einer Kirche sollen ein paar zerfledderte Kinderbücher schon das höchste der Gefühle sein? Und ein Priester, der sagt "Herzlich willkommen, liebe Kinder" sich dann die restlichen 45 Minuten ausschließlich an die Erziehungsberechtigen wendet und zum Abschied sagt "Schön, dass Ihr gekommen seid, liebe Kinder"?

Kindern vermitteln können, dass Jesus sich freut

Wie soll ich da meinen Kindern vermitteln, dass Jesus sich freut, wenn sie ihn besuchen?  Warum gibt es zum Beispiel keine kleinen Stühle und Tische, keine Malbücher in Kirchen? Wie wäre es, wenn Priester, die Kinder persönlich begrüßen und verabschieden würden?

Früher hat das mit den Kindern ja auch geklappt, hört man oft. Ja, darüber habe ich auch oft nachgedacht. Machen wir heute vielleicht irgendwas falsch? Sind wir Softie-Eltern? Nein, Kinder sind heute anders als früher. Sie sind es gewohnt, dass sie eine kindgerechte Umgebung vorfinden, dass man sich mit ihnen beschäftigt und sie nicht einfach nur so mitlaufen. Und auch zu den drakonischen Erziehungsmethoden, die früher für Ruhe im Gottesdienst sorgen, können wir nicht zurückkehren.

Die Zeit drängt. Wenn meine Frau und ich es in den nächsten drei, vier Jahren nicht schaffen, unseren Kindern zu vermitteln, dass ein Gottesdienst eine gute Sache ist, könnten sie, wie man früher gesagt hätte, der Kirche vielleicht für immer verloren sein. Und nicht nur unsere Kinder. Dann wird der Gottesdienst nicht nur ruhig, sondern leer sein. Also: Lasst die schreienden Kinder in die Messe! Wie sagte doch Papst Franziskus: "Die Predigt eines Kindes in der Kirche ist schöner als die eines Priesters, eines Bischofs und des Papstes".

Von Thomas Jansen

Linktipp: "Kinder sollen Regeln und Rituale lernen"

Ist es eine gute Idee, Kinder zum Ruhigsein im Gottesdienst zu ermahnen? Und wie kann jede Messe Kinder ansprechen? Ruth Weisel, Referentin für Kinderliturgie, hat darüber mit katholisch.de gesprochen. (Artikel von September 2017)

Dann geht ihr eben raus!

Katholisch.de-Redakteurin Julia Martin bringen Eltern auf die Palme, die ihre Kinder im Gottesdienst einfach herumrennen lassen:

Nein, ich habe nichts gegen Kinder im Gottesdienst. Nur die Eltern sind oft einfach etwas schwierig. Eltern haben in meinen Augen Verantwortung. Und da können sie keine Pause machen. Auch und vor allem nicht im Gottesdienst. Ein Kirchenschiff ist kein Spielplatz zum herumrennen, eine Kirchenbank kein Klettergerüst. Eltern, die ihre Kinder so gewähren lassen, treiben mich zur Weißglut.

Liebe Eltern, ihr könnt eurer kinderlosen Umwelt in dieser Hinsicht keine Intoleranz vorwerfen. Es mag euch vielleicht ein besseres Gefühl geben, spezielle Familiengottesdienste zu haben, in denen eure Kinder ohne vorwurfsvolle Blicke herumrennen dürfen. Aber damit flüchtet ihr euch wieder nur aus eurer Verantwortung. Am Grundproblem ändert es nämlich nichts: Ihr erzieht eure Kinder so nicht zu reifen und selbstständigen Persönlichkeiten, sondern zu egoistischen Tyrannen.

Also warum tut ihr nichts dagegen? Warum beschäftigt ihr euch im Gottesdienst nicht mit euren Kindern? Dass eine derartige Erziehung klappt, sehe ich an meinen Freunden mit Kindern. Da wird das Lieblingsbuch oder Lieblingsspielzeug mit in die Kirche genommen und wenn es tatsächlich nicht mehr geht, dann gehen sie eben raus. Auch, wenn das heißt, die Hälfte der Trauung der besten Freunde zu verpassen. Aber das ist zumindest für alle Beteiligten besser, als bei der entscheidenden Stelle irgendwo aus den Bankreihen ein trotziges "NEIN!!!" aus Kindermund zu hören. Alles schon erlebt.

Wir Erwachsenen wissen doch, wie schwierig es manchmal sein kann, der Predigt zu folgen oder bei Trauungen Liedgut zu ertragen, das nicht dem eigenen musikalischen Gusto entspricht. Mehr Empathie mit den Kindern bitte, die in diesem Moment einfach ehrlich reagieren und es nicht still leidend ertragen. Und seid doch froh, dass ihr in diesen Fällen einen Anlass zum Rausgehen habt.

Und wann wurde es eigentlich Norm, seinen Kindern nichts mehr zu erklären? Auf ein interessiertes und entlarvendes "Was macht der Mann da?" im Gottesdienst darf doch kein genervtes "PSCHT" aus dem Mund einer Mutter kommen. Das tut sogar mir als Noch-Nichtmutter im Herzen weh. Wer tatsächlich öfter mit seinen Kindern in den Gottesdienst geht, sollte sich doch irgendwann während der restlichen 167 Stunden der Woche Zeit nehmen, seinen Kindern den Glauben näher zu bringen. Dazu gehört gemeinsames Beten, geläufige Gottesdienstlieder zu singen oder auch mal in eine Kirche zu gehen, um eine Kerze anzuzünden. Letzteres kann übrigens auch nach Jahrzehnten noch schönes Familienritual sein, wenn die Kinder groß sind.

Liebe Eltern, bitte hört auf, eure Verantwortung auf andere abzuwälzen. Für die Erziehung und das Benehmen eurer Kinder im Gottesdienst und anderswo seid allein ihr zuständig. Eltern sein ist nun mal ein Vollzeitjob, ohne Anspruch auf Pausen oder Urlaub.

Von Julia Martin

Von Thomas Jansen und Julia Martin

Linktipp: Neymeyr will mehr "lebhafte Kinder" im Gottesdienst

Laute Kinder im Gottesdienst stören die Andacht? Erfurts Bischof Ulrich Neymeyr glaubt nicht daran. Er wünscht sich mehr "Bambini" in den Kirchen. Und mit dieser Aktion soll es gelingen. (Artikel vom 17.9.2017)