Geschichten aus dem Leben und der Bibel
Religiöse Motive sind in Popsongs beinahe allgegenwärtig. Dass es dabei nicht immer fromm zugeht, weiß Radiomoderator Renardo Schlegelmilch aus seiner täglichen Arbeit. Über die Jahre hat er unzählige Songs genauer angehört und ihre Hintergründe erforscht. Was ursprünglich nur für seine Moderationen gedacht war, hat er nun in seinem Buch "If you believe …" veröffentlicht. Mit katholisch.de hat er über Lieder von den Beatles über Leonard Cohen bis zum Rapper Marteria gesprochen.
Frage: Herr Schlegelmilch, wie haben Sie die Songs für Ihr Buch ausgewählt? Welche Kriterien hatten Sie?
Renardo Schlegelmilch: Größtenteils kenne ich die Titel aus meinem Radio-Alltag. Das Buch ist im Prinzip aus Moderationen entstanden. Ich muss ja zu jedem Lied, das ich spiele, irgendetwas erzählen können. So hat sich über die Jahre ein Grundstock an Informationen aufgebaut. Zum Beispiel, dass "Turn! Turn! Turn!" von Pete Seeger auf einem Bibelzitat basiert oder Robbie Williams' "Angels" wirklich etwas mit Engeln zu tun hat. Dann hat natürlich auch der Verlag einige Ideen eingebracht. Ehrlicherweise hat sich aber auch bei einigen Titeln gezeigt, dass man eigentlich gar nicht so viel dazu sagen kann.
Frage: Etliche der Songs in Ihrem Buch sind Welthits. Ist das ein Zufall, dass Lieder mit religiösen Bezügen so erfolgreich sind?
Schlegelmilch: Das liegt wahrscheinlich eher an den Künstlern. Fast jeder der "großen" Musiker hat irgendeine Beziehung zum Thema Religion. Etwa die Hälfte der Musiker, über die ich schreibe, sind überzeugte Christen, Juden, Muslime oder auf andere Weise gläubige Menschen. Daneben gibt es aber auch viele, bei denen man eine vielleicht eher unterbewusste Weltanschauung findet, die durchaus auch religiöse Bezüge haben kann.
Frage: In manchen Kapiteln scheinen Sie ohnehin eher über die Religiosität des Künstlers zu schreiben als über den Titel.
Schlegelmilch: Natürlich habe ich viele Titel als Anlaufpunkt genommen, um dann den Musiker mit seinem Lebens- und Glaubensweg in den Blick zu nehmen. Wenn man nur über ein Lied und dessen Inhalt schreibt, kommt man schnell an den Punkt, wo es eine wissenschaftliche Abhandlung wird. Dafür wäre ich ohnehin nicht der Richtige.
Frage: In vielen dieser Biographien wiederholt sich ein Motiv: Nach Kindheit und Jugend in einem gläubigen, kirchlichen Elternhaus folgt die Abwendung von der organisierten Religion. Ist das ein Zufall, dass gerade viele Musiker diesen Weg gehen?
Schlegelmilch: Ich würde es deutlicher formulieren: Es sind oft Menschen, die mit der Religion gebrochen haben, etwa um sich vom Elternhaus zu distanzieren, aber auf ihrem späteren Lebensweg wieder zum Glauben zurück gefunden haben. Das kann natürlich ganz unterschiedliche Formen haben; Cat Stevens ist zum Beispiel glühender Muslim geworden und die vier Beatles haben sich im Hinduismus versucht. Künstler müssen sich nun mal mit ihrem Inneren auseinandersetzen und kommen damit zwangsläufig auch mit ihrer eigenen Religiosität in Berührung.
Frage: Stichwort Beatles: In den Kapiteln über "Let it be" und "Imagine" wird sehr deutlich, dass es keine "christlichen" Songs sind.
Schlegelmilch: Aber sie befassen sich mit dem Thema Religion und Weltanschauung. Nehmen wir "Imagine": John Lennon wurde bei dem Lied von einem Gedicht seiner Frau Yoko Ono beeinflusst, aber auch durch eine Bibel, die er vom schwarzen Bürgerrechtler Dick Gregory geschenkt bekam. Und Lennon selbst bezeichnet seinen Song als Gebet. Für ihn bedeutete das vielleicht etwas anderes als für uns Katholiken. Aber gerade das finde ich so spannend: Für viele Menschen spielt Religiosität eine Rolle, vielleicht aber in einem anderen Sinne, als wir es definieren würden. John Lennon würde ich daher durchaus als gläubigen Menschen bezeichnen.
Frage: Im Buch finden sich auch Titel, die sehr kritisch mit Glaube und Religion umgehen. "Like a Prayer" von Madonna etwa, oder "It's a Sin" von den Pet Shop Boys. Diese Lieder spielen sehr bewusst mit religiösen Motiven, um zu provozieren. Warum haben Sie die Titel aufgenommen?
Schlegelmilch: Warum nicht? Kritik ist auch eine legitime Auseinandersetzung mit dem Thema. Und wenn das nicht vorkäme, würde ich nicht das komplette Bild von Religion in der Popmusik wiedergeben. Ich habe ja kein Verkündigungsbuch geschrieben. Es ging um die Frage, welche Rolle Religion für Künstler und ihre Musik spielt. Und viele Menschen, für die der Glaube eine Rolle spielt, haben eine kritische Meinung. Es gibt eben Leute, die schlechte Erfahrungen gemacht haben. Nehmen Sie "It's a Sin", das ist ja schon fast eine Abrechnung mit Religion.
„Wie oft erlebt man bei Hochzeiten, dass Lieder über Tod und Scheidung gespielt werden, weil die Leute denken, das sei ja schöne Musik?“
Frage: Daneben gibt es auch Lieder, die von Religion vorrangig die Sprache übernehmen, aber sich gar nicht unbedingt inhaltlich darauf beziehen. Über "Hymn" von Barcley James Harvest schreiben Sie etwa, dass es darin eigentlich um Drogenerfahrungen geht. Trotzdem gehört der Song heute zum Standardrepertoire so manches Kirchenchores. Wie kritisch muss man auch mit religiös klingenden Popsongs umgehen?
Schlegelmilch: Es ist und bleibt Popmusik. Man sollte da keine liturgischen Maßstäbe anlegen. Aber ja, es stimmt natürlich. Wie oft erlebt man bei Hochzeiten, dass Lieder über Tod und Scheidung gespielt werden, weil die Leute denken, das sei ja schöne Musik? "Tears in Heaven" zum Beispiel hört man oft; darin verarbeitet Eric Clapton den Tod seines vierjährigen Sohnes.
Frage: Und haben Sie eine Meinung dazu?
Schlegelmilch: Popmusik ist Popmusik. Ich finde es aber spannend, zu suchen, was dahinter steht und Unerwartetes zu finden. Aber man sollte es nicht überbewerten. Und ja, natürlich werden manche Popsongs häufig in Gottesdiensten gespielt, aber dafür wurden sie ja ursprünglich nicht gemacht. Popmusik erzählt Geschichten, ob nun aus dem Leben oder aus der Bibel. Aber es bleibt Unterhaltungsmusik. Und in meinem Buch geht es konkret um die Hintergründe der Songs, nicht darum, wie sie heute auch verwendet werden.
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Frage: Es fällt auf, dass der Umgang mit Religion in der Popmusik sich über die Jahrzehnte deutlich ändert: In den Songs der 1960er gibt es oft eine sehr ernsthafte spirituelle Suche, während es in den 1980ern eher provokant, teilweise abwertend zugeht. Wo stehen wir heute?
Schlegelmilch: Ich denke, heute ist es viel individualisierter, wie in der Gesellschaft insgesamt. Da gibt es sehr kritische Stücke, wie "Take me to Church" von Hozier, das eine sehr ernste Auseinandersetzung mit dem Glauben ist. Auf der anderen Seite aber auch eher lockeren Hip-Hop von Marteria mit "OMG!". Da ist der Pop einfach ein Abbild der Gesellschaft.
Frage: Welcher Popsong sollte Ihrer Meinung nach Eingang in kirchliche Liederbücher finden?
Schlegelmilch: Definitiv "Hallelujah" von Leonard Cohen. Da steckt einfach sehr viel drin, was meine religiöse Emotionalität anspricht. Ein Halleluja drückt Dank und Lob für Gott aus. Und wenn wir an die Osternacht denken, hängt das durchaus mit Zeiten von Trauer und Dunkelheit zusammen. Und diese unterschiedlichen Aspekte werden in Cohens Lied sehr deutlich. Er singt ja selbst vom "cold and broken Hallelujah". Das trifft mich.
Frage: Zum Abschluss bitte ich Sie um drei schnelle Musik-Tipps: Welcher ist der perfekte Popsong für eine Taufe?
Schlegelmilch: Ich würde sagen "Say a little Prayer". Der Hintergrund des Songs ist zwar ein nicht unbedingt christlicher, aber die Aussage ist wichtig: Ich bin im Gebet immer bei dir, von morgens bis abends. Und das ist ja im besten Falle auch etwas, das dem Menschen bei der Taufe gezeigt wird.
Frage: Der Song für die Hochzeit?
Schlegelmilch: Das ist schwieriger ... Ich sage, "If you believe" von Sasha. Darin geht es um die sexuelle Dimension der Liebe und darum, gemeinsam die Welt hinter sich zu lassen. Ich habe im Text viel entdeckt, das mich an Passagen von "Amoris laetitia" erinnert hat. Das finde ich ganz passend.
Frage: Und zu einer Beerdigung?
Schlegelmilch: Da nehme ich Belinda Carlisle und "Heaven is a Place on Earth". In dem Lied geht es darum, ein Stück Himmel schon hier zu erfahren. Und das kann für Hinterbliebene vielleicht ein Trost sein, sich das vorzustellen.