Ein Kurienkardinal und Papstberater steht vor Gericht

Kardinal Pell unter Druck

Veröffentlicht am 04.10.2017 um 17:05 Uhr – Lesedauer: 
Kurienkardinal George Pell während der Weltbischofssynode zu Ehe und Familie am 6. Oktober 2014 im Vatikan.
Bild: © KNA
Australien

Vatikanstadt ‐ Seit Sommer steht Kardinal George Pell in Australien wegen angeblichen Missbrauchs vor Gericht. Am Freitag entscheidet sich, ob das Verfahren weitergeht. So oder so: Pell muss große Probleme bewältigen.

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Drei Jahre war George Pell einer der mächtigsten Männer der katholischen Welt. Der Papst berief den Kardinal in seinen engsten Beraterkreis, gab ihm Kontrolle über die Wirtschaftsaktivitäten der Kirche. Doch für die Justiz im australischen Melbourne ist er einfach ein 76-Jähriger, dem vorgeworfen wird, vor langer Zeit sexuelle Übergriffe gegenüber Jungen begangen zu haben. Am 6. Oktober prüfen die Richter, ob und wie sein Prozess weitergeht. An diesem Datum wird Pells Büro im Apostolischen Palast am anderen Ende der Welt seit 100 Tagen verwaist sein, eine der machtvollsten Vatikanbehörden ohne ihren Kopf.

Pell schien der richtige Mann, als Franziskus im Februar 2014 einen Chef für das neuerrichtete Wirtschaftssekretariat brauchte. Einer, der nicht aus den alten kurialen Netzwerken kam, der in 18 Jahren als Erzbischof in Melbourne und Sydney Durchsetzungsvermögen und Konfliktbereitschaft gezeigt hatte. Pell, das ehemalige Australian-Football-Talent, ein Mann, der austeilen und einstecken kann.

Pell beklagt "Rufmordkampagne"

Kurz nach seiner Papstwahl hatte Franziskus ihn in seinen handverlesenen Kardinalskreis geholt. Mit dem Deutschen Reinhard Marx und ein paar anderen sollte Pell die Kirchenleitung auf ein neues Gleis schieben. Pell wurde Präfekt des Wirtschaftssekretariats, Marx Koordinator des Wirtschaftsrats, der eine Art Aufsichtsratsfunktion wahrnimmt. Beides Schlüsselpositionen in der Kurienreform. Doch plötzlich war der Aufräumer ein Angeklagter. Vergangenen 29. Juni rief Vatikansprecher Greg Burke die Journalisten zu ungewohnt früher Stunde in den Pressesaal. Pell, sichtlich betroffen, sprach von einer "Rufmordkampagne"; den Prozess nannte er eine "Gelegenheit, meinen Namen reinzuwaschen und dann hier nach Rom an meine Arbeit zurückzukehren".

Linktipp: Missbrauchsverfahren: Pell plädiert auf unschuldig

Der Prozess zu den Missbrauchsvorwürfen gegen Kardinal George Pell hat begonnen: Der 76-Jährige reiste dafür nach Australien. Vor dem Gericht gab es ein großes Medienaufgebot - und Beschimpfungen. (Artikel von Juli 2017)

Burke dankte dem Kardinal im Namen des Papstes für die gute Zusammenarbeit und seine Aufrichtigkeit während seiner Zeit in Rom. Der Heilige Stuhl, sagte er noch, respektiere die australische Justiz. An der großen Messe mit Franziskus zum römischen Patronatsfest am gleichen Vormittag nahm Pell schon nicht mehr teil. Seitdem liegt die operative Leitung des Finanzressorts bei Luigi Misto, einem 65-jährigen norditalienischen Priester. Bevor er 2015 in das Spitzenteam bei Pell wechselte, war er knapp vier Jahre Sekretär der vatikanischen Güterverwaltung, genannt Apsa.

Sucht man heute bei Misto Auskunft über den Stand der Dinge nach der langen Abwesenheit seines Chefs, verweist er auf das Presseamt. Dessen Direktor Burke erklärt, Misto sei der zuständige Ansprechpartner. Irgendwann werden Anrufe nicht mehr durchgestellt, E-Mails bleiben unbeantwortet. Dass Misto sich äußert, sei "nicht vorgesehen", heißt es schließlich.

"Hunderte Millionen Euro" gefunden

Die Wirtschaftsbehörde im Vatikan trat an, um einen verantwortlichen und transparenten Gebrauch der irdischen Güter zu garantieren. Naturgemäß kam es dabei zu Widerständen. Anfangs wollte Pell über seine Kontroll- und Koordinierungsaufgabe hinaus gleich die ganze Immobilienverwaltung an sich ziehen. Später lieferten er und die Apsa sich einen Schlagabtausch mit internen Rundschreiben, wer wem auskunftspflichtig sei. Das Staatssekretariat musste den Knoten durchhauen. Ein kleiner Coup gelang Pell Ende 2014 mit der Mitteilung, seine Mitarbeiter hätten beim Durchforsten von Rechnungsbüchern "Hunderte Millionen Euro" gefunden, die unbekannt in vatikanischen Kassen schlummerten. Die Nachricht veröffentlichte er über eine britische Kirchenzeitung; manche legten ihm das als Illoyalität aus.

Jetzt sorgt der ehemalige vatikanische Rechnungsprüfer für Schlagzeilen. Sein Posten war im Rahmen der Finanzreform eigens eingerichtet worden; als Erstbesetzung warb das Staatssekretariat Libero Milone an, einen Top-Mann, langjähriger Chef des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte in Italien. Am 19. Juni trat er urplötzlich zurück, im gegenseitigen Einvernehmen, wie es hieß. Nun sagt er: Es war nicht freiwillig. Milone spricht von Erpressung. Man habe ihm eine gefälschte Rechnung vorgelegt, die Veruntreuung belegen sollte. In Wirklichkeit, sagt er, hätten alte Seilschaften im Vatikan Angst vor dem, was er aus den Bilanzen wusste. Nach Darstellung des vatikanischen Presseamts ist er einer, der seine Kompetenzen überschritten und das Privatleben von Prälaten ausgeschnüffelt hat. Eine Straftat. Seine Entlassung erfolgte zehn Tage vor dem Abschied Pells, und Milone sagt, er hoffe, dass dies nur ein Zufall sei. Ob er die Wahrheit sagt oder gezielt verleumdet - es wirkt wie ein Wink, dass Pell, der einst Mächtige, sich im Vatikan auf niemanden verlassen kann, wenn er je zurückkommt.

Von Burkhard Jürgens (KNA)