Ein Pro und Contra über Kirchenabrisse

Weg mit dem alten Gotteshaus?!

Veröffentlicht am 14.10.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Architektur

Bonn ‐ Dürfen Kirchen abgerissen werden? Ja, meint Redakteurin Johanna Heckeley. Gotteshäuser, die umgenutzt würden, seien wie Mogelpackungen. Nein, sagt dagegen Kollege Tobias Glenz. Ein Pro und Contra.

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Pro: Nicht der Stein ist heilig

Bei der Diskussion um nicht mehr genutzte Kirchen wird der Abriss oft als Schreckgespenst gefürchtet und als unmöglich abgetan – zu Unrecht. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), plädierte in einer Diskussion über profanierte Nachkriegskirchen sogar dafür, den Mut aufzubringen und die Gotteshäuser nicht abzureißen, sondern ungenutzt stehen zu lassen – trotz Verfallsrisiko. Doch eine leere Kirche im Dorf zu lassen, ist, wie die Hülle eines geplatzten Ballons aufzubewahren, nur mit Nostalgie zu rechtfertigen. Ganz sicher nicht das, was ein Gotteshaus symbolisieren sollte.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die Umnutzung der entweihten Gebäude immer eine gute Idee ist. Es ist schmerzhaft, als Gläubiger eine profanierte Kirche zu betreten, sei sie noch so behutsam zur Bibliothek oder Wohnung umgebaut worden. Und könnten Sie Ihren Cappuccino in einem Café genießen, über dessen hektischer Betriebsamkeit sich das Gewölbe einer ehemaligen Kirche spannt? Eine solche Kirche ist, nüchtern betrachtet, eine Mogelpackung. Zwar steht das Gebäude noch, aber aus hohler, kahler Zweckmäßigkeit.

Es ist doch nicht der Stein, aus dem die Kirchen sind, heilig, sondern der Glaube, der in ihnen wohnt. Deswegen sollte ein Abriss immer mitüberlegt werden, wenn über die Zukunft von nicht mehr genutzten Kirchengebäuden nachgedacht wird.

Dabei ist "hässlich" übrigens kein Kriterium. Zwar sind gerade die oft im Betonrausch nach 1945 gebauten Gotteshäuser längst nicht nach jedermanns Geschmack; dazu wurden sie häufig aus der Not heraus gebaut und sind jetzt vielfach in einem Alter, in dem eine aufwändige Sanierung drängt. Aber die Abrissbirne sollte hier nicht leichtfertig geschwungen werden. Nicht umsonst gibt es seit einigen Jahren Expertengremien, die sich mit der Denkmalwürdigkeit insbesondere der Nachkriegskirchen auseinandersetzen. Und kostspielig ist die Erhaltung von Kirchen, gleich welchen Jahrgangs, allemal.

Ein Abriss tut vielleicht weh, aber auch neue Möglichkeiten auf, wo eine Kirche der Gemeinde zu groß wird und eine Sanierung zu teuer ist. Was weg ist, schafft Platz für Neues: ein kleineres, leichteres Gotteshaus, umweltfreundlich und mit moderner Technik für den Bedarf von heute, und daneben Gebäude für Gemeinde und Gemeinnutz. In solchen Fällen kann die Abrissbirne buchstäblich den Weg freimachen.

Von Johanna Heckeley

Linktipp: Kirchenabrisse: "Wir stehen erst am Anfang"

Wie viele Kirchen wurden seit dem Jahr 2000 in Deutschland abgerissen? Katholisch.de hat die Zahl recherchiert und mit einem Experten gesprochen. Er ruft zum Umdenken auf – bevor es zu spät ist. (Artikel von Oktober 2017)
Bild: ©KNA

Der Erhalt von Kirchen ist kostspielig, die Sanierung aufwendig. Hier im Bild: Gerüste im Hildesheimer Mariendom im Jahr 2013.

Contra: Kirchen sind Leuchttürme

"Ein Armutszeugnis": Dieser Gedanke schießt mir häufig als erstes durch den Kopf, wenn ich wieder einmal von der Schließung oder dem Abriss einer Kirche lesen muss. Das Wort passt gewissermaßen im doppelten Sinn. Immerhin ist es in vielen Fällen das liebe Geld, das den Bistümern laut eigener Aussage für den Erhalt von Kirchen fehlt. Aufgegebene Gotteshäuser bezeugen somit wörtlich die "Armut" so mancher Diözese. Ich habe bei dem Begriff jedoch eher etwas anderes im Kopf.

Man muss sich doch einmal folgende Frage stellen: Was sollen die Leute eigentlich denken? Da veröffentlichen die Diözesen ihre jährlichen Finanzberichte und es werden Vermögen von teilweise mehreren Milliarden Euro offenbar. Ganz zu schweigen von Skandalen rund um Bischofshäuser mit überteuerten Badewannen. Und dann soll "die" Kirche kein Geld haben, um ihre Gotteshäuser unterhalten zu können? Das müsste man den meisten Menschen erstmal plausibel erklären; ebenfalls, warum denn die reiche Diözese X dem armen Bistum Y nicht finanziell unter die Arme greifen kann.

Doch selbst wenn das Geld knapp ist: Könnte und sollte nicht jedes Bistum lieber an anderen Stellen sparen als an den Kirchengebäuden? Immer wieder liest man beispielsweise von sogenannten "Leuchtturmprojekten", in die Personal und teils viel Geld gesteckt werden. Nicht selten handelt es sich dabei um Versuche, jene Leute wieder ins Boot zu holen, die sich von der Kirche entfernt haben. Prinzipiell ein nobles Ziel. Aber sind unsere Kirchenbänke durch solche Projekte voller geworden? In den meisten Fällen wohl eher nicht.

Außerdem: Die "Leuchttürme", das sind in meinen Augen unsere Kirchen selbst. Noch prägen Kirchengebäude das Bild vieler Städte und Ortschaften – worauf in dieser Woche erst Bundesinnenminister Thomas de Maizière aufmerksam machte. Sie sind sichtbare Zeichen unserer kulturellen Identität. In einer Gesellschaft, in der Religion und Glaube eine immer geringere Rolle spielen, sind die Kirchen zudem ein Statement: "Hallo, wir sind immer noch da!" Reißen wir diese Leuchttürme nun nieder, knipsen wir das Licht unserer Kirche Stück für Stück aus.

Dann gibt es natürlich diejenigen, die sagen: "Kirchenabrisse an sich sind nichts Gutes, das stimmt. Aber diese oder jene Kirche ist so hässlich, da ist es nicht schade drum." Ist das tatsächlich so? Ist nicht jede Kirche ein Haus Gottes? Ist nicht jedes Gotteshaus – auch wenn es unter "kunsthistorischen Aspekten" nur geringen Wert hat – die Heimatkirche von irgendwem? Und betrachten diese Leute "ihre" Kirche nicht als unbedingt erhaltenswert? Mir scheint: Auf die Emotionen und den Willen der Menschen vor Ort wird in den sogenannten Strukturreformen der Diözesen noch allzu wenig Rücksicht genommen.

Ich möchte hier nicht vom "Untergang des christlichen Abendlandes" sprechen; diese Wendung hat inzwischen einen zu faden Beigeschmack. Aber in einer Gesellschaft, die mehrheitlich nicht- oder andersgläubig ist, setzen wir mit dem Abriss unserer Kirchen nach außen nur ein einziges Zeichen: Kapitulation. Und daran kann uns nicht gelegen sein.

Von Tobias Glenz

Linktipp: Sporthalle, Friseur, Wohnung

Kirchenschließungen sind schmerzhaft. Aber manchmal geht es nicht anders. Umso erfreulicher ist es, wenn die Kirchen weiterhin in einer anderen Form für die Menschen offen stehen. Wir stellen zehn Beispiele vor. (Artikel von Oktober 2016)