Experte über das Afrika-Bild nach Ebola

Afrika, der tragische Held

Veröffentlicht am 31.10.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Medien

Bonn ‐ Der Bestsellerautor Henning Mankell schrieb einmal: "Wenn wir uns am Bild der Massenmedien orientieren, lernen wir heute alles darüber, wie Afrikaner sterben, aber nichts darüber, wie sie leben". Der österreichische Afrikanist Martin Sturmer engagiert sich für eine Korrektur des Eindrucks vom Krisenkontinent Afrika. Im Interview erklärt er, warum der europäische Blick auf Afrika oftmals einseitig ist und wie sich daran etwas ändern könnte.

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Frage: Herr Sturmer, wie beurteilen Sie die momentane Berichterstattung über Afrika?

Martin Sturmer: Ich habe den Verlauf der Ebola-Berichterstattung in 17 österreichischen Tageszeitungen verfolgt, vom ersten Auftreten im März bis heute. Dabei fällt auf, dass die Berichterstattung stark zugenommen hat, als im August der spanische Priester Miguel Pajares in Madrid verstorben ist. Diese Berichterstattung ist zynisch, denn zu diesem Zeitpunkt gab es bereits über 1.000 afrikanische Tote. Über sie wurde sporadisch berichtet, aber nicht in diesem enormen Ausmaß. Daher bin ich sicher: Wenn es die europäischen und amerikanischen Todesfälle nicht gegeben hätte, wäre auch weiterhin kaum berichtet worden. Da werden also Menschenleben mit zweierlei Maß gemessen.

Bild: ©KNA

Martin Sturmer ist Afrikanist.

Frage: Inzwischen berichten die Medien wesentlich mehr über die Epidemie ...

Sturmer: Aber die Berichterstattung konzentriert sich momentan auf die westlichen Helfer , so dass der Eindruck entsteht, Afrika selbst sei ziemlich hilflos. Afrikanische Helfer und Helden vergessen wir. Ein Beispiel dafür ist die nigerianische Ärztin Stella Adadevoh, die durch ihr beherztes Eingreifen maßgeblich dazu beigetragen hat, die Ausweitung von Ebola in Nigeria zu verhindern. Vor wenigen Tagen ist sie selbst an Ebola verstorben. Auch Erfolgsgeschichten interessieren nicht: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Ebola in Nigeria und dem Senegal für überwunden erklärt, ohne dass daraus ein großes Thema geworden wäre. Auch die Meldung, dass die Elfenbeinküste das Virus bislang erfolgreich abwehren konnte, ist untergegangen.

Frage: Wie passen diese Bilder und Informationen zu den sonstigen Vorstellungen von Afrika?

Sturmer: Sie passen hundertprozentig in das medial transportierte Afrika-Bild. Afrika wird vor allem auf die K-Themen reduziert, wie Kriege, Krisen, Katastrophen, Korruption, Kriminalität oder eben Krankheiten wie nun Ebola.

Frage: Warum sind Klischees über den "Krisenkontinent Afrika" so hartnäckig?

Sturmer: Afrika hat das Image eines tragischen Helden: Die Menschen scheinen nur darauf zu warten, dass dort wieder etwas passiert. Das ist entlarvend, was unser Selbstbild angeht. In den vergangenen zwei Jahren hatte sich das ein wenig verändert, Afrika wurde auch als Kontinent der Chancen wahrgenommen. Jetzt nimmt Ebola vollkommen überhand, ohne diese Katastrophe schmälern zu wollen.

Frage: Wie könnten die Konsequenzen für die betroffenen Länder aussehen?

Sturmer: Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen in den betroffenen Ländern werden dramatisch sein, die Landwirtschaft und damit auch die Ernährungssituation leiden unter der Krise. In wirtschaftlicher Hinsicht schadet Ebola aber dem gesamten Kontinent. Was mittlerweile an Urlauben etwa nach Kenia storniert wird, ist kaum vorstellbar. Dabei ist die Luftlinie zwischen der kenianischen Urlaubermetropole Mombasa und der liberianischen Hauptstadt Monrovia nur etwas weiter als die zwischen Monrovia und Berlin.

„So lange ein Problem auf Afrika beschränkt ist, bleibt die Berichterstattung marginal.“

—  Zitat: Martin Sturmer

Frage: Trotz solch übertriebener Ängste ist das Spendenaufkommen für Ebola gering. Wie erklärt sich dieser Widerspruch?

Sturmer: Die Betroffenheitsmüdigkeit ist ein wiederkehrendes Phänomen in der Afrika-Berichterstattung. So lange ein Problem auf Afrika beschränkt ist, bleibt die Berichterstattung marginal , wie aktuell über die katastrophale Lage im Südsudan. Wird aber eine Krise durch einen europäischen Zusammenhang verstärkt, schafft sie es in der Regel über die Aufmerksamkeitsschwelle. Das ist beispielsweise bei der Hungersnot in Äthiopien 1984/85 passiert, als das Live-Aid-Konzert eine wesentliche Rolle für die Erhöhung der Spendenbereitschaft spielte. Außerdem gibt es eine zahlenmäßige Schwelle zur Betroffenheit. Wenn zu einem früheren Zeitpunkt einmal mehr Menschen geflüchtet sind oder gehungert haben, lautet die Reaktion schnell: Das war ja schon mal schlimmer. Hungersnöte, die zehntausend Menschen betreffen, lösen keine Betroffenheit mehr aus. Traurig, aber wahr.

Frage: Die Medien müssen also über Krisen berichten, ohne ein Krisen-Image zu erschaffen. Wie könnten sie dieser Zwickmühle entkommen?

Sturmer: Es ist natürlich notwendig, dass über Ebola berichtet wird. Aber die Einseitigkeit ist ein Problem: Man wartet auf Katastrophen, um ausführlich über Afrika zu berichten. So entsteht bei vielen Menschen der Eindruck, dass es in Afrika keinerlei positive Entwicklung gibt. Mein Gegenvorschlag wäre, mehr mit afrikanischen Journalisten zusammenzuarbeiten. Sie haben andere Einblicke, können Szenarien besser einschätzen und oftmals differenzierter berichten als einzelne, womöglich kurzfristig entsandte Korrespondenten. Ohne diese Vor-Ort-Experten bleibt ein Großteil der Berichterstattung an der Oberfläche.

Das Interview führte Paula Konersmann (KNA)

Zur Person

Martin Sturmer studierte in Wien und Daressalam Afrikanistik und Kommunikationswissenschaften. 2007 gründete Sturmer in Salzburg die Nachrichtenagentur "afrika.info". Zudem ist er als Publizist tätig. 2013 veröffentlichte Sturmer das Buch "Afrika! Plädoyer für eine differenzierte Berichterstattung". Darin berichten afrikanische Journalisten selbst über den Kontinent.