Evangelisierung unter Hipstern
Frage: Herr Hirsch, Sie veranstalten demnächst einen "Trainingstag Evangelisation". Was wird dort trainiert?
Hirsch: Wir wollen das Bewusstsein dafür schärfen, dass nicht nur hauptamtliche Christen eine Verantwortung haben, die frohe Botschaft in die Welt zu tragen. Dazu wollen wir die Erfahrungen aus der Citypastoral an Gläubige weitergeben und sie in ihrem allgemeinen Priestertum stärken. Viele Aufgaben in der Seelsorge sollen und wollen zukünftig Ehrenamtliche übernehmen.
Frage: Auf dem Flyer werben Sie mit dem Bild eines typischen "Hipsters" auf einem Fahrrad. Beschreibt das eher die Teilnehmer des Trainingstages oder die Zielgruppe, die Sie dann ansprechen wollen?
Hirsch: Das steht tatsächlich eher für die Zielgruppe. Wenn wir Werbung machen, wollen wir auch gleich die Menschen ansprechen, die ansonsten von der Kirche wenig in den Blick genommen werden; in diesem Fall ein Hipster. Unser Trainingstag richtet sich aber an Menschen, die schon mit Kirche zu tun haben und jetzt lernen wollen, wie sie ihren Missionsauftrag leben wollen. Als Citypastoral gehen wir bewusst an Orte, die nicht kirchlich sind. Dieses Mal treffen wir uns in einer Bar, einer studentischen Hipster-Kneipe. Wenn wir über Konzepte nachdenken, dann auch an dem Ort, wo wir sie später umsetzen.
Frage: Mit dem ökumenischen Netzwerk "All for One" feiern Sie in Fulda Gottesdienste, an denen mehr als 1.000 Gläubige teilnehmen – in Clubs und mit moderner Lobpreismusik. Geht Evangelisierung auch anders?
Hirsch: Ja, das geht auch für Nicht-Hipster, natürlich. Aber in diesem Fall blicken wir gezielt auf junge Leute. Und da setzen wir bewusst auf eine Gemeinschaft, die nicht auf Regelmäßigkeit basiert. Wir haben ganz schnell gemerkt, dass das nicht wirklich funktioniert. Unsere Form der Vergemeinschaftung ist die Szene, die sich zu einzelnen Events trifft. Das sind etwa die ökumenischen BASE-Jugendgottesdienste.
Frage: Sie sprechen von Vergemeinschaftung in der Szene. Will die Zielgruppe das überhaupt? Und will sie vor allem evangelisiert werden?
Hirsch: Die Leute, die kommen, kommen freiwillig. Und die Szene hat als Form der Vergemeinschaftung eben die größtmögliche Offenheit. Bei einem großen Gottesdienst geht es eher anonym zu, man wird nicht sofort von jemandem angesprochen. Wer möchte, kann dann mehr erfahren. Wir sprechen hier ja von der ersten oder zweiten Stufe des Kontakts zur Kirche. Glaubenskurse, Gemeindezugehörigkeit und so weiter kommen erst später. Aus einer Umfrage wissen wir, dass etwa 70 Prozent der Teilnehmer bei unseren Angeboten schon vorher Kontakt zur Kirche hatten. Der Rest hatte noch nie oder sehr lange nicht mehr mit der Kirche zu tun.
Linktipp: Alle für den Einen
Zwischen Firmung und Hochzeit gibt es für Jugendliche selten interessantes kirchliches Programm. Im Bistum Fulda soll das anders werden - mit dem überkonfessionellen Netzwerk "All for One". (Artikel von August 2016)Frage: Sie beschreiben Evangelisierung als ein sehr offenes Angebot. Der klassische Missionsbegriff geht aber nicht gerade davon aus, dass das Christentum ein Angebot unter vielen wäre, sondern der Weg zum Heil. Davon sprechen Sie nicht?
Hirsch: Ja und nein. Wir haben eine sehr profilierte Botschaft. Das gilt gerade für unser Netzwerk, in dem auch viele Freikirchen vertreten sind. Die Botschaft, die gepredigt wird, ist sehr deutlich, genauso wie die Schrifttexte. Trotzdem bleibt es ein Angebot. Wir werden nicht predigen, dass jemand verloren ist, wenn er nicht sofort sein Leben dem Herrn widmet. Wir spielen nicht mit Schwarz-Weiß-Gegensätzen.
Frage: Warum verzichten Sie darauf?
Hirsch: Als Christen sind wir häufig sehr kulturpessimistisch, wenn wir beispielsweise die Gesellschaft als Wüste bezeichnen und die Kirche als die Oase, an der man auftanken kann. Das mag irgendwo richtig sein, aber wir unterstellen den Menschen damit, dass sie sich fühlen wie in der Wüste. Ich glaube aber, dass die Menschen sich grundsätzlich sehr wohl fühlen, gerade in der Großstadt. Natürlich brauchen sie trotzdem Orte der Ruhe, die sie sich neuerdings etwa durch das "Urban Gardening", also die Pflege von Mini-Grünflächen mitten in der Stadt, schaffen. Daran orientieren wir uns mit unserem Konzept von "Urban Churching".
Frage: Was ist "Urban Churching"?
Hirsch: Das ist eine fluide Form von Kirche, die sich an die Stadt anpasst. An einem umfassenden Konzept arbeite ich gerade noch im Rahmen meiner Dissertation. Darin formuliere ich Grundsätze für eine urbane Form der Kirche. Dazu gehört zum Beispiel eine möglichst große Effektivität angesichts rückgängiger Ressourcen. Außerdem ist es eine kontextuelle Pastoral. Das heißt, wir gehen nicht von der Masse, sondern vom Individuum aus. Und wir wenden uns damit nicht nur an junge Leute in Szene-Clubs. Anfang des Jahres ziehen wir zum Beispiel immer als Sternsinger durch die Restaurants der Stadt; mit allem, was traditionell dazu gehört. Dabei treffen wir auf jedes Klientel.
Frage: Ab wann sind Ihre Evangelisierungsstrategien ein Erfolg? Was ist das Kriterium?
Hirsch: Ich denke nicht, dass Erfolg an Personenzahlen gemessen werden kann. Andererseits kommen wir mit Großveranstaltungen auch in die Öffentlichkeit. Und wenn uns in den vergangenen Jahren etwas gelungen ist, dann, dass Kirche überhaupt vorkommt und ernst genommen wird. Natürlich geht es uns um den einzelnen Menschen, aber das bedingt sich gegenseitig. In diesem Jahr haben wir fünf Erwachsenentaufen. Das ist keine Riesenzahl, aber trotzdem eine tolle Sache.
Frage: Evangelisierung bezeichnen Sie als einen Drahtseilakt. In welche Abgründe kann man dabei stürzen?
Hirsch: Es ist immer schwierige Frage, wie weit man gehen kann, wie dezidiert man vom Glauben sprechen kann. Es gibt Gemeinden, die stellen sich auf die Straße und predigen den Weltuntergang oder sprechen in Zungenrede. Das ist gelinde gesagt schwierig. Das sollte man nicht beim Erstkontakt mit Menschen machen, denen das völlig fremd ist. Und das müssen auch wir Katholiken bedenken. Es geht darum, nicht seine eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen, sondern sich am Anderen zu orientieren. Wir müssen uns immer fragen, warum wir das machen. Geht es uns darum, dass es den Menschen besser geht? Jesus hat selbst immer gefragt: "Was möchtest Du, dass ich dir tue?" Oder geht es uns darum, die Kirchenbänke wieder zu füllen? Ich plädiere für das erste.