Sterben für den Glauben
Der Trierer Theologe Thorsten Hoffmann ist der Frage nach den Ursprüngen des Martyriums in Christentum und Islam auf den Grund gegangen. Im Interview gab der 37-jährige Pastoralreferent, dessen Promotionsschrift "Sterben für den Glauben" gerade veröffentlicht wurde, Auskunft über ein Phänomen, das beide Religionen seit Jahrhunderten beschäftigt.
Frage: Herr Hoffmann, was hat Sie an dem Thema "Sterben für den Glauben" fasziniert?
Hoffmann: Das ist zum einen der aktuelle Bezug. Ist ein Selbstmordattentäter, der sich und andere in die Luft sprengt, der also Menschen mit in den Tod reißt, legitimerweise als Märtyrer zu bezeichnen, wie das Islamisten heute teilweise tun? Daneben gibt es für mich auch ein grundlegendes Interesse an der Frage, wie Glaube in unserer heutigen Gesellschaft glaubwürdig sein kann. Dazu braucht es Zeugen. Es stellt sich die Frage: Wie radikal kann solch ein Glaubenszeugnis im Extremfall sein? Ein Martyrium ist der äußerste Ausdruck von Glaubenstreue, der uns zwar fremd geworden ist, aber vielleicht gerade deshalb so faszinierend wirkt.
Frage: Sie stellen fest, dass der Begriff "Märtyrer" heutzutage geradezu inflationär verwendet wird. Können Sie einige Beispiele nennen?
Hoffmann: In den Medien und im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff mittlerweile für die verschiedensten Personen und Anlässe verwendet. Nicht nur christliche Blutzeugen, auch politische Freiheitskämpfer, Ideologen, Revolutionäre, Philosophen, Popstars und in den letzten Jahren eben auch Selbstmordattentäter werden als Märtyrer bezeichnet.
Frage: Was ist denn die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs "Märtyrer" im Christentum und im Islam?
Hoffmann: Zunächst bedeutet der Begriff "Märtyrer" einfach Zeuge sein, vor allem im juristischen Sinn, etwa bei einer Gerichtsverhandlung. Sowohl im griechischen als auch im arabischen Kontext hat das Wort diese Grundbedeutung. In den Heiligen Schriften des Christentums und des Islams sind Märtyrer Menschen, die Zeugnis für das ablegen, was sie gesehen oder erlebt haben. Erst nachbiblisch und nach-koranisch wird das Martyrium im Sinne eines Blutzeugnisses und damit im Sinne des heute dominierenden Inhalts verstanden. Der Märtyrer ist also vom Wortsinn her jemand, der Zeugnis für eine Wahrheit gibt, hinter die er selbst zurück tritt.
Frage: Welche Rolle spielt der Opfergedanke bei einem Martyrium?
Hoffmann: Das Opfer ist für das Verständnis des Martyriums eine zentrale Kategorie. Im Christentum ist der Opfergedanke wesentlich mit dem Kreuzestod Jesu verbunden. So wie Christus als Sühne für die Sünden der Menschen gestorben ist, will etwa im Mittelalter der Märtyrer für Christus sterben, um sich dessen Heilstat würdig zu erweisen. Das ist aus heutiger Sicht fragwürdig, weil das Leiden unverhältnismäßig stark in den Vordergrund gerückt wird. Zudem besteht die Gefahr, dass der Mensch glaubt, sich sein Heil durch sein Opfer selbst verdienen zu können.
Der Islam kennt keine Verbindung zwischen dem Opfer und der Vergebung der Sünden. Es sind aber, ausgehend von der Martyriumstheologie, durchaus Konzepte einer islamischen Opfertheologie entstanden, vor allem im schiitischen Islam. Husain, der Enkel des Propheten Muhammad, wurde 680 nach Christus im Kampf gegen den Umayyadenherrscher Yazid getötet. Sein Tod gilt im schiitischen Islam als Sinnbild für den Kampf des schwachen und unterdrückten, aber standhaften Gläubigen gegen eine ungerechte Macht. Noch heute ist der Glaube weit verbreitet, dass man durch die Nachfolge Husseins, also durch das Martyrium, die Erlösung finden kann.
Frage: Können auch Krieger Märtyrer sein?
Hoffmann: Das Christentum war anfangs wesentlich von der radikalen pazifistischen Haltung Jesu geprägt. Doch schon in der Spätantike gab es theologische Überlegungen über einen "gerechten Krieg", der zunächst als Verteidigungskrieg betrachtet wird. Papst Gregor der Große befürwortet im sechsten Jahrhundert Offensivkriege gegen Nichtchristen mit dem Ziel, diese zu unterwerfen und zu taufen. Die Kreuzzüge des 11. bis 13. Jahrhunderts wurden als "Heilige Kriege" verstanden; Christen, die im Kampf starben, galten damals als Märtyrer. Offiziell hat die katholische Kirche aber bis heute niemanden, der während der Zeit der Kreuzzüge im Kampf gegen Ungläubige sein Leben ließ, heiliggesprochen oder zum Märtyrer erklärt.
Frage: Wie verhält es sich im Islam?
Hoffmann: Im Islam galten kämpfende Gläubige, die auf dem Schlachtfeld ihr Leben ließen, schon früh als Märtyrer. Schon im Koran wird Kämpfern, die auf dem Weg Gottes ihr Leben lassen, ein großartiger Lohn versprochen. Allerdings bedeutet die Anerkennung des kämpfenden Märtyrers im Islam nicht, dass dieser wahllos töten darf. Im Gegenteil: Grundsätzlich verbietet der Koran das Töten von Menschen, unabhängig davon, ob es sich dabei um Muslime oder Nichtmuslime handelt. Es gibt klare Regeln für den Krieg: Die Kampfhandlungen dürfen sich nach dem Koran und der islamischen Tradition nicht gegen Frauen, Kinder oder Wehrlose richten, unnötige Grausamkeiten sind verboten.
Frage: Wie werden trotz dieser Bestimmungen Selbstmordattentate gerechtfertigt?
Hoffmann: Ich kann aus wissenschaftlicher Sicht sagen, dass die Tragfähigkeit des Arguments, dass ein Selbstmordattentäter andere mit in den Tod reißen darf, im Islam äußerst dünn ist. Man beruft sich dabei meist auf Ausnahmen von den gut begründeten humanitären Regeln des Kampfes, etwa, wenn es um Vergeltung für ähnliche Akte des Feindes geht. Der sogenannte Islamische Staat etwa stellt die arabische Welt als Opfer dar, das sich gegen die umfassende Aggression westlicher Staaten zur Wehr setzen müsse. Der Kampf der Dschihadisten wird so zum Verteidigungskrieg erklärt. Sämtliche Ausnahmen des islamischen Tötungsverbots werden zur Regel erklärt und nicht mehr als Extrem-, sondern als Normalfall angesehen. Das Legitimationsdefizit islamistischer Terroristen ist damit sehr groß. Deutlich wird dies etwa dadurch, dass zahlreiche islamische Autoritäten sich ablehnend zu den Terrorakten äußern und diese verurteilen.