Sie dienten Gott und der Stasi
Es war am 26. Juni 1969 um Punkt 15 Uhr, als der Leipziger Studentenpfarrer Clemens Rosner angsteinflößenden Besuch bekam. Die beiden Männer an der Tür brauchten nicht lange, um zu erklären, dass sie etwas gegen ihn in der Hand hatten. Im Fall einer Verweigerung hatte Rosner viel zu verlieren: Jahrelang hatte er Westliteratur und andere verbotene Waren in die DDR geschmuggelt und noch dazu Geldwäsche betrieben, um jedes Jahr 80.0000 Mark aus dem Westen an die klammen Studentengemeinden im Osten zu verteilen. Also willigte in regelmäßige Treffen mit den den Stasi-Mitarbeitern ein – und war fortan "IM Rose".
IM Kreuz, IM Pater, IM Dom
Clemens Rosner ist einer von 86 Priestern, die in der DDR als "Inoffizielle Mitarbeiter" für die Stasi spitzelten, wie der promivierte Theologe Gregor Buß jetzt in seinem Buch "Katholische Priester und Staatssicherheit" aufdeckt. Einige von ihnen hatten geradezu sprechende Decknamen: "IM Dom" hieß der eine, "IM Kreuz" der nächste, auch ein ein "IM Pater" in den Akten. Mehrere Tausend Seiten davon hat Buß durchgeackert, dazu persönliche Gespräche mit den Betroffenen geführt, um die Verstrickung von katholischen Priestern in die Machenschaften der Stasi zu erforschen. Gesprächsbereit waren vor allem die harmloseren Fälle, wie der 38-jährige Forscher aus Deutschland, heute an der Hebräischen Universität Jerusalem als Postdoc arbeitet, im Gespräch mit katholisch.de berichtet.
Die Namen derjenigen, die Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit hatten, sind zum Großteil schon aus der 'heißen Aufarbeitungsphase' der 1990-er Jahre bekannt. Nicht wenige wurden unter großer Beachtung der Öffentlichkeit in den Medien diskutiert, 1998 gaben die ostdeutschen Bischöfe eine offizielle Stellungnahme zur Stasi-Aufarbeitung heraus. Gregor Buß' Anliegen war es nun, genauer nach den Gründen für die Zusammenarbeit zu fragen. Und von denen gab es viele. Von Erpressung oder Angst, wie im Fall Clemens Rosner, über schlichtere Motive wie persönliche Vorteilsnahme, Eitelkeit, Anpassung oder Rache: Das sind nur einige der insgesamt zwölf Motivationen für Piester-IM, die der Theologe in seinem Buch auflistet. "Dabei unterscheiden sich die Priester nicht von den anderen Stasi-IM", sagt Buß im Gespräch mit katholisch.de "Insgesamt zeigen sie die gleichen Schwächen und Verführbarkeiten wie andere Menschen auch". Buß geht sogar davon aus, dass es unter den Priestern prozentual mehr Spitzel als im Durchschnitt der Bevölkerung gab. Während der Anteil hier auf etwa ein Prozent geschätzt wird, geht Buß in der Studie bei den Priestern von einem (niedrigen) einstelligen Bereich aus.
Das ist allerdings nicht überraschend. Schließlich waren Priester für die Stasi eine höchst attraktive Zielgruppe, die offensiv angeworben wurde. "Gerade weil die Kirchen den Behörden des sozialistischen Regimes ein Dorn im Auge waren, waren sie umso interessierter, genau dort Fuß zu fassen", erklärt Forscher Buß. In der Augen der Stasi waren Priester machtvolle Multiplikatoren, die es im eigenen Sinne zu manipulieren galt.
Wenn sich der IM "dekonspiriert"
So versuchte die Stasi über den Studentenpfarrer Rosner mehr über die rebellionsanfällige Studentenschaft zu erfahren und wollte, dass er "beruhigend" auf die jungen Leute einwirkte. Dem Regime missfiel, dass die Studentengemeinden viel über gesellschaftspolitische Themen wie den Wehrdienst oder das Verhältnis von Demokratie und Sozialismus diskutierten. Auch in einem anderen Bereich erhoffte sich das MfS Hilfe von Rose: So forderte der für ihn zuständige Offizier, Einfluss auf westdeutsche Studentenpfarrer zu nehmen, damit diese nicht von der "Ostzone" sprachen, sondern die offizielle Bezeichnung "DDR" verwendeten – einer Bitte, der Rosner auch nachkam. Insgesamt jedoch hatte die Stasi an "IM Rose" nicht viel Freude: Er "dekonspirierte" sich umgehend - informierte also Mitbrüder seines Ordens und seinen Bischof über seinen Stasi-Kontakt – und wurde damit als geheimer Informant wertlos. Schon nach wenigen Monaten stellte die Stasi die "Zusammenarbeit" ein.
Das war aber nicht in allen Fällen so. Aus dem statistischen Kapitel in Buß' Buch geht hervor, dass manche Priester sich mit ihren Kontakt-Offizieren über Jahre oder Jahrzehnte trafen – und das regelmäßig alle zwei bis drei Monate. Bisweilen agierten die Stasi-Mitarbeiter so geschickt, dass sie für die Priester zu geschätzten Gesprächspartnern wurden, etwa wenn es um persönliche Probleme der Priester ging. 23 Jahre währte der längste Kontakt.
„Überhaupt habe ich mich nach dem Aktenstudium teilweise gefragt: Und was war für die Stasi nun der Mehrwehrt dieser aufwändig vorbereiteten und jahrelangen Kontakte?“
Doch was genau wollte die Stasi von den Priestern erfahren? Gregor Buß sagt, dass es zum einen um Insiderwissen über Struktur und Innenleben der katholischen Kirche ging. Zum anderen waren auch Informationen über Dritte das Ziel. Doch hier war das MfS wohl nicht sehr erfolgreich: "Dass Priester wirklich etwas über andere Menschen preisgaben, war sehr selten" sagt Gregor Buß. "Überhaupt habe ich mich nach dem Aktenstudium teilweise gefragt: Und was war für die Stasi nun der Mehrwehrt dieser aufwändig vorbereiteten und jahrelangen Kontakte?". Teilweise sei es in den Gesprächen über große Strecken nur um Belanglosigkeiten gegangen, so der Autor.
Andererseits konnten auch solche vermeintlichen Bagatellen wichtige Informationen für die Stasi bedeuten. Vor allem in den 1950-er und 1960-er Jahren nutzte die Stasi gezielt offene Flanken von Priestern, die wie Clemens Rosner das Gesetz gebrochen, sich des Alkoholmissbrauch schuldig gemacht oder den Zölibat verletzt hatten. "IM Bernhard" etwa wurde zum Verhängnis, dass eine Frau beobachtete, wie er Zettel in einen Blechtopf in einem Waldstück warf. An sich keine große Sache. Doch die Frau meldete die Sache mit dem "Toten Briefkasten" der Stasi – die den Pfarrer beschattete. Kurze Zeit später beobachtete sie den Geistlichen mit einer Geliebten, hielt das Ganze auf Fotos fest – und konfrontierte den Geistlichen schonungslos mit der 'nackten Wahrheit'. In dem Stasi-Protokoll zu der Begegnung im Mai 1966 heißt es: "Der Kandidat wurde gebeten, uns die Adresse der kirchlichen Dienststelle mitzuteilen, die für seinen Fall zuständig ist, damit wir uns mit ihr in Verbindung setzen können. […] Der Kandidat bat darum, dies nicht zu tun. Ihm bliebe ansonsten nur noch der ‚Strick’. Der Kandidat stellte die Frage, ob wir in diesem Falle keine andere Möglichkeit sehen und Abstand von einer Meldung an die Kirchenleitung nehmen könnten." "IM Bernhard" war geboren. Nach Angaben von Gregor Buß arbeitete der Geistliche sechs Jahre für die Stasi, erst sein Tod beendete den Kontakt.
Doch es gab auch Priester, die sich selbst an das Ministerium für Staatssicherheit wandten, weil sie einen Vorteil für sich herausschlagen wollten. Sie wollten etwa ein neues Auto oder Reisefreiheit und boten im Gegenzug ihre Mitarbeit an. Der Leipziger "IM Frank" bat laut Stasi "um Unterstützung hinsichtlich der Beschaffung einer Karte für das Gastspiel der Wiener Sinfoniker". Als "eines der finstersten Motive" für einen Stasi-Zusammenarbeit nennt Gregor Buß Rache. Über die Informationen aus dem Mund von "IM Willi" stellte die Stasi in ihren Akten etwa trocken fest: Seine "kompromittierenden Angaben zu den verschiedenen Geistlichen belaufen sich auf moralische und charakterliche Schwächen, sind aber nicht so groß, daß sie in jedem Falle operativ auszuwerten wären." Bei "IM Wagner" war die Sache etwas anders: Ihm half die Stasi als Gegenleistung für seine Mitarbeit beim Umbau der Kirche seiner Gemeinde. Manche IMs schließlich versuchten in guter, aber auch naiver Absicht, die durch ihre Kontakte einen Beitrag zur besseren Verständigung der feindlichen Lager Kirche und Staat zu leisten.
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Der emeritierte Dresdner Bischof Joachim Reinelt war 1989 hautnah dabei, als die Wende begann. Er versuchte damals junge Menschen, die flüchten wollten, davon zu überzeugen, in der DDR zu bleiben. Im Interview mit katholisch.de berichtet er unter anderem über die Versorgung von Flüchtlingen in seiner Kathedrale. Daraus zieht er auch Wünsche für das Engagement in der Gesellschaft heute.Ingesamt stellt Gregor Buß in seiner Arbeit aber ausdrücklich fest, dass es der Stasi nicht gelang, die katholische Kirche zu unterwandern. Wörtlich schreibt er: " Im Gegenteil: Die große Mehrheit der Priester hielt sich an die von den Bischöfen erlassenen Richtlinien, die Gewinnung inoffizieller Mitarbeiter aus den Reihen der katholischen Geistlichen stellte das MfS zeit seines Bestehens immer wieder vor unlösbare Aufgaben". In den angesprochenen Richtlinien hatten die Bischöfe klar vorgegeben, wie sich Priester verhalten sollten, falls es zu einem Kontaktversuch kam. Dazu gehörte es unter anderem, den zuständigen Bischof informieren und nicht alleine zu vereinbarten Treffen zu gehen. "Es war in der DDR Teil der Ausbildung angehender Priester, sich auf diesen Fall vorzubereiten", erklärt Gregor Buß. Zudem gehören zu den 86 aufgeführten Fällen auch rund zehn Priester, die von ihren Bischöfen in offiziellem Auftrag Verhandlungen mit der Stasi führten — denn auch für diese legte das MfS jeweils Akten als "IM" ab.
Stasi-Vergangenheit gründlich aufgearbeitet
Aus Buß' Sicht gehören die katholischen Priester heute zu den Berufsgruppen, deren Stasi-Vergangenheit am gründlichsten aufgearbeitet ist. "Und dazu hat auch die Kirche einen großen Teil beigetragen". Zwar gebe es von Bistum zu Bistum Unterschiede, insgesamt habe die Kirche in Ostdeutschland aber schon bald nach der Wende versucht, sich ihrer Stasi-Vergangenheit zu stellen, so Buß: "Aber auch unter den guten Hirten gab es schwarze Schafe".