Was der Bundesnachrichtendienst über die Päpste herausbekam

Der BND und der Vatikan: Spionage unter Freunden

Veröffentlicht am 04.12.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Geschichte

Bonn ‐ Bislang weiß man, dass der Vatikan durch die Geheimdienste des Ostblocks und in der Zeit des Zweiten Weltkriegs ausspioniert wurde. Doch auch die Bundesrepublik Deutschland nahm die Päpste ins Visier.

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Im Januar 1949 empfing Papst Pius XII. einen geheimnisvollen Gast aus Deutschland im Vatikan: Reinhard Gehlen. Protokollarisch gab es keinen Grund für diese Audienz: Die Bundesrepublik gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht und Gehlen war ein Nobody - zumindest offiziell. Nur wenige Eingeweihte wussten damals, dass der frühere Generalmajor der Wehrmacht von der  amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland einen geheimen Spezialauftrag erhalten hatte: Er sollte einen neuen Nachrichtendienst aufbauen. Ende 1946 hatten die Amerikaner Gehlen zum Chef der "Organisation Gehlen" gemacht, dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND).

Um Spionage soll es auch in der Privataudienz mit Pius XII. gegangen sein. Ein Mitarbeiter Gehlens, der ihn damals begleitete, berichtete später, sein Chef habe die grundsätzliche Zustimmung des Papstes zur Aufnahme von Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Organisation Gehlen einholen wollen. Wie diese konkret aussehen sollte, und warum der Papst persönlich mit der Angelegenheit befasst wurde, bleibt offen. Möglicherweise hatten Gehlens freundschaftliche Bande zum engen Vertrauten von Pius XII., dem deutschen Jesuiten Robert Leiber, den Weg in den Apostolischen Palast geebnet.

Neben dem Ostblock spionierte auch der BND den Vatikan aus

Doch bei einer Zusammenarbeit unter Freunden blieb es in den kommenden Jahrzehnten offenbar nicht. Der BND spionierte auch den Vatikan selbst aus. Das geht aus einem neuen Buch mit dem Titel "Spionage unter Freunden. Partnerdienstbeziehungen und Westaufklärung der Organisation Gehlen und des BND" hervor, das sich auch dem Vatikan widmet. Die Autoren stützen sich auf Akten der Organisation Gehlen und des BND, auf freigegebene Akten ausländischer Geheimdienste und Nachlässe von Agenten. Damit füllt das Werk von drei Historikern aus Deutschland, Österreich und Dänemark eine Lücke in der Literatur. Bislang beschäftigten sich die Werke über Spionage im Vatikan vor allem mit den Geheimdiensten des Ostblocks oder mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Eine kontinuierliche Geschichte der BND-Spionage im Vatikan rekonstruiert das Buch zwar nicht – dafür geben die zugänglichen Akten offenbar nicht genug her. Es bietet aber zumindest ein paar Schlaglichter, auch wenn das Meiste weiterhin geheim bleibt.

Bild: ©picture alliance/AP/Dieter Endlicher

Reinhard Gehlen (1902 - 1979) war Generalmajor der Wehrmacht und leitete nach dem Zweiten Weltkrieg die Organisation Gehlen, aus der der Bundesnachrichtendienst (BND) hervorging. Von 1956 bis 1968 war er Gründungspräsident des BND.

Besonders interessiert war der BND in Zeiten des Kalten Krieges an Informationen über die vatikanische Ostpolitik. Als Gehlen 1953 ein weiteres Mal nach Rom reiste, teilte er dem deutschen Hauptquartier der CIA in Pullach bei München mit, er wolle eine vatikanische Einschätzung der sowjetischen Friedenspläne einholen. Mit der Sowjetunion kannte sich Gehlen aus: Im Zweiten Weltkrieg war er Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost im Generalstab des deutschen Heeres gewesen, die vor allem Informationen über die sowjetische Armee beschaffte. Die Amerikaner trauten Gehlen allerdings offenbar nicht so recht. Jedenfalls erkundigte sich das deutsche CIA-Hauptquartier in der Zentrale in Washington, ob Gehlen in Rom diskret beschattet werden könne. Was daraus wurde ist allerdings nicht bekannt.

Einige Jahre später versetzte Papst Johannes XXIII. den BND in Alarmbereitschaft, weil er mit dem strikt antikommunistischen Kurs seiner Vorgänger brach. Seine diplomatische Öffnung des Vatikans gegenüber dem Ostblock wurde von der Bundesregierung argwöhnisch betrachtet. Sie befürchtete, die vatikanische Diplomatie könnte die deutsche Position schwächen. Auch wenn BND-Mitarbeiter in der Zentrale in Pullach diesem Papst Anfang der 1960er Jahre "evangelische Naivität" unterstellten: Man nahm Johannes XXIII. zumindest so ernst, dass der BND Maßnahmen gegen die neue vatikanische Kirchenpolitik im Ostblock vorschlug: Zum einen sollte die Öffentlichkeit über die Medien mobilisiert werden, zum anderen sollte die Bundesregierung Druck auf den Vatikan ausüben. Doch beide Vorschläge blieben Theorie.

Rätselraten um die Linie Pauls VI.

Auch Informationen, die der Vatikan nicht von sich aus preisgab, wusste sich der BND zu besorgen. So gelangte der deutsche  Auslandsgeheimdienst an das vertrauliche Wortprotokoll einer Unterredung, die Johannes XXIII. im April 1963 mit Jossyf Slipyj führte, dem Oberhaupt der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. Der Kardinal war zuvor nach 18-jähriger Haft in der Sowjetunion freigekommen. Am 12. Februar 1968 unterbreitete die römische BND-Zweigstelle der Zentrale sogar ein vertrauliches "Memorandum für seine Excellenz Msgr. Agostino Casaroli", damals Präfekt des Päpstlichen Hauses, später Architekt der neuen Ostpolitik des Vatikan. Anlass waren Sondierungen von Sergio Segre, Mitglied des Zentralkomitees der italienischen Kommunisten, im Vatikan, ob man den DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen, Paul Werner, empfangen würde.

Den Nachfolger von Johannes XXIII., Papst Paul VI., konnte der BND auch ein Jahr nach dessen Amtsantritt nicht so recht einschätzen. "Das Rätselraten um die Linie Pauls VI. habe immer noch kein Ende gefunden, schrieb die römische Zweigstelle des BND.

Linktipp: Sie dienten Gott und der Stasi

Um die Einwohner der DDR noch besser zu überwachen, hielt sich die Stasi zehntausende "Inoffizielle Mitarbeiter". 86 von ihnen waren katholische Priester. Theologe Gregor Buß erklärt, warum sie dem Regime dienten. (Artikel vom November 2017)

Was sich der BND von einer Spionage im Vatikan versprach, erklären die Autoren des neuen Buchs so: Der Vatikan sei zum einen eine gute Informationsquelle gewesen, weil er über Nachrichten aus aller Welt verfügt habe. Zum anderen habe "vatikanische Rückdeckung" die Kooperation mit den katholisch geprägten Staaten Spanien, Italien und Frankreich erleichtert.

Als römischer Verbindungsmann der Organisation Gehlen und später des BND fungierte vor allem "Gustav". Hinter diesem Decknamen verbarg sich Johannes Gehlen, ein Halbruder des BND-Chefs, der seit 1949 Leiter der Zweigstelle in Rom war. Wegen seines aufwendigen Lebenswandels wurde er intern auch "Don Giovanni" genannt. Im Mai 1946 war Johannes Gehlen zunächst illegal nach Rom gekommen. Ein Jahr später erhielt er eine Aufenthaltsgenehmigung. Offiziell hatte ihn der katholische Malteserorden eingeladen.

Halbbruder aus dem Malteserorden ausgeschlossen

Die Tarnung Gustavs war allerdings alles andere als perfekt. Obwohl er Protestant war, arbeitete er als Privatsekretär von Ferdinand Graf von Thun-Hohenstein, der Führungspositionen im katholischen Malteserorden innehatte. Zumindest die italienischen Behörden durchschauten die Tarnung des  deutschen Spions allerdings recht bald. Pikanterweise wurde der Südtiroler Adelige in den 1950er Jahren wegen seines Lotterlebens, das nicht recht zu einem geistlichen Ritterorden passen wollte, aus dem Orden ausgeschlossen. Auch Reinhard Gehlen reiste nicht als BND-Chef nach Rom, sondern beispielsweise als deutscher Delegierte einer römischen Tagung über Wohnungsbau. 

Joseph Ratzinger vor dem Petersdom
Bild: ©KNA

Die Stasi Kardinal bespitzelte Joseph Ratzinger und amerikanische Geheimdienste hörten möglicherweise das Konklave 2013 ab.

Wer arbeitete innerhalb der vatikanischen Mauern für den BND? Für das Jahr 1966 liegt eine römische BND-Haushaltsplanung vor. Darin ist ein gewisser "Don Ignatio" im Vatikan aufgelistet, der monatlich 650 DM erhielt, eine damals durchaus stolze Summe. Wer sich dahinter verbirgt, konnten die Autoren des Buchs allerdings nicht ermitteln.

Die Spionage-Ergebnisse bekam auch ein Kardinal zu sehen

Die Ergebnisse seiner Spionage machte der BND nicht nur den zuständigen Beamten und Politikern zugänglich, sondern auch Kirchenvertretern. In seinem Verteiler "Ausarbeitungen im kirchlichen Bereich", zu dem die römischen Erkenntnisse gehörten, waren auch der Berliner Generalvikar Walter Adolph, der Münchener Kardinal Julius Döpfner und der Regensburger Bischof Rudolf Graber.

Über die römischen BND-Aktivitäten seit den 1980er bis in die Gegenwart gibt es nach wie vor so gut wie keine Erkenntnisse. Bekannt ist aber, dass andere Geheimdienste in dieser Zeit sehr aktiv waren. So bespitzelte die Stasi Kardinal Joseph Ratzinger und amerikanische Geheimdienste hörten möglicherweise das Konklave 2013 ab.

Und der Vatikan selbst? Der Papst hat keinen eigenen Geheimdienst. Besucher im vatikanischen Staatsekretariat bekommen dennoch bisweilen halb im Scherz zu hören, dass man über den besten Geheimdienst der Welt verfüge, und oft schneller und besser über Vorgänge in abgelegenen Weltgegenden informiert sei, als CIA und BND. Zwei Anrufe genügten oft nach einem Ereignis: die vatikanische Zentrale rufe den vatikanischen Botschafter im Land an und der wiederum einen Priester oder ein Kloster vor Ort. Der Vatikan habe einfach das größte Netz von Informanten weltweit. 

Von Thomas Jansen

Buchtipp

Spionage unter Freunden. Partnerdienstbeziehungen und Westaufklärung der Organisation Gehlen und des BND. Christoph Franceschini/Thomas Wegener Friis/Erich Schmidt-Eenboom, Christoph Links Verlag, Berlin 2017. ISBN 978-3-86153-946-9