Pater Klaus Mertes über den Ton der Flüchtlingsdebatte

Totschlag-Diskurs gegen die "Willkommenskultur"

Veröffentlicht am 15.01.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Pater Klaus Mertes über den Ton der Flüchtlingsdebatte

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Die Formulierung des CSU-Europapolitikers Manfred Weber über die "finale Lösung der Flüchtlingsfrage" – er hat die Wortwahl immerhin inzwischen bedauert und versucht richtig zu stellen, was er eigentlich meinte – lässt mich auch nach über einer Woche nicht los. Wenn schon ein so besonnener und persönlich integrer Christdemokrat wie Manfred Weber sich zu so einer Wortwahl hinreißen lässt, dann bleibt etwas zurück, was über die Person hinausgeht. Schon vor zwei Jahren äußerten sich die Ordensoberinnen und Ordensoberen in Bayern kritisch über die Wortwahl von Ministerpräsident Seehofer und anderen CSU-Politikern zur Flüchtlingsthematik. Die Verrohung der Sprache hat seither nicht abgenommen.

Mehr noch. Es scheint inzwischen immer mehr zum Konsens zu werden, dass die "Willkommenskultur" im Winter 2015/2016 – das Wort ist ohnehin zu einem Bumerang gegen eben diese "Kultur" geworden, den die Feinde derselben durch Dauerwerfen am Leben erhalten – ein politisch naiver Fehler war, nicht nur von Frau Merkel, sondern von einer Anhäufung lautstarker "Gutmenschen" auf den deutschen Bahnhöfen. Von den vielen stillen Engagierten in Schulen, Gemeinden und Familien, die auch noch nach zwei Jahren mit Kompetenz und Durchhaltevermögen Gastfreundschaft praktizieren und Integrationsarbeit leisten, redet ohnehin keiner mehr. Auch das politische Feuilleton sowie Intellektuelle aus den verschiedensten politischen Lagern greifen täglich vermehrt in die Mottenkiste der platten Vereinfachungen, um diejenigen politischen Verantwortlichen und ihre Unterstützer einschließlich der meisten kirchlichen Oberen zu diffamieren, die daran festhalten, dass Deutschland und Europa sich ihrer Verantwortung für die Flüchtlinge nicht entziehen können.

Ein Totschlag-Diskurs gegen die "Wilkommenskultur" greift besonders gerne auf die (Max) Webersche Unterscheidung von "Gesinnungsethik" und "Verantwortungsethik" zurück: Pro "Willkommen" sei Gesinnungsethik, pro Begrenzung/Obergrenze sei Verantwortungsethik. Diese platte Zuordnung ist denkfaul. Niemand, jedenfalls niemand, der ernst zu nehmen ist, leugnet, dass der Staat die Aufgabe hat, Grenzen zu schützen; dass er mehr Verantwortung für die eigenen Bürger trägt als für die Bürger anderer Staaten, so wie Eltern für ihre eigenen Kinder mehr Verantwortung tragen als für die Kinder anderer Eltern. Niemand behauptet, dass Vorzugsregeln, die staatliche Politik beachten muss, der universalen Geltung des Nächstenliebe-Gebotes widersprechen. Aber niemand kann auch leugnen, dass die Migrations- und Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre nur der Anfang einer riesigen Umwälzung sind, die "wir" im Westen mit zu verantworten haben und die auch unsere Gesellschaften in den kommenden Jahrzehnten grundlegend verändern wird. Wer davor die Augen verschließt, um kurzfristig Stimmen zu fangen, befindet sich jenseits von Gesinnungs- und Verantwortungsethik, sondern hat die Verantwortungslosigkeit zu seiner Gesinnung gemacht.

Die Verrohung der Sprache bis in das christlich-soziale Milieu hinein ist ein Alarmzeichen. Also, liebe Christsozialen (und natürlich nicht nur die): Hört auf, so zu sprechen! Denkt über Eure Wortwahl nach! Lasst euch nicht hineinziehen in den intellektuell und menschlich erbärmlichen Sog der Populisten- und Extremistensprache! 

Von Pater Klaus Mertes

Der Autor

Der Jesuit Klaus Mertes ist Direktor des katholischen Kolleg St. Blasien im Schwarzwald.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.