Die Politik diskutiert über eine Streichung von Paragraph 219a

Kippt das Werbeverbot für Abtreibungen?

Veröffentlicht am 17.01.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Lebensschutz

Berlin ‐ SPD, Linke, Grüne und Teile der FDP wollen im Bundestag das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche kippen. Die Union und die Kirche sind strikt dagegen; sie fürchten eine "Normalisierung" von Abtreibungen.

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Viele Jahre war das Reizthema Abtreibung von der politischen Tagesordnung verschwunden – doch jetzt ist es wieder da. Auslöser war ein Gerichtsurteil im vergangenen November: Damals verurteilte das Amtsgericht Gießen die Ärztin Kristina Hänel wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro. Grundlage für den Schuldspruch war Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, über dessen Sinn und Fortbestand seitdem in der Bundespolitik diskutiert wird.

In seiner jetzigen Fassung verbietet der Paragraf Ärzten das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen aus einem finanziellen Vorteil heraus oder wenn dies in "grob anstößiger Weise" geschieht. Medizinern, die gegen das Gesetz verstoßen, droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Das Problem: Ob es sich bei einer ärztlichen Auskunft zum Thema Abtreibung noch um Information oder schon um Werbung handelt, ist nicht immer eindeutig zu bestimmen.

Informationen über Abtreibungen im Internet präsentiert

Im Prozess gegen Hänel ging es um Auskünfte auf der Internetseite der Ärztin: Im April 2015 hatte sie online gesetzliche und medizinische Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen angeboten – verbunden mit dem Hinweis, auch selbst derartige Eingriffe gegen eine entsprechende Kostenübernahme vorzunehmen. Hänel hatte vor dem Prozess gesagt, dass sie mit den Informationen Menschen aufklären und informieren wollte; sie betrachte das als ihre ärztliche Pflicht. "Ich mache das nicht, damit Frauen zu mir kommen. Die kommen sowieso", so die Ärztin, die nach eigenen Angaben seit mehr als 30 Jahren Abtreibungen vornimmt.

Die Gießener Staatsanwaltschaft wertete die Verknüpfung von Sachinformationen mit Aussagen über das eigene Honorar dagegen als Verstoß gegen das Werbeverbot nach Paragraf 219a. Wenn Informationen zum Schwangerschaftsabbruch und den Kosten für solch einen Eingriff ohne technische Hürden für Internetnutzer abrufbar seien, sei das unerlaubte Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft, erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Dass Gießener Gericht folgte mit seinem Urteil dieser Sichtweise, im Gerichtssaal betonte die Vorsitzende Richterin: "Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache." Die politische Diskussion über den vorher fast vergessenen Paragrafen konnte das Gericht allerdings nicht verhindern.

Linktipp: Ärztin wegen Werbung für Abtreibung verurteilt

Das Amtsgericht Gießen hat eine Ärztin wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe verurteilt. Die will dagegen vorgehen – notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht. (Artikel von November 2017)

In der Debatte im Bundestag stehen sich zwei Lager gegenüber: Auf der einen Seite SPD, Linke, Grüne und Teile der FDP, die sich für eine Streichung oder zumindest eine Reform von Paragraf 219a stark machen; auf der anderen Seite große Teile von CDU und CSU, die befürchten, dass der einst mühsam erzielte Kompromiss in der Abtreibungs-Gesetzgebung durch die aktuelle Diskussion wieder in Frage gestellt werden könnte. "Das Werbeverbot ist ein wichtiger und konsequenter Bestandteil des guten Kompromisses zum Schwangerschaftsabbruch, den wir nach langem Ringen mit der Beratungslösung gefunden haben", betonte die Vorsitzende der Frauen der Unions-Fraktion, Karin Maag (CDU).

Ähnlich sieht das die katholische Kirche: Es bestehe die große Sorge, dass mit einer möglichen Aufhebung des Werbeverbots das mühsam ausgehandelte Gesamtkonzept rund um Schwangerenberatung und Abtreibungsverbot infrage gestellt werden könnte, so der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Karl Jüsten, kürzlich in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Diskurs im Parlament dürfe nicht hin zu einer "Normalisierung" von Schwangerschaftsabbrüchen gehen.

Maas: Paragraf ist "Relikt aus der Nazi-Zeit"

Die Befürworter einer Abschaffung oder Reform halten den aus dem Jahr 1933 stammenden Paragrafen dagegen für überholt; der geschäftsführende Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nannte das Gesetz ein "Relikt aus der Nazi-Zeit". SPD-Fraktions-Vize Eva Högl sagte, der Paragraf 219a kriminalisiere Ärzte, "selbst wenn sie nur über die angebotene Leistung Auskunft geben". Ferner werde durch ihn das Recht der Frauen, sich sachlich über einen Schwangerschaftsabbruch zu informieren, "unzumutbar eingeschränkt". Dieses Argument mag Karl Jüsten nicht gelten lassen: Für kaum eine andere Gruppe gebe es ein umfangreicheres Netz an individuellen Beratungs- und damit auch Informationsangeboten.

An diesem Mittwoch soll nun der Versuch unternommen werden, doch noch eine gemeinsame Lösung aller Fraktionen zu erreichen. Auf Initiative der Grünen-Abgeordneten Ulle Schauws kommen Parlamentarier von Union, SPD, FDP, Linken und Grünen zusammen. Ein erstes Gespräch dieser Art hatte bereits im Dezember stattgefunden, damals konnte jedoch keine Einigung erzielt werden. Während ein Gesetzesentwurf von SPD, Linken und Grünen die vollständige Streichung des Paragrafen vorsieht, kann es aus Sicht der Union höchstens um eine schärfere Trennung von Information und Werbung gehen. Ein Kompromiss, der vom gesamten Parlament getragen wird, scheint in weiter Ferne zu liegen.

Bild: ©Deutscher Bundestag / Achim Melde

Ob es im Bundestag zu einer Neuregelung des Paragrafen 219a kommt, ist noch fraglich.

Die Befürworter einer Streichung oder Reform des Paragrafen bekommen derweil Unterstützung unter anderem vom Deutschen Juristinnenbund. Es spreche vieles dafür, das bestehende Gesetz abzuschaffen, sagte Präsidentin Maria Wersig. Sorgen, durch eine Abschaffung des Werbeverbots könnten Abtreibungen in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert werden, seien unbegründet: "Bereits jetzt ist es so, dass das ärztliche Berufsrecht die ärztliche Werbung doch sehr stark reguliert. Es ist nicht so, dass eine Abschaffung des Paragrafen 219a eine solche Lücke lassen würde, die dann der unangemessenen Werbung Tor und Tür öffnen würde", so Wersig.

In der Tat verbietet die Berufsordnung für in Deutschland tätige Ärzte zur Gewährleistung des Patientenschutzes anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. "Ärztinnen und Ärzte dürfen eine solche Werbung durch andere weder veranlassen noch dulden. Eine Werbung für eigene oder fremde gewerbliche Tätigkeiten oder Produkte im Zusammenhang mit  der  ärztlichen  Tätigkeit  ist  unzulässig", heißt es in Paragraf 27. Juristen gehen davon aus, dass diese Regelung auch nach einer möglichen Streichung von Paragraf 219a im Strafgesetzbuch ausreichend wäre, um Werbung für Abtreibungen in Deutschland weiterhin zu verhindern.

Strafrechtler plädieren für "durchdachte Neuregelung" des Paragrafen

Einen möglichen Kompromiss in der Debatte um Paragraf 219a skizzierte vor kurzem der Kriminalpolitische Kreis, ein Zusammenschluss deutscher Strafrechtsprofessoren. In einer Stellungnahme sprach sich der Kreis im Dezember für eine "durchdachte Neuregelung" des Gesetzes aus. "Aktuelle Einzelfälle sind für sich allein kein hinreichender Grund für überstürzte Änderungen des Strafrechts", schrieben die Professoren mit Blick auf das Gießener Urteil und die darauf folgende Debatte.

Der Vorschlag der Strafrechtsprofessoren sieht eine Beschränkung des Werbeverbots für tatsächlich strafrechtlich verbotene Abtreibungen vor; für Schwangerschaftsabbrüche, die aufgrund des Beratungsscheins innerhalb der ersten zwölf Wochen straffrei sind, würde das Werbeverbot dagegen aufgehoben. Sollte der Gesetzgeber dieser Idee nicht folgen wollen, schlägt der Krimnalpolitische Kreis als weiteren Kompromiss vor, dass Werbeverbot zumindest nicht mehr als Kriminalstrafe, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit zu behandeln.

Von Steffen Zimmermann