Der Vorhang klemmt
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Am Sonntag wird es nochmal richtig spannend. In der monatelangen Hängepartie nach der Bundestagswahl steht ein weiterer Showdown an. In Bonn will die SPD per Bundesparteitag entscheiden, ob sie Koalitionsverhandlungen mit der Union aufnimmt. Bei positivem Ausgang kommen drei weitere Knaller: Erst die Verhandlungen, dann die Ur-Abstimmung aller SPD-Mitglieder und schließlich die Bundeskanzlerwahl durch den Bundestag.
Was wir da seit dem 24. September 2017 erleben, hat mit dem, worum es in der Politik eigentlich geht, wenig zu tun. Dass der schicksalshafte Parteitag in Bonn tagt, klingt wie Ironie. Ausgerechnet dort, wo in der alten Bundesrepublik 50 Jahre lang (mit einer Ausnahme: 1983) das Stück von Wahl, Regierungsbildung, Bundestagsauflösung und Neuwahl immer wieder verlässlich aufgeführt wurde, findet nun eines dieser schrillen Nebendramen statt, das manche mittlerweile für das eigentliche Geschehen halten.
Es ist, als ob im Polit-Theater nach dem Ersten Akt der Motor ausgefallen wäre, der den Vorhang heben sollte. Die Schauspieler sind vorne auf die Bühne getreten und streiten darüber, wie es weitergehen soll. Eine Weile findet das Publikum das unterhaltsam. Aber je länger es dauert und je gereizter die Akteure aufeinander losgehen, desto mehr ahnen die Zuschauer, dass die da oben keinen Plan haben, wie es nun weitergehen soll. Nach und nach verlassen sie den Raum, das Theater kann demnächst Bankrott anmelden.
Nicht mehr im Bild gesprochen heißt das: Voraussetzungen für ein funktionierendes Gemeinwesen sind nicht allein moralische Werte oder ein bestimmtes Menschenbild. Ebenso wichtig sind die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, nach denen Regierungen mit stabilen Mehrheiten gebildet werden. Und die funktionieren bei uns in einem 7-Parteien-Parlament offensichtlich nicht mehr. Das Fehlen realistischer Machtoptionen führt zu immer groteskeren parteipolitischen Pokerpartien, es vergiftet das Klima unter den Politikern und fördert die Politikverdrossenheit. Die "Italienisierung" des Staates schreitet voran. Es wird Zeit, über eine Reform der Verfassung (oder wenigstens des Wahlrechts) nachzudenken.