"Wir verlängern die Kommunionbank"
Immer weniger Menschen in Deutschland sind katholisch, die Priesterseminare werden leerer und auch die Zahl der Kirchen, in denen eine Sonntagsmesse gefeiert wird, nimmt ab. Die Diözesen reagieren unterschiedlich auf diese Veränderungen: Einige setzen verstärkt auf Priester aus Indien oder Polen, um die Zahl der Sonntagsmessen aufrecht zu erhalten; andere sehen die Zukunft in Großpfarreien. Das Erzbistum Paderborn geht nun einen anderen Weg.
Seit dem 1. Adventssonntag gibt es für alle Gemeinden in der Erzdiözese die Möglichkeit, Wort-Gottes-Feiern in der sogenannten "Warburger Form" zu feiern. Das ist ein Wortgottesdienst, in dem die Kommunion auf eine neue Weise gespendet wird. Die konsekrierten Hostien stammen nicht aus dem Tabernakel, sondern aus einer Messe, die zur gleichen Zeit in einer benachbarten Kirche gefeiert wird.
Einen Sonntag ohne Kommunion konnten sich Warburgs Katholiken nicht vorstellen
Die Idee zu dieser Form der Kommunionspendung stammt aus Warburg am östlichen Rand des Erzbistums. "Unsere Gegend ist sehr ländlich geprägt", beschreibt Pfarrer Gerhard Pieper die Landschaft rund um die Kleinstadt in der Warburger Börde. Der Leiter des Pastoralen Raums Warburg ist mit seinem Team von Priestern und Gemeindereferentinnen für 15 Kirchengemeinden zuständig. "Die hatten alle vorher natürlich ihre eigene Messe", erklärt Pieper. Mit "vorher" meint er die Zeit vor Gründung des Pastoralverbunds im Sommer 2012.
Denn auch im Erzbistum Paderborn wurde der Priestermangel in den letzten Jahren spürbar und die Pfarrer mussten sich um mehrere Gemeinden gleichzeitig kümmern. In den Kirchen in Warburg wurde zwar weiterhin jeden Sonntag die Messe gefeiert, in den Dorfkirchen, die zum Pastoralen Raum gehören, jedoch nur noch jede zweite Woche. Ab 2015 verschärfte sich die Situation durch den Weggang weiterer Priester. Doch einen Sonntag ohne Eucharistie und Empfang der Kommunion, das konnten sich viele Katholiken in Warburg nicht vorstellen. Ihr Pfarrer ebenso wenig: "Das geht für uns Katholiken nicht", sagt Pieper und lacht.
In dieser Situation erinnerte sich der Pfarrer an eine Kundschafterreise des Erzbistums Paderborn auf die Philippinen, an der er und seine Gemeindereferentin Veronika Groß 2013 teilgenommen hatten. "Dort gibt es noch weniger Priester als bei uns in Deutschland und wir haben gelernt, dass Kirche auch dezentral funktionieren kann", so Pieper über seine Erfahrungen im Inselstaat. Ihn beeindruckte, dass die Eucharistie von den Städten auf die Dörfer gebracht wurde, wo es keine Priester gab und die Gläubigen auf den Leib Christi warteten. Pieper fokussiert sich auf das Positive der Situation: "So gibt es die Möglichkeit, von einem einzigen Altar genährt zu werden."
Diese Idee setzt er seit Mai 2017 in seiner Gemeinde um. Ein Jahr zuvor war Pieper mit seiner Idee an Erzbischof Hans-Josef Becker herangetreten und hatte in seinem Auftrag das Projekt des Wortgottesdienstes mit Kommunionspendung entwickelt. Wort-Gottes-Feiern nach der "Warburger Form" sind im Grunde normale Wortgottesdienste. Sie werden von ausgebildeten Laien geleitet und entsprechen den Verordnungen der Deutschen Bischofskonferenz. "Wir haben sie jedoch um das angereichert, was uns fehlte", erklärt Pieper.
Unterschiedlich lange "Zeit der Erwartung"
Das sei etwa die "Zeit der Erwartung", eine der Besonderheiten der "Warburger Form". Sie dient zur Überbrückung der Wartezeit auf die Ankunft der konsekrierten Hostien und kann dementsprechend unterschiedlich lang sein. Normalerweise ist sie von einer Stille geprägt, kann aber auch mit Musik und Gebet gestaltet werden, so Pieper; je nachdem, wie es die Gläubigen möchten. Zeitgleich wird der vorher leere Altar eingedeckt. "Kommt dann der Kommunionhelfer mit der Eucharistie in der Kirche an, begleiten ihn die Messdiener in einer Prozession vom Eingang an den Altar", so Pieper. Vor der Kommunionspendung steht ein Hinweis auf die Verbundenheit mit der Gemeinde, aus der die Hostien mit dem Auto gebracht wurden.
Zuvor gibt es in der Eucharistie feiernden Gemeinde noch vor der Kommunionspendung einen Sendungsauftrag für den Kommunionhelfer, der in die andere Kirche fährt. Sie oder er nimmt die Hostien und wird ebenfalls in einer Prozession zur Kirchentür begleitet. "Wir verlängern, bildlich gesprochen, die Kommunionbank von der Kirche, in der Eucharistie gefeiert wird, in die Kirche, in der die Wort-Gottes-Feier begangen wird", erklärt Pieper.
Für Benedikt Kranemann wird auf diese Art das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gläubigen der verschiedenen Gemeinden gestärkt: "Die Gemeinden bilden auf diese Weise ein Netz", glaubt der Erfurter Liturgiewissenschaftler. Aus anderen Bistümern ist Kranemann diese Form der Kommunionspendung nicht bekannt. Er weiß jedoch, dass die Katholiken in der DDR trotz der geringen Anzahl von Priestern so die Kommunion empfangen konnten. "Es wurden Stationsgottesdienste gefeiert und ein Diakonatshelfer nahm die Eucharistie von einer Messe zu den Außenstationen mit", so Kranemann. Die Rückbindung an eine gefeierte Messe sei zu begrüßen und besser, als auf Hostien aus dem Tabernakel zurückzugreifen.
Pieper kann das bestätigen. "Die Wortgottesdienst-Leiter wollen jetzt gar nicht mehr an den Tabernakel", erläutert er die Reaktionen auf die "Warburger Form". Dabei habe sich die Gemeinde gemeinsam mit den Haupt- und Ehrenamtlichen den Fragen gestellt, die mit der Einführung dieses besonderen Modells der Wortgottesdienste aufkamen: "Warum feiern wir sonntags eigentlich Eucharistie und weshalb gibt es einen Tabernakel?" Er sagt, dass er selbst und das Pastoralteam eine Zeit der Entwicklung durchgemacht haben. Jetzt fühlt sich Pieper durch die kirchliche Lerngemeinschaft bestärkt: "Ich bin beschenkt durch den Weg mit den Ehrenamtlichen".
Wort-Gottes-Feier ohne Kommunion nicht defizitär
Auch Kranemann begrüßt die Beschäftigung mit scheinbar selbstverständlichen liturgischen Vollzügen. "Die Kommunion aus dem Tabernakel war eigentlich nur für die Krankenkommunion und Notfälle gedacht", so der Liturgiker. Im Grunde hebe er die Zeichenhaftigkeit der Eucharistie als Mahl auf. Die "Warburger Form" fange jedoch den eigentlichen Gedanken gut auf. Gleichzeitig mahnt Kranemann, die Kommunionspendung in einer Wort-Gottes-Feier nicht zu überbewerten: "Der allsonntägliche Kommunionempfang ist jahrzehntelange Praxis und wird von den Gläubigen erwartet." Dennoch müsse auch die Theologie der Wortverkündigung gestärkt werden. "Da gibt es einen großen Schatz, der zu heben ist", so der Theologieprofessor. Die Gläubigen sollten eine sonntägliche Wort-Gottes-Feier nicht als defizitär empfänden, weil dort keine Kommunion gespendet werde.
Für Pieper bietet die "Warburger Form" noch eine weitere Herausforderung: Es habe im Erzbistum Paderborn die Frage gegeben, ob Laien in Wortgottesdiensten die Kommunion spenden dürften. Einige Priester hätten ihre Ehre infrage gestellt gesehen, so Pieper. "Doch ich bemerke, dass ich so auf eine neue Weise als Priester gefragt bin", sagt Pieper. Er begrüßt die von ihm angestoßene Entwicklung und glaubt, dass sie zu einer Neuentdeckung der Taufberufung der Laien führen könne. Doch der Warburger Pfarrer ist sich bewusst, dass er mit dem von ihm entwickelten Modell die kirchlichen Strukturen "nicht retten" wird. In Warburg hat es keine Wunder vollbracht, aber doch zu einem kleinen Anstieg der Teilnehmerzahl bei Wortgottesdiensten geführt. "Wir sind als Kirche in einer Phase des Abbruchs" und die "Warburger Form" sei nur eine von vielen Möglichkeiten, einen Schritt auf Gott hin zu machen. Jedoch eine Form, die im Erzbistum Paderborn für drei Jahre "ad experimentum" allen Kirchengemeinden erlaubt ist.