"Pillen-Enzyklika" auf dem Prüfstand?
"Bergoglio erlaubt die Pille". "Jetzt schafft er 'Humanae vitae' ab". Seit Tagen schon schlagen konservative katholische Blogs und Twitterer Alarm. Der Journalist Sandro Magister, eine Galionsfigur der Franziskus-Kritiker, betitelte seinen Beitrag: "'Humanae vitae' adieu. Franziskus liberalisiert die Pille". Anlässe der Aufregung: ein Vortrag an der Päpstlichen Universität Gregoriana, Artikel in der Tageszeitung der Italienischen Bischöfe sowie päpstliche Recherchen im Archiv der Glaubenskongregation.
"Humanae vitae", mit dem Papst Paul VI. (1963-1978) künstliche Verhütungsmethoden als moralisch verwerflich verbot, ist für liberale Katholiken seit 50 Jahren ein Rotes Tuch. "Amoris laetitia", in dem Franziskus einen nachsichtigen Umgang mit Katholiken in zweiter Ehe nahelegt, ist das Hassbild der Konservativen.
Entsprechend tönt es von konservativer Seite: Das Lehrschreiben "Humanae vitae" von 1968, das künstliche Verhütung anprangerte, weil durch sie der sexuelle Akt bewusst von der Fortpflanzung getrennt und zudem sexuelle Freizügigkeit gefördert werde, könnte künftig stärker seelsorglich interpretiert werden - ganz im Geist von "Amoris laetitia". Was das konkret heißt, wird stets vom Einzelfall abhängen. Aber ein pauschales "Verbot" scheint nicht mehr ins neue Denken unter Franziskus zu passen.
Ob aus dem Vatikan tatsächlich bald eine Neuauslegung der "Pillen-Enzyklika" kommt, ist ungewiss. Dass eine Kommission im Auftrag des Papstes die Entstehungsgeschichte von "Humanae vitae" untersucht, hat der Leiter des Archivs der Glaubenskongregation, Alejandro Cifres, unlängst der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) bestätigt. Für zusätzliche Aufmerksamkeit sorgte der Vortrag des italienischen Moraltheologen Maurizio Chiodi, Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben. Dieser hatte zunächst den Zusammenhang zwischen allgemeinen Normen, individueller Lebenslage, Gewissen und praktischem Handeln analysiert.
Zeitung der italienischen Bischöfe berichtete wohlwollend
Weitere Überlegungen zum Grundanliegen von "Humanae vitae", der "'unlösbaren' Verbindung von Sexualität und Fortpflanzung", führen Chiodi zu der Frage, ob "natürliche Methoden (der Verhütung) die einzige Form verantworteter Elternschaft sein könnten/müssten". Er verwendet beide Wörter so mit Schrägstrich. Chiodi betont den Wert verantwortlicher Elternschaft und Sorge für die Nachkommenschaft. Für diese aber könnten in je unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Mittel gewählt werden. Dass "Humanae vitae" auf natürlichen Verhütungsmethoden bestehe, könne nicht als Norm um ihrer selbst willen verstanden werden.
Chiodis Vortrag von Mitte Dezember hat mehr Gewicht als viele andere Diskussionsbeiträge zu der seit Jahrzehnten umstrittenen Frage. Er hielt ihn an der Päpstlichen Universität Gregoriana, und "Avvenire", die Tageszeitung der italienischen Bischöfe, berichtete wohlwollend darüber: Chiodis Vorschlag, "Humanae vitae" von "Amoris laetitia" aus neu zu lesen, sei zu verstehen als ein "Vorschlag, der die Entwicklung kirchlicher Tradition darstellen" wolle; diese dürfe "nicht zu einem Fossil werden".
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Die eigentliche Kernaussage von "Humanae vitae" wird oft kaum wahrgenommen. Das Lehrschreiben von Paul VI. aus dem Jahr 1968 wird auf das Verbot künstlicher Empfängnisverhütung reduziert. (Artikel aus dem Jahr 2014)Was Papst Franziskus zu dem heiklen Thema denkt, ist noch nicht klar. Sein in vielen Medien verkürzt wiedergegebenes "Katholiken sind keine Karnickel"-Zitat zur Frage verantworteter Elternschaft gibt darüber keine verbindliche Auskunft. Zudem hat er die Enzyklika Pauls VI. mehrfach gewürdigt. Bei seinem Rückflug von den Philippinen im Januar 2015 nannte er sie ein "prophetisches Dokument". Prophetisch auch deshalb, weil sie der Ideologie einer zwangsweisen Geburtenkontrolle in der Dritten Welt entgegentrete, wie sie einst von "Welt-Bevölkerungsexperten" gepredigt wurde.
Franziskus zitiert "Humanae vitae" in seinem Lehrschreiben
Auch in "Amoris laetitia" zitiert Franziskus den Text aus dem Jahr 1968 mehrfach - und er deutet an, wie er sie versteht. "Es gilt, die Botschaft der Enzyklika (...) wiederzuentdecken, die hervorhebt, dass bei der moralischen Bewertung der Methoden der Geburtenregelung die Würde der Person respektiert werden muss", heißt es an einer Stelle.
Für seine konservativen Kritiker wäre es ein weiterer moraltheologischer Umfaller, wenn der Papst aus Argentinien die Erlaubtheit von Pille und Kondom vom Einzelfall abhängig machen würde. Letztlich würde Rom damit - wie schon beim Thema der wiederverheirateten Geschiedenen - mit Verzögerung auf eine Linie einschwenken, die deutsche Bischöfe schon Jahrzehnte zuvor aufgezeigt haben.