Was Krokodile und Einhörner in Kirchen zu suchen hatten
Seit 500 Jahren wird in der Wallfahrtskirche Madonna delle Lacrime in Ponte Nossa ein Krokodil verwahrt. Ein Krokodil in der Kirche? Kein Einzelfall, weiß der Kunsthistoriker Philippe Cordez, der sich mit Schätzen in mittelalterlichen Kirchen beschäftigt hat. Ob Straußeneier und Kokosnüsse, Drachen oder Krokodile, Hörner von Einhörnern, Knochen von Riesen oder Greifenklauen, in den mittelalterlichen Kirchen Europas fanden sich immer wieder besondere Objekte, die die Menschen zum Staunen anregen, Glaubensgut vermitteln oder den Triumph des Christentums darstellen sollten.
Im Santuario della Beata Vergine Maria delle Grazie in der Nähe von Parma hängt ebenfalls ein ausgestopftes Krokodil wie auch in Santa Maria delle Vergini im mittelitalienischen Macerata. Ähnlich wie in Ponte Nossa ist damit eine Legende um die wunderbare Errettung durch die Anrufung der Muttergottes verbunden oder der vage Hinweis, ein Kreuzfahrer habe das Krokodil mitgebracht.
Gefälschte Drachenhaut für die Europäer
Philippe Cordez kennt solche Geschichten. Denn im Zusammenhang mit seinen Forschungen ist er immer wieder auf Überreste von Krokodilen und Riesenschlangen in Kirchen gestoßen. Ihre Funktion: Sie sollten die Gefahren deutlich machten, die Reisende in der Ferne bewältigt hatten oder das Thema vom Kampf gegen das Böse und vom Triumph des Christentums symbolisieren. Im 16. Jahrhundert wurde die Ausstellung großer Reptilien in Kirchen eine gängige Praxis, weiß der Kunsthistoriker.
Dass es einen Unterschied zwischen Drachen und Krokodilen gab, war bekannt, aber als Wissen nicht unbedingt breit gestreut. Der Kölner Arnold von Harff stellte in den 1490er Jahren, als er auf einer großen Wallfahrt den Vorderen Orient bereiste, fest, dass ägyptische Händler am Ufer des Nils die Häute von Krokodilen trockneten, um sie nach Europa als Drachenhaut zu verkaufen. Er war empört - weil er auch auf diese Fälschung hereingefallen war.
Ähnlich wie Drachen waren auch Einhörner symbolträchtige Tiere, wenngleich die vielen Einhörner aus Plüsch heute anderes denken lassen. Der Dominikaner und Naturforscher Thomas von Cantimpre (1201-1270 oder 1272) setzte im Rückgriff auf überlieferte Erzählungen das Einhorn mit Christus gleich und erklärte, nur eine Jungfrau wie die Jungfrau Maria könnte es besänftigen.
Aus den Kirchen in die Wunderkammern der Fürsten
Der Gelehrte wollte mit diesem Gleichnis die Freuden der Jungfräulichkeit vermitteln und verwies auf ein Einhorn-Horn in einer Kirche im heute belgischen Brügge. Fakt ist, das die allermeisten Einhorn-Hörner Zähne des arktischen Narwals waren. Die spiralige Form des Narwalzahns als Einhorn-Horn machte Schule - bis zum heutigen Tag, sagt Philippe Cordez und weist auf das Einhorn-Tattoo von Lady Gaga hin.
Was man sonst noch in mittelalterlichen Kirchen bestaunen konnte? Straußeneier beispielsweise. Der franziskanische Gelehrte Bartholomäus Anglicus berichtete in den 1240er Jahren in seinem "Buch von den Eigenheiten der Dinge": "Man hängt sie in den Kirchen als Ornament auf, wegen ihrer Größe und Seltenheit." Aus den Eiern stellte man zudem - wie auch aus Kokosnüssen - Trinkgefäße für Fürsten oder Reliquiare her, um darin den himmlischen Juwelen einen ihrem Wert angemessenen Platz zu bereiten.
Ende des 16. Jahrhunderts kündigte Kardinal Gabriele Paleotti (1522-1597) an, sich in einem noch zu schreibenden Buch Gedanken darüber zu machen, ob "Rüstungen, Standarten, Galeeren, Krokodilen, Hirschgeweihen, Pelikanen, Straußeneier, fremdartigen Tieren und solcher Art" als Schmuck für Kirchen geeignet wären. Bereits zu dieser Zeit fanden solche Objekte nicht mehr den Weg in die Kirche sondern bevorzugt in die Wunderkammern der Fürsten und Gelehrten, aus denen später die Museen hervorgingen. Am Anfang stand jedoch das Krokodil in der Kirche.