Erste Angebote für Alleinstehende stoßen auf reges Interesse

Hat die Kirche Singles genügend im Blick?

Veröffentlicht am 03.04.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Pastoral

Bonn ‐ Dem Netzwerk "Solo und Co" gehören mehr als 1.000 Christen an, das Erzbistum Köln hat ein eigenes Referat für Single-Pastoral. Doch solche Angebote für Alleinstehende sind in der Kirche noch rar gesät.

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Mit einer Silvester-Feier fing alles an: In den 1990er Jahren, da arbeitete Astrid Eichler noch als evangelische Pfarrerin in der ostdeutschen Prignitz, wollte sie die Tage um den Jahreswechsel nicht allein verbringen. Sie lud andere Singles ein, mit ihr zu feiern. Danach wurde sie regelmäßig als Referentin zu Tagungen zum Thema Singles eingeladen, 2006 veröffentlichte sie das Buch "Es muss was Anderes geben", das Alleinstehenden eine Lebensperspektive eröffnen sollte. Und plötzlich war da die Idee: Warum sich nicht dauerhaft mit anderen zusammentun?

Heute, 12 Jahre später, ist aus der Idee das Netzwerk "Solo und Co" erwachsen. Weit über 1.000 christliche Netzwerker aus ganz Deutschland sind dabei, aufgeteilt in 15 Regionalgruppen. Eichler arbeitet nicht mehr als Pastorin, sondern mit einer Teilzeitstelle als Geschäftsführerin von "Solo und Co". Die Mitglieder profitieren von einer großen Spanne von Angeboten: von der unverbindlichen WhatsApp-Gruppe, um gemeinsam ins Kino zu gehen, über Impulstage und Besinnungswochenenden bis hin zum Zusammenleben in "gemeinschaftlichen Lebenszellen", einer Art spiritueller WG. "Alle Netzwerker eint der Gedanke: Als Single hat man besseres zu tun, als nur darauf zu warten, dass jemand kommt und einen glücklich macht. Es gilt, das eigene Leben zu gestalten", sagt Eichler.

Mit seinem Angebot stößt der Verein in ein seelsorgliches Vakuum. "Es gibt so viele pastorale Angebote: für Kinder, Jugendliche, Familien, Frauen, Senioren, es gibt Gefängnisseelsorge, Behindertenseelsorge, Krankenhausseelsorge. Nur Singles sind außen vor", kritisiert Eichler. Die Zahlen untermauern ihre Argumente. Laut dem Statistischen Bundesamt lebte in Deutschland im Jahr 2016 in 41 Prozent aller Haushalte nur eine Person. In einigen Großstädten war es sogar rund die Hälfte. Als Gründe für die steigenden Single-Zahlen gelten unter anderem eine größere Unabhängigkeit von Frauen und ein vermehrtes Streben nach Selbstverwirklichung, das aber auch zu Bindungs-Schwierigkeiten führen kann.

Angebote stoßen auf positive Resonanz

Dass man eine solche Gruppe wie die Singles nicht weiter ignorieren sollte, hat man auch im katholischen Erzbistum Köln erkannt. Seit dem 1. Oktober 2016 gibt es dort eine eigene Referentin für Single-Pastoral. Eine ähnliche Stelle wie die ihre ist der promovierten Theologin Hedwig Lamberty weder aus anderen katholischen Bistümern noch aus der evangelischen Kirche bekannt. Und auch in den Gemeinden gibt es nach ihrem Wissen nur vereinzelt Angebote für Singles. Dabei ist Lamberty mit ihren eigenen Angeboten bisher auf positive Resonanz gestoßen. Ein Impulstag in diesem März war mit 30 Teilnehmern ausgebucht, zum Wander- und Austauschwochenende im vergangenen Jahr gab es dreimal mehr Anmeldungen als die 15 vorhandenen Plätze. "Die Teilnehmer haben rückgemeldet, dass sie sehr froh sind, dass die Kirche sie nun in den Blick nimmt", erklärt Lamberty.

Die Themen, mit denen sich die Alleinstehenden an die Single-Pastoral wenden, sind vielfältig. "Da geht es zunächst um ganz alltagspraktische Fragen", sagt Lamberty. Mit wem verbringt man die Wochenenden, mit wem Weihnachten, mit wem fährt man in den Urlaub? Auch Astrid Eichler kennt das. "All diese Aktivitäten müssen Singles sich immer wieder aufs Neue organisieren. Jemand, der seit dem 22. Lebensjahr in einer Beziehung ist, kann das vielleicht gar nicht nachvollziehen", meint sie.

Bild: ©Monkey Business/Fotolia.com

Weil Kirche die Familie als Idealbild ansehe, würden sich viele Singles von ihr distanzieren, sagt Hedwig Lamberty.

Sowohl Eichler als auch Lamberty beobachten bei nicht wenigen Alleinstehenden einen Wunsch nach "verbindlicher Gemeinschaft": "Viele suchen jemanden, auf den sie achten und der auf die achtet – und das verlässlicher, als das in den meisten Freundschaften sein kann: jemanden, den sie auch um 2 Uhr nachts anrufen können, der zur Apotheke geht und für sie kocht, wenn sie eine Grippe haben, der ihnen Kleidung bringt und sie regelmäßig besucht, wenn sie mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus liegen", weiß Lamberty. Im Netzwerk "Solo und Co" gründet sich gerade eine "Fachstelle für Gemeinschaft", die sich in Kooperation mit einer schon bestehenden Schweizer Initiative damit beschäftigt, welche Modelle der Verbindlichkeit es auch für Singles geben könnte.   

Neben den alltagspraktischen gibt es aber auch ganz grundsätzliche Fragen: So sorgen sich viele, wie das wird, wenn sie ohne Familie oder einen Partner alt werden. "Die Frage, wo bin ich zu Hause, wo gehöre ich noch dazu, stellt sich bei Alleinstehenden nach ihrem Berufsleben viel stärker als bei Familien", erklärt Eichler. "Es ist das Alleinsein mit den existentiellen menschlichen Fragen, das viele Singles belastet." Das verstärkt sich mit dem Alter: "Mit 40 plus wird die Lage langsam ernst, mit 50 plus macht den Menschen ihre Situation Angst." Nicht zuletzt auch die Frage, wie sie mit der eigenen Sexualität umgehen, stellt sich für Singles ganz anders als für Paare.

Gegenseitige Berührungsängste

Trotz mancher Probleme, bei deren Lösung eine Single-Pastoral unterstützen könnte, hat Hedwig Lamberty zwischen Singles und der Kirche gewisse gegenseitige Berührungsängste beobachtet. Das bestätigt auch Astrid Eichler: "Dass die meisten Menschen ungewollt Singles sind, wird aus meiner Sicht in der Kirche nicht ausreichend gesehen. Nicht wenige scheinen zu denken, Singles hätten etwas gegen Familien." Sowohl Eichler als auch Lamberty kennen Erzählungen, nach denen Singles sich als Lückenbüßer der Gemeinde fühlten: "Sprüche wie: 'Kannst du am Gemeindefest mal den Bierstand übernehmen – du hast doch die Zeit', können schon verletzen", sagt Eichler. Beide Expertinnen sehen eine Single-Pastoral nicht unbedingt in den einzelnen Gemeinden, sondern eher auf der Stadt-Ebene angesiedelt.

Laut Lamberty haben Studien ergeben, dass rund 50 Prozent der Singles mit der Kirche erstmal nichts zu tun haben wollen. Dafür sieht sie auch theologische Gründe. Schließlich sei für die Kirche die Familie die ideale Lebensform. Singles – wenn sie nicht gerade geweiht sind – wichen von dieser Lebensform ab und fühlen sich daher gerade im kirchlichen Kontext als defizitär. "Aus dieser Denkweise will ich sie herauszuholen", sagt Lamberty. "Im Schöpfungsbericht hat Gott Mann und Frau geschaffen – und zwar nicht sofort als Paar, sondern als an sich wertvolle Menschen. Und das steht vor jeder Beziehungsfrage." Für Astrid Eichler ist Jesus selbst das "beste und größte Single-Vorbild für Christen". Und der Satz aus dem Buch Genesis, dass es für den Menschen nicht gut sei, allein zu bleiben, stimme zwar – aber die Ehe sei darauf ja nicht die einzige Antwort.

Außerdem erinnert sie daran, dass das Single-Dasein auch viele Vorteile mit sich bringt: "Dazu gehören Freiheit, Unabhängigkeit, und die Tatsache, nicht auf andere Rücksicht nehmen zu müssen, sondern einfach das machen zu können, worauf man selbst Lust hat". So wie Silvester-Feiern in der Prignitz.

Von Gabriele Höfling