Noch immer unzertrennlich: Die Ratzinger-Brüder
Das größte Geburtstagsgeschenk für Benedikt XVI., soviel hatte sein Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein schon vorher verraten, ist, dass sein Bruder Georg zu Besuch kommt. Joseph und Georg Ratzinger sind nicht nur das berühmteste Brüderpaar der katholischen Kirche, sondern auch ein berührendes Beispiel lebenslanger geschwisterlicher Zuneigung und Verbundenheit. "Bücher-Ratz und Orgel-Ratz" wurden die beiden bereits im Priesterseminar genannt, als noch nicht absehbar war, dass Joseph einmal Papst und Georg Domkapellmeister in Regensburg werden würde.
Mit seinen 94 Jahren, nahezu vollkommen erblindet und auf einen Rollstuhl angewiesen, hat Georg Ratzinger wie all die Jahre zuvor die Strapazen einer Rom-Reise nicht gescheut: zwei Stunden im Flugzeug - für einen Mann seines Alters eine Ewigkeit – und das römische Verkehrschaos auf dem Weg vom Flughafen in den Vatikan, das auch für Männer und Frauen jüngeren Alters oft eine Zumutung ist. Georg Ratzinger muss zwar nicht mit einem römischen Taxi fahren, er wird abgeholt mit Eskorte. Trotzdem: Wie angenehm könnte er es in Regensburg haben, auf dem Balkon sitzen und den Frühling genießen? Doch Georg will bei seinem Bruder im Vatikan sein. Er weiß, dass sein Besuch das größte Geschenk für Joseph ist. Und wohl auch für ihn selbst.
"Zwischen uns gibt es keinen Neid"
Niemand steht dem emeritierten Papst so nahe wie sein Bruder, niemand kennt ihn so gut. Und Georg ist wohl auch der einzige, der seinen Bruder auch als Papst weiter "Joseph" nannte. Denn alles andere wäre "ein Krampf", wie Georg es einmal formulierte. Sie telefonieren nahezu täglich, Georg hat ein eigenes Telefon nur für seinen Bruder. Und anders als manch andere Geschwister berühmter Persönlichkeiten hat Georg nach eigener Aussage auch kein Problem damit, dass ihn alle immer nur nach seinem berühmten Bruder fragen. "Das stört mich net", erklärte er einem bayerischen Journalisten. "Zwischen uns gibt es keinen Neid, kein oben und unten, wir sind einfach Brüder."
Die überaus enge Beziehung zu seiner Familie sei "die grundlegende Konstante, der in seiner Bedeutung nicht zu überschätzende Meridian im Leben Joseph Ratzingers", schreibt der Biograph Benedikts XVI., Alexander Kissler. Dabei ist auch für Päpste ein inniges Verhältnis zu den eigenen Geschwistern keineswegs selbstverständlich. Von regelmäßigen Besuchen der Schwester von Papst Franziskus, die als einzige seiner vier Geschwister noch lebt, etwa hört man nichts.
Warum zieht Georg also nicht gleich ganz bei seinem Bruder im Vatikan ein? Dann könnten die beiden täglich zusammen sein. So wie sie es sich früher immer gewünscht hatten. Und so wie es beinahe schon einmal war, in Regensburg. Damals von 1970 bis 1977; Joseph Ratzinger war Professor für Dogmatik an der katholisch-theologischen Fakultät und Georg Ratzinger Domkapellmeister in Regensburg. Joseph wohnte mit der älteren Schwester Maria, die ihm den Haushalt führte, in Pentling am Stadtrand von Regensburg in einem schönen Haus mit Garten. Georg kam regelmäßig zu Besuch. Doch Paul VI. beendete das Familienidyll 1977 und ernannte Joseph Ratzinger zum Erzbischof von München. Als Johannes Paul II. Kardinal Joseph Ratzinger 1981 schließlich nach Rom holte und zum Präfekt der Glaubenskongregation machte, wurde das Brüderpaar auf eine schwere Bewährungsprobe gestellt.
Doch nach Josephs Pensionierung im Vatikan, spätestens nach seinem 80. Geburtstag, so hofften und planten es beide, würden sie wieder vereint sein und gemeinsam ihren Lebensabend in Pentling verbringen können, mit viel Büchern und Musik. Doch damals machten die Kardinäle dem Brüderpaar einen Strich durch die Rechnung und wählten Kardinal Ratzinger im April 2005 zum Papst. Weihnachten 2004 verbrachten die beiden das letzte Mal gemeinsam in Pentling, Joseph spülte nach dem Essen, Georg trocknete ab.
Der Vatikan liegt leider nicht in Bayern
Ganz so einschneidend, wie zunächst von Georg befürchtet, war die Wahl zum Papst für das Verhältnis der beiden jedoch nicht. Schon bald stellte sich heraus, dass sich auch ein Papst Benedikt XVI. für seinen Bruder noch genug Zeit nehmen kann. Georg besuchte ihn drei bis viermal im Jahr im Vatikan und in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo, feierte morgens mit ihm die Messe und frühstückte im päpstlichen Appartement, abends schauten beide gemeinsam Nachrichten im Fernsehen.
Das könnten beide jetzt jeden Tag haben. Platz für Georg wäre im umgebauten früheren Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten auf jeden Fall genug. Und auch sonst stünde einer WG der beiden Brüder nichts entgegen. Benedikt XVI. hat es seinem Bruder schon vor geraumer Zeit angeboten. Doch da gibt es ein Hindernis, dass auch der emeritierte Papst nicht beseitigen kann: Der Vatikan liegt nicht in Bayern, der Petersdom ist wunderschön, aber eben nicht der Regensburger Dom. Bei aller Liebe zu seinem Bruder will Georg in der Heimat bleiben, da, wo er jeden Stein kennt, wo ihn die Leute kennen, wo er zuhause ist. Und das dürfte Benedikt XVI. nur allzu gut verstehen. Man braucht nur nachzulesen, wie er zuletzt in seiner Ansprache vor bayerischen Gästen zu seinem 90. Geburtstag von seiner alten Heimat schwärmte.
Auf die Frage, ob er als älterer Bruder schon mal ein Machtwort gesprochen habe, antwortete Georg einmal: "Dass einer was über den anderen zu sagen hatte, das war eigentlich nie der Fall bei uns. Ich weiß, dass er vernünftig und verantwortungsvoll ist, und bemühe mich auch darum. So war es immer."
Doch Georg war auch ohne Machtwort Vorbild für seinen Bruder, auch mit seiner Entscheidung Priester zu werden. Joseph folgte ihm 1946 ins Priesterseminar nach Traunstein. 1951 wurden beide zusammen vom Münchener Kardinal Michael Faulhaber zum Priester geweiht.
Wohl nicht nebeneinander begraben
Georg sei in "vieler Hinsicht" ein Vorbild für ihn gewesen, sagte Benedikt XVI. in seinen im Vorjahr erschienen "Letzten Gesprächen". "Er war einfach ein Bub, der wusste, was er will, der sehr klare, entschiedene Ideen hatte. Zugleich standen wir uns von Anfang an nahe, wir gehörten halt einfach zusammen".
Beerdigt werden die Brüder allerdings wohl nicht an einem Ort. Georg sieht seine letzte Ruhestätte in Regensburg auf dem Unteren Friedhof neben seinem Vorgänger als Domkapellmeister, Theobald Schrems. "Der liegt da so allein, ich hör´ ihn schon rufen", sagte Georg in einem Interview bereits 2009. Benedikt XVI. hingegen wird wohl im Vatikan beigesetzt. Die bereits 1991 verstorbene Schwester der beiden liegt im bayerischen Ziegetsdorf begraben – wie auch die Eltern. Doch auch das sieht Georg Ratzinger gelassen: "Aber in der Ewigkeit sehen wir uns alle wieder, da hab ich keine Sorgen": Joseph, Georg und Maria Ratzinger.