Der größte Katholikentag seit 1990 ist ein Erfolg

Rückenwind für den politischen Katholizismus

Veröffentlicht am 13.05.2018 um 13:30 Uhr – Lesedauer: 
Katholikentag

Münster ‐ Die Nachrufe auf den Katholikentag waren nach Leipzig schon geschrieben – leere Hallen und Negativrekorde bei den Besuchern. Doch in Münster sah es anders aus: Trägt dieser Rückenwind nun weiter?

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Der Katholikentag ist wieder da. All die Abgesänge auf das seit Jahrzehnten fast unveränderte Veranstaltungsformat haben sich als verfrüht erwiesen. Seit dem 100. Katholikentag, der 2016 in Leipzig stattgefunden hatte, herrschte eine gewisse Katerstimmung: So wenige Besucher wie seit den 1970er Jahren nicht mehr, selbst prominent besetzte Podien konnten die großen Hallen nicht füllen. Ganz anders nun die 101. Ausgabe des Katholikentags. Mehr als 75.000 Teilnehmer geben die Veranstalter an, fast doppelt so viele wie in Leipzig, so viele wie seit 1990 nicht.

Auch auf den Straßen und an den Veranstaltungsorten zeigte sich das. Die ganze Münsteraner Innenstadt war voll von petrolfarbenen Schals, stellenweise war kaum ein Durchkommen, wenn auf einer der vielen Bühnen in der Stadt Musik, Kabarett oder Interviews zu sehen waren. Auch die eigens eingerichteten Buslinien zwischen Innenstadt und Messehalle waren durchgängig ausgelastet. Wer einen der vielen Gottesdienste in den Kirchen der Stadt mitfeiern wollte, musste sich oft früh anstellen. Die Helfer mit den "Halle überfüllt"-Schildern hatten in Münster wieder ihren Einsatz.

Unsichere Zeiten verlangen nach Selbstvergewisserung

Erklärungen für diesen Erfolg gibt es viele: In unsicheren Zeiten steige das Bedürfnis nach einer Selbstvergewisserung des politischen Katholizismus, hört man von den einen. Auch die Parteien hätten derzeit einen ungewöhnlichen Zulauf, hört man in Gesprächen mit Politikern. Andere sagen, es läge an der noch weitgehend volkskirchlichen Struktur des Münsterlandes. Die Verbände auf der Kirchentagsmeile berichteten häufig, dass das katholische Westfalen eine ihrer Hochburgen sei.

Nicht nur der Ort, auch das Motto des Katholikentags – "Suche Frieden" – hat sich als gut gewählt erwiesen. In seiner Eröffnungsrede fand Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für viele die richtigen Worte: Über eine unsichere Weltlage, über seine eigene Situation als evangelischer Christ in einer konfessionsverbindenden Ehe, über religiös motivierte Gewalt und das Verhältnis von Religion und Politik. "Der Staat hat die Religion nicht zu bevormunden, er hat sie aber auch nicht in Dienst zu nehmen, er darf sie nicht zum Instrument von Politik machen."

Diesen argumentativen Bogen hielten die großen Reden im Laufe des Katholikentags aufrecht, von der Kanzlerin bis hin zum Abschlussgottesdienst. "Wir haben mit dem österlichen Glauben einen Blick auf die Weite der Welt, wir sind mitten in der Welt und ziehen uns als Christen nicht in die Sakristei zurück oder verstehen uns als geschlossene Zirkel", sagte Marx in seiner Predigt am Sonntag. "Der Katholikentag in Münster war kein Wohlfühlkatholizismus, der um sich selbst kreist, sondern ein kräftiges Zeugnis, ermutigt in die Welt hinauszugehen."

Teilnehmer des 101. Deutschen Katholikentags in Münster sitzen in einem Stuhlkreis.
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

Beim 101. Deutschen Katholikentag in Münster ging es nicht um Wohlfühlkatholizismus, sagte Kardinal Reinhard Marx zum Abschluss. Über 75.000 Teilnehmer hätten relevante Diskussionen geführt.

Heute führt die typische Biographie des bürgerlichen Politikers nicht mehr vom Ministrantendienst über die Kolpingfamilie zum Abgeordnetenmandat. Und doch zeigt sich in der Präsenz vieler Mitglieder der Bundesregierung und der Beteiligung von Abgeordneten aller Ebenen auf dem Katholiken doch, dass die engagierten Katholiken immer noch Politik mitgestalten und als wichtige Dialogpartner der Politik gesehen werden. Der politische Katholizismus ist nicht mehr Königsmacher und einheitlicher Wählerblock, aber immer noch eine wichtige Säule der Zivilgesellschaft.

Auf den Podien des Katholikentags konnte man ablesen, wo die öffentliche Debatte gerade steht und was die Rolle der Christen dabei ist. Weit weniger spektakulär als von einigen erhofft und anderen befürchtet, verlief die Diskussion mit den religionspolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen, zu der auch ein Vertreter der AfD eingeladen wurde. Nachdem beim vorigen Katholikentag in Leipzig in der AfD-Hochburg Sachsen kein Politiker der Rechtspopulisten im offiziellen Programm auftauchte, war Volker Münz der erste AfD-Abgeordnete bei einem Katholikentagspodium. 2016 wurde die Abwesenheit mit der etwas durchsichtigen Formel erklärt, es seien ja erstens keine Parteien, sondern jeweils einzelne Politiker eingeladen, und zweitens sei niemand von der AfD ausgeladen, sondern einfach nur nicht eingeladen worden.

In Münster entschied das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) nun anders: Bei einer Veranstaltung mit den religionspolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen muss man alle Fraktionen berücksichtigen, war die Linie.

Die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus gelingt

Und dieser Kurs hat sich als richtig erwiesen: Es gab eine Gegendemonstration vor dem Podium, Proteste in der Halle zu Beginn und Zwischenrufe während der Diskussion. Doch der Münsteraner Katholikentag wurde längst nicht so deutlich vom AfD-Thema überschattet, wie es in Leipzig der Fall gewesen ist. Den Rechtspopulismus mit Argumenten zu kontern, ist gelungen. Der Konsens der freiheitlichen Demokraten auf dem Podium stand gegen Münz. Der CDU-Abgeordnete Christian Hirte konterte dessen Forderung, Kirchenvertreter sollten sich aus der Politik heraushalten, mit dem Münsteraner Kardinal Clemens August Graf von Galen, der gegen das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten predigte. Seine SPD-Kollegin Kerstin Griese wies darauf hin, dass Jesus mit seinem Wort "Selig sind die Armen und Schwachen" nicht gesagt habe "das gilt übrigens nicht für die Flüchtlinge".

Volker Münz ist der religionspolitische Sprecher der ersten AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag.
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Die Einladung von Volker Münz, religionspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, gehörte zu den großen Kontroversen des Katholikentags. Die Debatte entpuppte sich als Erfolg.

Von anderen gesellschaftlichen Kontroversen geprägt war die Diskussion "Störfaktor Religion". Zwei große Konfliktlinien prägten die Diskussion: Während Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann dort mit der liberalen Imamin Seyran Ates über Religionsfreiheit stritt, kamen sich Kabarettist Eckart von Hirschhausen und Kardinal Rainer Maria Woelki über ökumenische Fragen in die Haare.

Der Grüne Kretschmann vertrat die säkulare Tradition deutscher Rechtsprechung und Politik: Religionsfreiheit als individuelles Freiheitsrecht, die selbstverständliche Präsenz von religiösen Traditionen in der Öffentlichkeit, auch wenn sie der Mehrheit fremd und unverständlich scheinen. Ates dagegen ist strikte Laizistin mit großen Sympathien für die Praxis der strikten staatlichen Neutralität in Frankreich.

Auch die Zuhörer waren sich nicht einig: Oft herrscht bei Katholikentag großer Konsens zwischen Podium und Zuschauern. Hier waren Applaus und Murren zwischen den deutlich unterschiedlichen Positionen verteilt. Die Zeiten, in denen der politische Katholizismus einmütig die Freiheit und die Selbstbestimmung der Kirche verteidigten, sind schon lange vorbei. Auch Katholiken haben angesichts religiöser Pluralisierung zunehmend Sympathien für einen laizistischen Staat.

Angekündigte Provokation vom Kabarettisten

Auch beim zweiten Streit auf dem Podium offenbarte sich eine innerkirchliche Konfliktlinie. In seinem als "Provokation" angekündigten Zwischenruf stellte von Hirschhausen deutliche, bisweilen polemische und wenig komplexe Forderungen an Kardinal Woelki. Der Protestant von Hirschhausen sei, da steuerlich gemeinsam mit seiner katholischen Frau veranlagt, "einer der größten Sponsoren" der katholischen Kirche. Dafür wolle er "auch die Oblate - oder mein Geld zurück"; eine Formulierung, für die sich der Kabarettist später entschuldigte.

Doch auch dieser Konflikt war erhellend: Hier Hirschhausen, der so deutlich wie oberflächlich die Gefühle vieler Katholiken in den Gemeinden ins Wort brachte: "Kümmert euch um die wichtigen Dinge wie Klimawandel und Gerechtigkeit, nicht um theologische Feinheiten". Dort der Kardinal, der die Lehre der Kirche und die Bedeutung der Eucharistie für die Einheit der Kirche hervorhob. Den Applaus hatte Hirschhausen auf seiner Seite. Doch auch der Kölner Erzbischof erhielt für seine Gegenrede zum Oblatenspruch die Zustimmung des Publikums.

Kommunionausteilung während der heiligen Messe zu Christi Himmelfahrt auf dem 101. Deutschen Katholikentag in Münster.
Bild: ©katholikentag.de/Fabian Weiss

Die Frage des gemeinsamen Kommunionempfangs sorgte auf dem Katholikentag in Münster für Streit und Polemik, aber auch für den Austausch tiefgründiger Argumente.

Letztlich hat auch diese Diskussion inhaltlich niemanden vorangebracht: Beide Seiten haben ihren Standpunkt – wie es symptomatisch ist für die Diskussion in der Kirche insgesamt. Doch die deutlich unterschiedlichen Reaktionen des Publikums zeigten einen Auftrag an die Kirche. Wenn sie ihre wohlbegründete Lehre erfolgreich vertreten will, dann darf sie sich nicht in Theologismen verstricken und muss lernen. Die Kirche muss lernen, ihre Lehre – auch und gerade dem eigenen Kirchenvolk – verständlich und nachvollziehbar zu machen. Von Hirschhausen ist die Ökumene und der gemeinsame Empfang der Kommunion ein Herzensthema. Woelki ist die Eucharistie mindestens ebenso wichtig – aber der Funke sprang nicht über, obwohl er die theologisch besser begründete Position vertrat. Die praktische Theologie des Tuns schlägt die systematische Theologie des Lehramts.

So ist der Katholikentag wieder da: Mit einem Motto, das – zufällig, geplant – die Zeichen der Zeit aufgenommen hat. Mit Kontroversen, die auf absehbare Zeit die Kirche und die Gesellschaft prägen werden. Mit relevanten Beiträgen zu den laufenden Diskussionen. Und schließlich auch mit mehreren Zehntausend Katholiken, die endlich wieder einmal die Stärke und Prägekraft christlichen Engagements geballt erfahren haben.

Wie geht es weiter mit dem Katholikentag?

Und nun stellt sich die Frage nach der Zukunft des Katholikentags: Zuletzt ist dem großen Treffen des deutschen Laienkatholizismus ein harter Wind ins Gesicht geschlagen. Innerkirchlich machten ihm Sparmaßnahmen und Bischöfe, die dem Event nicht sonderlich gewogen sind, zu schaffen, gesamtgesellschaftlich kämpft er gegen einen Trend zum Laizismus, der öffentliche Fördergelder für dieses konfessionelle Großereignis immer schwerer zu begründen macht.

Im Jahr 2020 macht der Katholikentag zunächst einmal Pause, 2021 folgt der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt und erst 2022 soll der nächste Katholikentag stattfinden. Noch steht kein Ort fest, in ZdK-Kreisen kursieren aber bereits mehr (Würzburg) oder weniger (Erfurt) wahrscheinliche Austragungsorte. Der erfolgreiche Katholikentag in Münster hat dem politischen Katholizismus eine Verschnaufpause verschafft und sollte ihm einigen Rückenwind geben – doch der muss tragen bis 2021, bis 2022.

Von Felix Neumann

Themenseite: Katholikentag

Vom 9. bis zum 13. Mai 2018 findet der Katholikentag in Münster statt. Alle Artikel von katholisch.de zu diesem Ereignis finden Sie auf der Themenseite.